Flüchtlinge: Schaffen wir das auch hier?

Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier und Maike Korfage, „die Neue“ für die Flüchtlingssozialarbeit.  Foto Samtgemeinde.

Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier und Maike Korfage, „die Neue“ für die Flüchtlingssozialarbeit. Foto Samtgemeinde.

Auf wie viele Flüchtlinge müssen wir uns einstellen? Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier nennt Zahlen, spricht über Chancen, Probleme, finanzielle Belastungen und sagt ja zu Abschiebungen von neuen Asylbewerbern aus Ländern wie Serbien, Kosovo und Albanien.
Wir schaffen das, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Bislang war auch die Samtgemeinde der Herausforderung Flüchtlinge gewachsen. Wie schwierig wird es, wenn immer mehr Menschen kommen? Das derzeit größte Problem: Die Flüchtlinge brauchen Wohnraum, aber nicht nur sie. „Wir müssen“, so Horst Baier, „für die deutschen Geringverdiener schnell neue bezahlbare Wohnungen schaffen, da sich derzeit die Konkurrenzsituation auf dem Mietmarkt drastisch verschärft.“

 

Herr Dr. Baier, wie sieht die Flüchtlingssituation derzeit aus?

Die Samtgemeinde Bersenbrück hat derzeit knapp über 100 Flüchtlinge in verschiedenen Gemeinden untergebracht. In dieser Zahl sind verschiedene Formen des Aufenthaltsstatus zusammengefasst, also auch schon anerkannte Flüchtlinge mit einem Anrecht auf Leistungen der Sozialhilfe (SGB II).

„Ich erwarte bis zum Jahresende weitere 40 Flüchtlinge, die wir auch noch unterbringen können.“

In den letzten Wochen waren die verantwortlichen Mitarbeiter Herr Schulte und Herr Loxterkamp unermüdlich im Einsatz, um Wohnungen und Häuser für die Unterbringung zu finden. Ohne den Einsatz und die Unterstützung auch vieler anderer Menschen wäre dies nicht gelungen. Letztes Jahr habe ich dem Samtgemeinderat die Einrichtung einer neuen Stelle für Flüchtlingssozialarbeit vorgeschlagen, obwohl wir dafür nicht zuständig sind und keine Kostenerstattung bekommen.

Die Aufnahmestelle Hesepe ist inzwischen dramatisch überbelegt: Screenshot www.lab.niedersachsen.de

Die Aufnahmestelle Hesepe ist inzwischen dramatisch überbelegt: Screenshot www.lab.niedersachsen.de

Über die Personalverstärkung bin ich mittlerweile heilfroh, da das Telefon von Frau Korfage mittlerweile nicht mehr stillsteht. Viele Bürger bieten glücklicherweise ihre Unterstützung an. Ohne koordinierende Stelle und ohne Unterstützung der freiwilligen Integrationslotsen würden wir komplett untergehen.

 

Was kommt in den nächsten Monaten auf uns zu?

Ich rechne fest mit einer Neuregelung des Verteilungsschlüssels im Land Niedersachsen für Landkreise und Städte mit Aufnahmeeinrichtungen des Landes. Bislang führte die Existenz der Einrichtung in Hesepe zu einer relativ geringen Zahl von Asylbewerbern in der Samtgemeinde Bersenbrück. Dies wird sich nächstes Jahr ändern.

„… müssen wir uns auf eine Verdoppelung, vielleicht auch Verdreifachung der Zahlen einstellen.“

Zusammen mit der mittlerweile dramatisch ansteigenden Zahl an Flüchtlingen müssen wir uns auf eine Verdoppelung, vielleicht auch Verdreifachung der Zahlen einstellen. Dann wird es auch in der Samtgemeinde richtig schwierig, angesichts des jetzt schon knappen Wohnungsangebotes für eine angemessene Unterkunft zu sorgen.

 

Sind Lösungen in Sicht, um eine Notunterbringung wie zum Beispiel in Turnhallen zu vermeiden?

