Asylbewerber: Wer darf bleiben? Wer muss gehen?

Die RichterInnen des Verwaltungsgerichts Osnabrück entscheiden über ein Schicksal nach dem anderen. Wie urteilen sie in Sachen Abschiebung? klartext stellt in einer Serie einige Fälle vor.

Ein Blick in einen Gerichtssaal des Verwaltungsgerichts Osnabrück. Als klartext zu einer Verhandlung kam, saß an diesem Tisch eine Einzelrichterin, deren Robe hier zu sehen ist.

Ein Blick in einen Gerichtssaal des Verwaltungsgerichts Osnabrück. Als klartext zu einer Verhandlung kam, saß an diesem Tisch eine Einzelrichterin (deren Robe hier zu sehen ist).

Von den gut 300 Flüchtlingen bzw. Asylbewerbern in den Orten der Samtgemeinde Bersenbrück warten noch viele auf die Entscheidung, ob sie bleiben dürfen oder nicht. Die Menschen kommen aus vielen Ländern und beantragen aus sehr unterschiedlichen Gründen Asyl. Wer darf bleiben? Wer muss gehen? Das erste Wort spricht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF). Das erteilt einen Bescheid – gegen den der/die Betroffene in einem Rechtsstaat wie dem unseren Klage einreichen kann.

Asylantrag wegen religiöser Verfolgung.

Eines fällt schon bei oberflächlicher Beschäftigung mit Urteilen des Verwaltungsgerichts Osnabrück auf: Die Schicksale, mit denen es die RichterInnen zu tun haben, könnten unterschiedlicher nicht sein. In diesem 1. Fall, mit dem sich klartext befasst, geht es um einen Asylantrag wegen religiöser Verfolgung.

Asyl kann nach geltendem Recht (Genfer Flüchtlingskommission) beantragt werden „aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“.

Das Bundesamt entschied: Der Mann wird abgeschoben.

Ein Mann aus Pakistan, mit dem sich das Gericht befasste, kam 2012 nach Deutschland und hatte Asyl beantragt, weil er in seiner Heimat religiös verfolgt wird. 2 1/2 Jahre nach der Ankunft des Mannes hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2015 entschieden: Der Pakistani muss Deutschland wieder verlassen, er wird abgeschoben. Dagegen klagte der Mann. Und so lag seine Zukunft Ende 2015 in den Händen einer Einzelrichterin, die ein Urteil in dieser „Verwaltungsrechtssache“ sprechen musste.

Willkommenskultur auf beiden Seiten und auch ein schönes Miteinander von Jung und Alt.

Treffen mit Flüchtlingen in Alfhausen. So mancher Syrien-Flüchtling gehört der Religionsgemeindschaft der Jesiden an.

Im Heimatdorf verfolgt: Das reicht nicht, um zu bleiben.

Vorgetragen hatte der Mann beim Bundesamt, dass er in seinem Dorf wegen seiner Religion z. B. von Mullahs auf der Straße zusammengeschlagen wurde und dass Mullahs in sein Haus eindrangen und seine Familienmitglieder schlugen. Er habe in seiner Gemeinde auch Wachdienst geleistet, um Übergriffe zu verhindern. Dass der Mann in seinem Dorf aus religiösen Gründen verfolgt wurde, reicht nicht, um in Deutschland bleiben zu können, so sah es auch die Richterin. Dennoch sprach sie am Ende das Urteil, dass der Mann ein Recht auf Asyl hat. Warum? Da waren mehrere Fragen zu klären.

In Pakistan gehören die Ahmadi zu den Menschen mit dem besten Bildungsgrad. Sie machen nur knapp 2 % der Gesamtbevölkerung aus, repräsentieren aber etwa 20 % der gebildeten Bevölkerung.

Wie gefährdet ist der Mann andernorts in Pakistan?

Der Asylbewerber gehört der muslimischen Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya an. Das war ein entscheidender Punkt in diesem Fall. Zur Lage der Ahmadis in Pakistan zog das Gericht einen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom Juli 2015 heran. In dem war z. B. zu lesen: „Die islamische Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya wird von den meisten muslimischen Geistlichen in Pakistan nicht als muslimisch anerkannt.“

Es folgt dann eine Beschreibung, welchen Gefährdungen Ahmadis im ganzen Land ausgesetzt sind. „2014 verloren insgesamt 11 Ahmadis bei gezielten Angriffen ihr Leben“, sagt das Auswärtige Amt in seinem Bericht. Für das Gericht stellte sich die Frage, ob der Mann, wenn er abgeschoben wird, an einem anderen Ort in Pakistan leben kann; an einem Ort, wo er nicht um seine Existenz oder sein Leben fürchten muss.

Die Religionsgemeinschaft Aymadiyya hat eine deutsche Webseite. Screenshot: http://www.ahmadiyya.de

Die Religionsgemeinschaft Aymadiyya hat eine deutsche Webseite. Screenshot: http://www.ahmadiyya.de

Ist der Mann überhaupt ein „bekennender Ahmadi“?

In Gefahr sind in Pakistan Ahmadis, die sich offen zu ihrem Glauben bekennen und ihn praktizieren. Nicht jedem Menschen ist der Glaube gleich wichtig. So gibt es auch zahlreiche Mitglieder christlicher Kirchen, die zwar Mitglied der Kirche sind, ihren Glauben aber gar nicht sichtbar und bekennend leben.

In Deutschland hat die „Ahmadiyya Muslim Jammat (AMJ)“, also die religiöse Gemeinschaft der Ahmadi, über 35.000 Mitglieder. Sie ist schon lange hier verankert. Bevor türkische Muslime in großer Zahl nach Deutschland kamen, war die AMJ der wichtige Repräsentant des Islam, so z. B. 1966 beim christlich-muslimischen Dialog in der Kath. Akademie der Erzdiözese Freiburg.

Ist der Mann überhaupt ein bekennender Ahmadi? Die Richterin, das zeigt das 13-seitige Urteil, befasste sich intensiv mit der Frage, ob der Mann seinen Glauben nur vorschiebt, um als Asylbewerber anerkannt zu werden, oder ob der Glaube tatsächlich von zentraler Bedeutung ist für sein Leben.

Der Mann konnte dem Gericht glaubhaft vermitteln, dass er seinen Glauben bereits in Pakistan aktiv gelebt hat. Er konnte auch glaubhaft vermitteln, dass er, seitdem er in Deutschland ist, seinen Glauben bekennend lebt – in einer Weise, für die ihm in Pakistan Verfolgung drohen würde.

verwaltungsgericht

Das Urteil: Der Pakistani hat ein Recht auf Asyl.

Das Gericht stellte fest: 1. Für diesen Asylbewerber ist es von zentraler Bedeutung, seinen Glauben aktiv und offen zu leben. 2. Bekennende Mitglieder der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind in ganz Pakistan von Verfolgung bedroht. Eine „inländische Fluchtalternative“, so das Gericht, besteht für bekennende Ahmadis nicht. Darum lautete das Urteil: Dieser Asylbewerber aus Pakistan hat ein Recht auf Asyl.

In der nächsten Folge: Dürfen zwei albanische Asylbewerber (Roma) abgeschoben werden?

 

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