Anlieger & Straßenbau: Sind die Regeln gerecht?

Die vier Grundstückseigentümer an der kleinen Beerstraße lehnen eine Sanierung, die jeden 5.000 Euro kosten soll, ab.

Die vier Grundstückseigentümer an der kleinen Beerstraße lehnen eine Sanierung, die jeden 5.000 Euro kosten soll, ab.

In Alfhausen wehren sich Anwohner der Beerstraße dagegen, für den Straßenausbau zur Kasse gebeten zu werden. In Bersenbrück stellten die Grünen einen Antrag, die Beitragssatzung neu zu beraten. Die Landesregierung plant eine Neuregelung. Wie sehen Betroffene die Sache? Ein Fall für das Diskussions-Forum bei klartext.

Tausende Euro zahlen zu müssen, wenn eine Straße saniert wird, das treibt Anlieger – bundesweit – immer wieder auf die Barrikaden und manchen Bürger sogar an den Rand des Ruins. In der Samtgemeinde geht es aktuell zum Beispiel um die Beerstraße in Alfhausen (Heeke).
Die vier Anlieger lehnen eine Sanierung ab und wollen folglich auch nicht dafür zahlen. Das teilten sie Bürgermeister Klaus Wübbolding (CDU) nach einer Anliegerversammlung am 22. Oktober diesen Jahres mit. Der Alfhausener Konflikt steht exemplarisch für zahlreiche andere und dafür, warum die Kostenbeteiligung grundsätzlich in der Kritik steht.

Nach den Straßenausbaubeitragssatzungen (SABS) der Kommunen der Samtgemeinde müssen Anlieger bei Straßen, die „überwiegend dem Anliegerverkehr dienen sowie bei Wohnstraßen“ 60% der Gesamtkosten tragen und bei Straßen mit „starkem innerörtlichen Verkehr“ 30 %. Der Gesamtbetrag wird nach einem Verteilerschlüssel entsprechend der Grundstücksgröße aufgeteilt.

 

Anliegerbeiträge neu regeln, fordert Bündnis90/Die Grünen.

AntragAnliegergebührenAm 9. November stellte Elisabeth Middelschulte, im Bersenbrücker Stadtrat Fraktionssprecherin der Grünen, einen Antrag mit der Forderung, „die Straßenausbaubeitragssatzung der Stadt Bersenbrück, die die Anliegerbeiträge regelt, neu zu beraten und eventuell zu einer gerechteren Zielsetzung zu kommen.“ Hier der Antrag im Wortlaut. Problematisch sind Straßenausbaubeitragssatzungen aus einer ganzen Reihe von Gründen.

 

Warum zahlen die einen und die anderen nicht?

Screenshot Karte: http://www.mapquest.com/germany/alfhausen-282255584

© Screenshot Karte: http://www.mapquest.com/germany/alfhausen-282255584

In Alfhausen stellten die Anlieger der Beerstraße eine Ungleichbehandlung fest. Sie verweisen auf die Sanierung des Hellwegs: „Dieser weist die gleiche Bebauung wie die Beerstraße auf. Ackerflächen sind über den Hellweg nicht erreichbar. Trotzdem wurde die Straße im Rahmen der Flurbereinigung erneuert. Weiterhin wurde die Straße zusätzlich in einem Kostenrahmen von 30.000 € weiter ausgebaut. Neben Fördergeldern hat die Gemeinde einen Betrag von 10.500 € für den Ausbau eingebracht ohne Anlieger bei den Kosten heranzuziehen.“
Bürgermeister Klaus Wübbolding verweist laut Protokoll der Ausschusssitzung (Straßen-, Wasserläufe- und Umweltausschuss) vom 18. November 2015 darauf hin, die Beerstraße sei „immer im Ausbauplan der Flurbereinigung gewesen“, habe aber eine „niedrige Priorität“ gehabt. Außerdem: „Bei einem Ausbau der Beerstraße hätten andere Sanierungsmaßnahmen nicht mehr finanziert werden können.“ Nachvollziehbar ist das aus der Sicht der Kommune. Nicht aber aus der Sicht der Anlieger der Beerstraße – wenn die den Preis dafür zahlen sollen.
Der Ausschussvorsitzende Georg Ratermann (CDU) hielt in der Sitzung die Fälle Hellweg – Beerstraße wegen des Ausbaus „Radweg im Rahmen des Premiumradweges“ für „nicht vergleichbar“. Aber was ist, bei einer häufig zu beobachtenden Unterschiedlichkeit von Maßnahmen, vergleichbar? Viele Anlieger erleben die Vergleichbarkeit der Entscheidungen der Kommunen als undurchdringliches Dickicht.