Der Kauf eines Gebäudes in Alfhausen im letzten Jahr war die richtige Entscheidung. In Kürze können wir hier 7 Wohnungen nutzen. In Ankum steht der Kauf eines weiteren Gebäudes bevor. Anfang September habe ich schriftlich alle Ratsmitglieder und Bürgermeister gebeten, die Augen und Ohren in Bezug auf Wohnungen offen zu halten. Die Ankumer haben sich erfreulicherweise schon früh des Themas angenommen. Der Bürgermeister Brummer-Bange ist hier sehr engagiert.

„Für die nächsten Wochen plane ich einen runden Tisch mit allen Organisationen und engagierten Menschen.“

Ich habe darüber hinaus ein Gespräch mit einem Investor geführt, der Gebäude für Flüchtlinge errichten will. Weiterhin werde ich unser baulich abgängiges Gebäude in der Aslager Straße in Ankum zum Verkauf mit einer Rückmietoption anbieten. Als öffentliche Hand sind wir nicht in der Lage, zu günstigen Kosten Gebäude umzubauen. Allerdings werde ich den Verkauf an Auflagen zur Herstellung einer guten Wohnsituation und zur Durchführung verschiedener Sanierungsmaßnahmen verknüpfen. Ich will hier nicht so agieren wie einige Private, die Gebäude günstig kaufen und dann ohne weitere Investitionen teuer vermieten.

Dieses Haus in Ankum soll hergerichtet und für Flüchtlinge genutzt werden.

Dieses Haus in Ankum soll hergerichtet und für Flüchtlinge genutzt werden.

Für die nächsten Wochen plane ich einen runden Tisch mit allen Organisationen und engagierten Menschen zur besseren Verknüpfung der Hilfsangebote. Mitte August habe ich bereits den Auftrag erteilt, Vorbereitungen zu treffen für den Fall, dass sich die Zahl der Flüchtlinge rasch erhöht.

 

Wie reagiert nach Ihrer Erfahrung die Bevölkerung auf die derzeitige Situation?

Sehr positiv und offen. In der Nachbarschaft von Unterkünften gibt es bislang keine gravierenden Probleme. Das Konzept der dezentralen Unterbringung hat sich bislang voll bewährt. Deshalb ist es wichtig, weiterhin keine zentralen größeren Unterkünfte zu schaffen. Die Hilfsangebote sind sehr umfangreich. Dafür meinen herzlichen Dank an alle engagierten Bürger.

Horst Baier: „Dafür meinen herzlichen Dank an alle engagierten Bürger.“

Horst Baier: „Dafür meinen herzlichen Dank an alle engagierten Bürger.“

Die Samtgemeinde kann selbst keine Hilfsgüter annehmen und verweist hier auf die bestehenden Einrichtungen wie das soziale Kaufhaus oder die Tafel. Hilfreich sind vorwiegend Geldspenden, die direkt an die Samtgemeinde mit dem Stichwort „Flüchtlinge“ oder an die bekannten sozialen und kirchlichen Einrichtungen geleistet werden können. Über den besten Weg hierzu möchte ich am runden Tisch sprechen. Es melden sich glücklicherweise auch viele Vermieter und bieten Wohnraum an. Wir gehen jedem Angebot zeitnah nach. Im Moment sind die Mitarbeiter aber ziemlich ausgelastet.

 

Sind wir in der Samtgemeinde gut genug vernetzt?

Die Hilfsangebote werden derzeit noch nicht ausreichend koordiniert. Hier soll auch unsere Sozialarbeiterin neue Impulse setzen. Ich setze hier auch auf den geplanten runden Tisch. Die Zusammenarbeit mit dem Migrationszentrum des Landkreises ist sehr gut.

 

Wie stark wird die Samtgemeinde durch die Versorgung der Flüchtlinge belastet?

Der Kauf von Gebäuden belastet die Samtgemeinde im Investitionshaushalt und steigert die Verschuldung. Zuständig für die Unterbringung ist der Landkreis Osnabrück, der uns die Mietkosten im Rahmen der gesetzlichen Höhe erstattet. Wir sind aber in der Vorfinanzierung und müssen uns vor der Kommunalaufsicht rechtfertigen.

