Bis 14. August: Ich bin mal etwas länger weg

Gornergrat & Gletscher: Eine wunderbare Welt lag mir, in einem August-Urlaub vor 45 Jahren, zu Füßen. Eine immer und ewig währende Herrlichkeit, dachte ich damals…

Atemberaubend! „What a wonderful world…“ von Louis Amstrong: Noch immer einer meiner Lieblingssongs.

Wohin geht’s im Urlaub? Alle Jahre wieder ein Thema, über das gerne geredet wird. Ich habe viele alte und uralte Bilder aus vielen Ecken der Welt. Dazu kommen die Filme im Kopf. In diesem Erinnerungsschatz krame ich gelegentlich. Was zumeist dazu führt, dass ich beim Nachdenken über vieles lande, was uns heute weltweit unter den Nägeln brennt, brennen sollte.

Ich hatte das große Glück, beruflich Dutzende Traumziele ausgiebig zu bereisen: Seychellen-Inseln und thailändische, Mauritius, Sri Lanka, europäische Inseln, Kenias Küste, die Serengeti usw. Das Highlight war ein Auftrag, zu über 20 Karibik-Inseln je eine Broschüre zu schreiben. Dass ich teils mehrfach auf großartigen „Islands in the Sun“ unterwegs sein durfte, war die Folge eines Projekts zur Förderung des Tourismus in der Karibik, finanziert mit Unterstützung der Europäischen Kommission.

 

Die Welt bereisen, die Welt erhalten: Wie beides unter einen Hut bekommen?

 

Großartige Natur – die nicht mehr da ist.

1979 war ich erstmalig in der Karibik unterwegs – von Martinique Insel für Insel runter bis nach Trinidad & Tobago.

An vielen Stränden früher Strandgut gesammelt.

Zurückgekommen bin ich mit einem Kopf voller Bilder von völlig unberührten Insel-Arealen mit großartigen menschenleeren Stränden, nicht säuberlichst gereinigt, sondern bedeckt mit natürlichem Strandgut, das zum Sammeln einlud; von lauschigen Buchten, kleinen Fischerdörfern, wunderbaren Unterwasserwelten usw. Über das Strandgut, das ich auf meinen frühen Reisen gesammelt habe, freue ich mich noch heute. In den letzten 30 Jahren ist nichts dazugekommen. Alles sollte und muss vor Ort bleiben, weil Natur so selten geworden ist.

20 meiner Berufsjahre waren von reger Reiserei geprägt. Viele Traumziele habe ich im Laufe der Jahre mehrfach besucht und dabei festgestellt: Meine schönen Erinnerungen waren besetzt: mit mächtigen Hotelklötzen und ausgedehnten Apartmentanlagen; auf einst menschenleeren Stränden nun keine Handbreit Platz mehr, überwiegend Touristisches, wo einst normales Leben war, Plastik über Plastik…

Habe See und Flamingos in schönster Erinnerung.

Das Ziel des damaligen EU-Projekts wurde jedenfalls erreicht: Tourismus über Tourismus auf den Karibik-Inseln. Würde er helfen, Armut zu lindern, wie ich damals, als ich kräftig daran mitgeschrieben habe, hoffte? Vieles habe ich mir damals jedenfalls nicht vorstellen können: z. B., wie viel Natur wie schnell und gewaltig auf der Strecke bleiben würde, oder auch, wie rasant sich die Plastik-Welle zum verheerenden weltweiten Dauer-Tsunami entwickeln würde.

Wenn ich heute im Internet surfe, tun sich oft Welten auf zwischen meinen Erinnerungen und dem, was die Leute heute so schreiben. Wenn sie z. B. ihre Enttäuschung darüber ausdrücken, dass es am Lake Nakuru in Kenia kaum mehr Flamingos gibt, weil die dort keine Nahrung mehr finden.

Klar, die Welt verändert sich ständig. Was die Natur angeht, hat sie sich aber noch nie so schnell und drastisch zum Negativen verändert wie in den letzten Jahrzehnten. Wie retten, was noch zu retten ist? Zu den Engagierten im Tourismus gehört „Ethical Traveler“. Die veröffentlichen einmal im Jahr eine Liste von 10 Ländern, die sich verstärkt um den Umweltschutz, einen ökologischen Tourismus, um Menschenrechte und das Sozialwesen bemühen.

Die ethischen Reiseziele 2017: Belize (grenzt ans Karibische Meer), Chile, Costa Rica, Dominica, Kapverden, Mongolei, Palau (im Pazifischen Ozean), Uruguay, Vanuatu und Tonga im Südpazifik. https://ethicaltraveler.org

 

Die Dominica-Broschüre. Titelbild: Paul Spierenburg.

Naturwunder Dominica.

Die Karibik-Insel Dominica, habe ich im letzten Jahr entdeckt, steht auf dieser Liste von „Ethical Traveler“, und sie ist auch 2017 wieder mit dabei. Auf Dominica sprach man schon 1979 davon, einen sanfte Tourismus entwickeln zu wollen.