 

Bietet die Inanspruchnahme besondere wirtschaftliche Vorteile?

Klaus Wübbolding (CDU), Bürgermeister von Alfhausen.

Klaus Wübbolding (CDU), Bürgermeister von Alfhausen.

Die Entscheidungshoheit, das zeigt auch Alfhausen, liegt – nach dem Verständnis der Kommunen – bei den Gemeinden. In der Ausschusssitzung sagte Bürgermeister Klaus Wübbolding: Die Entscheidung über die Beerstraße müsse „aus Sicht der Gemeinde getroffen werden“, und „die Entscheidung über den Ausbau von Straßen liege nun einmal bei den Gemeindegremien.“ Heißt das: Die Anlieger müssen zahlen, weil die Gemeinde es so will?
Im Prinzip ja, aber die Straßenausbaubeitragssatzung enthält eine Einschränkung. Und die lautet: Die Gemeinde erhebt „Beiträge von den Grundstückseigentümern, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser öffentlichen Einrichtung besondere wirtschaftliche Vorteile bietet.“ Haben die Grundstückseigentümer der Beerstraße besondere wirtschaftliche Vorteile?
Aus der Sicht der Anlieger stellt sich die Sachlage wie folgt dar: „Der Zustand der Beerstraße ist die Folge der massiven Nutzung durch landwirtschaftliche Fahrzeuge, die sich im Laufe der Zeit mehr und mehr in Industriefahrzeuge gewandelt haben.“ Sie verweisen also auf die Verursacher der Schäden. Und damit auf ein grundsätzliches Problem: Dass viele Straßen von vielen anderen Verkehrsteilnehmern benutzt werden. Wer hat die Schäden verursacht und bietet die Sanierung „besondere wirtschaftliche Vorteile“ für die Grundstückseigentümer? Diese Fragen wurden in der Ausschusssitzung nicht erörtert.

 

Soll die Beerstraße saniert werden? Der Ausschuss sagte ja.

Aus Sicht der Gemeinde Alfhausen bestünde – durch die Sanierung der anliegenden Kreisstraße K 145 – die Möglichkeit, die Beerstraße „in diesem Zuge mit vergleichsweise geringem Kostenaufwand zu sanieren.“ Würde später saniert, würde es teurer.
In der Anliegerversammlung sprachen sich die Betroffenen jedoch klar dafür aus, dass die Sanierung der Beerstraße als „nicht notwendig angesehen“ wird. Sie verweisen darauf, dass die schwersten Schäden an den Einmündungspunkten bestehen und darauf, dass „diese Defekte im Rahmen anderer Sanierungsmaßnahmen behoben werden.“ Gehör fanden sie mit ihren Einlassungen nicht.

Der Ausschuss entschied: Die Beerstraße wird saniert und die Gemeinde erhebt Straßenausbaubeiträge in Höhe von 50% der Gesamtkosten – so lautet die Beschlussvorschlag, der in der Gemeinderatssitzung zur Abstimmung gestellt wird.

Mit einer 50-Prozent-Belastung, gleichmäßig auf die vier Anwohner verteilt, soll die Beerstraße anders (und geringer) belastet werden als nach der geltenden Straßenausbaubeitragsverordnung. Bei einer „prozentualen Höhe der Beteiligung der Anlieger kann man im Einzelfall von den Festsetzungen der Satzung abweichen“, sagte Bürgermeister Wübbolding. Aber wer ist so ein Einzelfall und wer nicht? Auch solche Einzelfall-Entscheidungen, für die es keine für alle gleichen Kriterien gibt, tragen landauf landab zum Unmut vieler Bürger bei.

Der § 1 der Beitragssatzung Alfhausen. Nach Meinung so mancher Juristen verletzten die bestehenden Beitragsregelungen den Gleichheitsgrundsatz.

