Eine Schatztruhe! Bald vielleicht auch ein Café

Beim leidenschaftlichen Sammler Holger Paulsen ist Ungewöhnliches nicht ungewöhnlich. In seinem Gehrder Haus verschlägt es einem vor lauter Staunen aber glatt die Sprache.

Reich an Geschichte und Geschichten: Dieses Haus von Holger Paulsen in der Langen Straße in Gehrde.

Es war einmal in Gehrde: Ein altes Haus in der Langen Straße 60, in dem es bis Mitte 2016 einen kleinen Lebensmittelmarkt gab. Verkauft wurde dieses Haus an Holger Paulsen, einen weit über die Samtgemeinde hinaus bekannten Sammler großer und kleiner historischer Schätze. Ein altes Haus in Gehrde auf dem Weg zu neuer alter Schönheit, in dem auch ein Café entstehen soll: Darüber wollte klartext eine Geschichte schreiben. Am Ende des Besuchs ist jedoch klar: Es sind mindestens zwei Geschichten, die erzählt werden müssen, denn das Haus ist eine überwältigende Fundgrube.

Das älteste Fenster.

„Da bin ich noch nicht durch“, ist ein Satz, den Holger Paulen an diesem Nachmittag vor Schubladen, Schränkchen, Wannen usw. mehrfach sagt. Weitestgehend durch ist er jedoch mit dem vorderen Haupthaus. Der Fensterbauer hat ihn versetzt, der Maurer war auch nicht wie verabredet da, aber in drei Wochen, ist Paulsen optimistisch, ist das Haupthaus fertig. In den unteren Räumen soll, wäre sein Wunsch, ein Café entstehen, für das sich aber erst noch ein Betreiber finden muss.

 

Ein Haus mit 3 statt nur 2 Giebeln.

Im Hinterhaus blieb die Zeit stehen.

Eigentlich, erzählt Holger Paulen, suchte er nur nach einer günstigen Investition. Gefunden hat er im Zentrum von Gehrde ein Haus, in seinen allerersten Anfängen mal ein Fachwerkhaus, das durch eine Erweiterung im Jahr 1880 zu einem Drei-Giebel-Haus wurde. Dem seinen Glanz des 19. Jahrhunderts zurückzugeben, wäre allein schon eine herausfordernde Aufgabe gewesen. Doch damit nicht genug: Es gibt nach hinten hin auch noch ein Nebenhaus – und das ist eine veritable Sensation.

Die untere Werkstatt: Was aussieht wie Chaos und Schrott entpuppt sich beim näheren Hinsehen als Schatz.

Dieses Gebäude beherbergt uralte Werkstätten: unten eine Dreherei & Fräserei und oben eine Uhrmacherwerkstatt. Aber das ist die Geschichte No. 2, die klartext demnächst erzählen wird.

Braun vor Rost: Das Motorrad von 1920.

Meine Frau sieht vor allem die Arbeit, die mit alledem hier verbunden ist, sagt Holger Paulsen. Dem Besucher geht es ebenso. Paulsen dagegen strahlt vor Glück ob der immer noch unabsehbar vielen Überraschungen, die überall schlummern. Wenn denn ein Café im Haupthaus eröffnet wird: Das Motorrad von 1920 möchte er von Rost befreien und dann dort als Blickfang an die Wand hängen. Und der alte Kühlschrank von Bosch, der soll ebenfalls aufgemöbelt werden und seinen Platz in der Café-Küche finden. Womit wir wieder im Haupthaus wären.

 

Extra angefertigt: Der Schlüssel.

An allen Ecken und Enden: Liebe zum Alten und zum Detail.

Dass auch dieses Haus eine dicke Überraschung bereit hält, ist im Erdgeschoss noch nicht zu ahnen. Zu ahnen ist jedoch, was die Wiedererweckung des Hauses an Einsatz erforderte. Aus dem Jahr 1930 stammt die neue alte Eingangstür, die sich auf dem Dachboden fand, erzählt der neue Hausbesitzer. Für die gab es aber keinen Schlüssel mehr. Jemanden zu finden, der einen machen konnte, war schon eine Aufgabe für sich. Schön warm ist es überall im Haus, denn es bekam, was es bislang nicht gab: eine moderne Heizung. Begeistert ist Holger Paulsen aber weitaus mehr vom ältesten Fenster des Gebäudes, das den Raum rechts des Eingangs ziert.

 

Der Clou oben: Wohnen im 50-ger-Jahre-Look.

Die 50-ger Jahre, das waren Nierentische, der Käfer, Elvis, Petticoat und Vespa. Beim Gang nach oben hätte einem schon schwanen können, was kommt, denn auf einer Treppenstufe steht ein kleiner Nierentisch – in der Tat ein Vorbote.