Dominica hält den Spitzenplatz, was meine Karibik-Erinnerungen angeht. Traum hoch drei, sozusagen. Mit tropischem Regenwald, Nebel- und Mangrovenfelder, Vulkanen, heißen Quellen, einer Bergkette von Norden nach Süden, unzähligen Flüssen und Wasserfällen, einer einzigartig vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt, allein 55 Orchideenarten, seit 1997 Unesco-Weltnaturerbe. Keine Broschüre habe ich Mitte der 1980-er Jahre lieber geschrieben als die über Dominica, 751 km² groß (etwas kleiner als Berlin), gut 72.000 Einwohner.

 

Screenshot: www. zsl.org.

Immer noch in Erinnerung: „Mountain Chicken“.

1979, bei meinen ersten Dominica-Besuch, habe ich abends in einem paradiesisch gelegenen Restaurant „Montain Chicken“ bestellt. Klang nach Hühnchen, sah auf dem Teller aus wie Hühnchenschenkel, schmeckte kreolisch-köstlich nach Hühnchen, war aber – Frosch: Schenkel vom sehr großen Antillen-Ochsenfrosch. Erfahren habe ich das erst Tage später bei einer Insel-Tour, als uns ein großer Frosch gezeigt und erklärt wurde, der würde eines Tages auch als Nationalgericht „Montain Chicken“ auf dem Teller enden.

Beeindruckend schön sah dieser Frosch mit seinen sehr großen Augen aus. Nun ja, jeder isst, was er hat, wir Huhn, andere Frosch, dachte ich mir. Aber nach der Begegnung mit dem Hüpfer war mir dann doch der Appetit auf Frosch vergangen.

Ein Naturstrand in den Zeiten, als der Siegeszug von Plastik noch nicht begonnen hatte.

Dominica bedeutet, Einzigartiges zu erleben.

Frosch gibt’s, glaube ich, auf Dominica nicht mehr. Der ist durch eine Pilzerkrankung fast ausgestorben. Ansonsten scheint die Insel ein Naturparadies geblieben zu sein. Für mich ist Dominica ein Gesamtkunstwerk der Natur. Ein Naturwunder, wie es das kaum mehr gibt – mit zumeist sehr armen Menschen.

Dominica könnte nach den Verwüstungen durch den Hurricane Katrina (2015) mehr Urlauber gebrauchen. Es gibt keine Billigangebote für dieses Eiland, und genau darum ist es eine Perle geblieben. Es würde sich jedoch lohnen, die eine oder andere Reise nicht zu machen, um für einen Dominica-Urlaub zu sparen. Einzigartiges zu erleben wäre die Belohnung, und den Erinnerungsspeicher mit Bildern zu füllen, die ein Leben lang nicht verblassen.

 

Und die Moral von den Urlaubsgeschichten?

Mein Blick auf so manches Bild hat sich verändert. So ist der Schnappschuss vom Gornergrat eine Erinnerung an einen atemberaubenden Moment während eines Urlaubs in Zermatt, aber ich sehe darin zugleich Gletscher-Schmelze und Klimawandel. Wir stehen in der Verantwortung. Alle, Politik wie jeder einzelne Bürger, können an vielen, vielen Stellschrauben drehen.

Das war im Mai diesen Jahres.

Für mich ist eine scheinbare Kleinigkeit aus dem Bereich Kosmetik zum Sinnbild für verantwortungslosen Irrsinn geworden, den wir uns leisten: Seit einigen Jahren gibt es Peeling-Produkte mit Mikroplastikteilchen. Niemand braucht sie, denn es gab schon vor dieser „Erfindung“ -zig Produkte dieser Art ohne Plastik – mindestens ebenso gute, sogar bessere. Nun also noch mehr Plastikmüll allüberall. Warum darf das sein? Warum kaufen wir das Zeug?

Musste die Kosmetikindustrie Rezepturen ändern, weil wissenschaftlich nachgewiesen wurde, dass bestimmte Lichtschutzfilter das Sterben von Korallenriffen befördern? Nein, das musste sie immer noch nicht. Diese Filter stecken weiterhin in Sonnenschutzmitteln und sogar in Gesichtscremes, mit denen wir im Urlaub ins Meer gehen.

Hawaii, wurde gerade erst gemeldet, will nun handeln, um sein Naturwunder Korallenriffe zu schützen. Warum haben wir nicht längst gehandelt? Warum wurden die europäischen und amerikanischen Kosmetikkonzerne nicht schon vor Jahren dazu verdonnert, diese Lichtschutzfilter nicht mehr einzusetzen? Guten Sonnenschutz gibt es auch ohne diese Filter.

Zum G20-Gipfel in Hamberg werden Tausende friedlicher Demonstranten die Politik und uns alle an die großen Fragen dieser Zeit und an unser aller Verantwortung erinnern. Hoffentlich gelingt es, den Gewaltbereiten keinen Raum zu geben – damit die Friedlichen, die in Hamburg zusammenkommen, gehört werden.

Den Urlaub und das Leben genießen, sich engagieren, beitragen zum Erhalt von Umwelt und Natur: Für mich schließt das eine das andere jedenfalls nicht aus. In diesem Sinne wünsche ich eine schöne Urlaubszeit!

Rita Stiens

 

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