Der § 1 der Beitragssatzung Alfhausen. Nach Meinung so mancher Juristen verletzten die bestehenden Beitragsregelungen den Gleichheitsgrundsatz.

 

Gilt das Recht des Reicheren und Stärkeren?

„Schauen Sie sich mal viele Gemeinden um Starnberg herum an“, sagte Prof. Dr. Rainer Kalweit aus Cobung* in einer Präsentation zum Thema Straßenausbaubeiträge, „das ist eine der reichsten Gegenden Deutschlands. Fragen Sie mal die Anlieger und Bürgermeister, warum dort nichts gemacht wird. Da wohnen nämlich überall die besten Rechtsanwälte, Richter und Gerichtspräsidenten, Juraprofessoren usw. der Universitäten München, Ulm und Augsburg, die einem Bürgermeister mit Klagen bis zur dritten Instanz richtig weh tun können.“
Nicht wenige Experten sehen in der derzeitigen Praxis der Beitragserhebungen für die Erneuerung und Verbesserung von Straßen einen Verstoß u.a. gegen Artikel 3 und 14 des Grundgesetzes, da Straßen nicht nur von Anliegern sondern auch von der Allgemeinheit genutzt werden. Die ungleichen Anwendungen seien ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.

 

Landesregierung will neue Möglichkeiten eröffnen.

Nach Recherchen des NDR Regionalmagazins „Hallo Niedersachsen“ haben sich in Niedersachsen inzwischen mehr als 50 Bürgerinitiativen gegründet, die gegen die Straßenausbaubeitragssatzungen mobilisieren.
Die rot-grüne Landesregierung kündigte im November ein Gesetz an, das eine weitere Möglichkeit eröffnen soll, Grundstückseigentümer an der Sanierung von Straßen zu beteiligen, um die Lasten auf mehrere Schultern zu verteilen

Derzeit finanziert, laut „Hallo Niedersachsen“, bereits jede 3. niedersächsische Kommune die Straßensanierung nicht per Anlieger-Beteiligung, sondern aus anderen Quellen, z. B. über die Grundsteuer. Damit werden die Kosten auf alle Immobilienbesitzer einer Gemeinde verteilt.

Das Land Niedersachsen will eine weitere Möglichkeit eröffnen, bei Straßensanierungen nicht nur die Anlieger zu belasten.

Das Land Niedersachsen will eine weitere Möglichkeit eröffnen, bei Straßensanierungen nicht nur die Anlieger zu belasten.

 

„Wiederkehrende Beiträge – nicht nur von Anliegern.

Die niedersächsische Landesregierung will Kommunen die Möglichkeit eröffnen, „wiederkehrende Beiträge“ zu erheben. Diese Beiträge sollen in regelmäßigen, meist jährlichen Abständen von allen oder einem abgegrenzten Kreis von Grundstückseigentümern in der Gemeinde erhoben werden.
„Sie erleichtern“, so die Landesregierung, „gegenüber den einmaligen Beiträgen die breitere Verteilung der Lasten, weil nicht nur die Anlieger einer bestimmten auszubauenden Straße zu den Beiträgen von der Gemeinde herangezogen werden, sondern alle Anlieger der zu einer sogenannten Abrechnungseinheit zusammengefassten Straßen. Weil die Beiträge für eine Ausbaumaßnahme auf eine größere Gruppe von Beitragspflichtigen verteilt werden, sind sie für den Einzelnen weniger belastend.“
Über die Grundsteuer finanzieren? Weiterhin nach den bisherigen Satzungen? Mit einer geringeren prozentualen Beteiligungen der Anlieger? Nach Straßen differenzieren? Demnächst über „wiederkehrende Beiträge“? Mit ihrem Antrag fordern die Grünen in Bersenbrück zu einer Debatte über eine andere Ausgestaltung der Straßenausbaubeitragssatzung auf. Für die Kommunen geht es um viel Geld. Für Grundstücksbesitzer auch. Aber es geht nicht nur ums Geld, sondern auch darum, wie fair und gerecht es in einem Gemeinwesen zugeht.

 

* Prof. Dr. Rainer Kalwait aus Coburg sprach als Sprecher der „Vereinigten Bürgerinitiativen für gerechte Kommunalabgaben im Freistaat Bayern. Landesverband Bayern im AvgK“. Siehe auch www.igs-lindau.de

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