Wohnkomfort der 50-er Jahre.

Das Wohnzimmer: Wow! „Man haust nicht mehr – man wohnt wieder“, war in den 50-er Jahren z. B. in der Zeitschriftenwerbung eines Möbelherstellers zu lesen. Und hier, im Wohnzimmer von Holger Paulsen, findet sich alles, wovon man in Deutschland in den Wirtschaftswunderjahren träumte. Typisch für den Stil dieser Zeit sind organische Formen wie beim Nierentisch oder beim Cocktailsessel. Auf keinen Fall fehlen durften die dünnen Beine. Gut gepolsterte Sessel mit schmalen, leicht schräg gestellten Holzbeinen waren die Eyecatcher der damaligen Zeit. Zur Couch gab es aber meist keinen filigranen Nierentisch, sondern einen großen Couchtisch, der auch als Esstisch benutzt wurde. Sehr beliebt waren Tische, die in der Höhe mit einer Kurbel verstellbar waren.

Das Besondere am Nachkriegsdesign sei, sagte einmal der Designverleger Richard Lampert, dass es nahtlos an die ornamentfreie Moderne vor den Nationalsozialisten anschließt. Stichwort Bauhaus. Das Design der 50-er und 60-er prägten Persönlichkeiten, die zu  Design-Ikonen wurden, darunter Egon Eiermann, Erbauer der Berliner Gedächtniskirche (1959), Skandinavier wie Alvar Aalto oder der Amerikaner Charles Eames.

Original 50-er auch im Schlafzimmer.

Das Schlafzimmer: Traum vom „Wohnraum-Doppelbett“. Wohnraumnot machte erfinderisch. Angesichts des großen Wohnungsmangels im kriegsgezeichneten Deutschland lautete eine Werbung für Schlafzimmermöbel dann so: „Das Wohnraum-Doppelbett, eine Erfindung, die in der Zeit der Raumnot besonders wertvoll ist. Millionen Menschen vermag das Wohnraum-Doppelbett Komfort und häusliche Behaglichkeit zu vermitteln.“

Retro-Lichtschhalter.

Holger Paulsen verdankt seine Schlafzimmer-Behaglichkeit im 50-er-Jahre-Stil einer Haushaltsauflösung. Kommoden jeder Art – wie in diesem Raum als Frisierkommode – waren damals für alle Räume ebenfalls ein großer Hit. Als Holger Paulsen das Licht anmachen will, eine weitere Entdeckung. Erst da fallen dem Besucher die Lichtschalter auf. Auch die sind natürlich nicht von der Stange, sondern Retro: Es sind Bakelit-Drehschalter. Den Elektro-Fachmann hat Holger Paulsen praktischerweise mit seinem Schwiegersohn gleich in der Familie. Man könnte ein Buch mit all‘ den Details füllen, die es zu den Besonderheiten dieses Hauses und zu dessen Umbau zu erzählen gibt.

 

Bad mit frei stehender Wanne.

Was er damit machen will?

Gefragt, was er mit dieser einzigartigen Wohnung machen will, lacht Holger Paulsen. Die Antwort: „Keine Ahnung.“ Es wird sich schon was finden. Das alles so herzurichten, bereitet ihm jedenfalls ein unglaubliches Vergnügen. Ein 50-ger Jahre Gäste-WC gibt es auch noch und ein Badezimmer mit direkter Verbindung zum Schlafzimmer. Dessen Prunkstück ist die frei stehende Badewanne. Die hat Holger Paulsen im Internet aufgestöbert.

Klinker im „Deutschen Reichsformat“.

Was manchem im Vorbeigehen vielleicht gar nicht auffallen wird: Die Fassade bekam eine neue, originalgetreue Verklinkerung. Von drei Seiten zeigt sich das Haus nunmehr wieder von seinen besten historischen Seiten. Nur der Giebel zum Garten hin wurde aus statischen Gründen ausgespart. Er wäre zusammengebrochen, wenn dort die Klinker ausgetauscht worden wären. „Deutsches Reichsformat, 25,5 cm x 5,6 cm“, woher solche Klinker bekommen? Leicht war es nicht, die aufzutreiben, aber auch das gelang.

In diesem Werkstatt-Hinterhaus gibt es noch Mengen von Schätzen zu heben.

Vieles hat Holger Paulsen inzwischen geschafft. Eine Herkules-Herausforderung hat er allerdings noch vor sich: die Werkstätten-Schatztruhe im Nebenhaus. Daraus soll ein für die Besucher spannendes Museum werden. Die Schätze heben, alle Maschinen wieder zum Laufen bringen und und und. Mehr dazu in der zweiten klartext-Geschichte.

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