„Teilweise sind wir auch gezwungen, hohe Mieten zu akzeptieren.“

Weiterhin tragen wir das Risiko bei fehlenden Belegungen unserer Wohnungen. Teilweise sind wir auch gezwungen, hohe Mieten zu akzeptieren, die wir in der gleichen Höhe nicht erstattet bekommen. Ich habe das Thema auf die nächste Tagesordnung der Bürgermeisterkonferenz im Landkreis setzen lassen. Vom Bund und vom Land Niedersachsen gibt es endlich auch zusätzliche Finanzmittel, die allerdings alle beim Landkreis ankommen werden. Daher werde ich auch die Kostenerstattung für unsere Sozialarbeiterin einfordern.
Letzte Woche habe ich zwei Anträge auf Kredite bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau gestellt, die günstige Zinsen für die Schaffung von Flüchtlingswohnungen anbietet. Neben der finanziellen Seite helfen uns natürlich das Angebot von Wohnraum und die ehrenamtliche Unterstützung.

 

Diese syrischen Kinder leben in Alfhausen (mehr dazu hier) und lernen schon jetzt im Kindergarten die deutsche Sprache.

Diese syrischen Kinder leben in Alfhausen (mehr dazu hier) und lernen schon jetzt im Kindergarten die deutsche Sprache.

Welche Herausforderungen sehen Sie in der Zukunft?

Die größte Herausforderung ist zunächst die Unterbringung. Wir müssen dann aber auch die Betreuung der oft traumatisierten Menschen organisieren, die monatelang auf eine Anerkennung warten müssen. Erfreulicherweise kommen auch viele Kinder an, die in Kindergärten und Schulen integriert werden müssen. Darauf sind wir in Bezug auf die zu erwartenden Flüchtlingszahlen noch überhaupt nicht vorbereitet.

„Mit Kindern zu arbeiten, die überhaupt kein Deutsch sprechen, ist eine sehr große Herausforderung.“

Bislang werden die Kinder in die Klassen integriert. Das funktioniert aber nur in gewissen Grenzen. Da muss das Land zusätzliche Lehrkräfte bereitstellen. In Nordrhein-Westfalen hat man das schon verstanden. Wenn der Flüchtlingsstrom so anhält, wird es in einzelnen Schulen eng werden. Hier muss dann über eine Schülerverteilung auf weniger ausgelastete Schulen nachgedacht werden. Für die anerkannten Ayslbewerber stellt sich dann die Frage nach der Integration in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft.

 

Wo liegen die Grenzen des „Wir schaffen das“ in der Samtgemeinde?

Nach dem zweiten Weltkrieg und nach Öffnung des eisernen Vorhanges hat die Samtgemeinde eine unglaubliche Integrationsleistung vollbracht. Darauf bin ich in meiner Rede zum Patenschaftstreffen mit Greifenhagen eingegangen. (Hier die Rede). Daher sollte uns auch die Integration von weiteren Flüchtlingen gelingen. Diesmal wird es aber nicht so einfach, weil Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund zu uns kommen.

„Ich möchte möglichst viele Flüchtlinge für die Samtgemeinde gewinnen.“

Wenn der aktuelle Flüchtlingsstrom so anhält, wird das die Samtgemeinde stärker verändern als die anderen Flüchtlingsströme. Wir werden multikultureller und bunter. Hier bin ich aber zuversichtlich, dass wir das schaffen. Es bereichert unsere Gesellschaft. Neue Mitbürger wollen ihr Leben aufbauen, konsumieren und arbeiten. Dies gibt eine neue wirtschaftliche Dynamik. Wer in Bersenbrück das Reggae-Jam-Festival gut beobachtet, sieht auch eher die Neugierde der Menschen als Ablehnung anderer Lebensformen.

„Es wird auch Widerstände geben und Ängste, wenn die Zahl der Flüchtlinge sehr schnell und stark ansteigt.“

Ich möchte möglichst viele Flüchtlinge für die Samtgemeinde gewinnen. Viele Flüchtlinge neigen dazu, nach der Anerkennung in die Ballungsräume zu gehen, weil sie dort eine größere Community von Landsleuten finden. Die Ballungsräume sind aber jetzt schon überfordert. Und die Arbeit gibt es eher bei uns.
Es wird daher eine spannende Frage sein, wie wir die Menschen hier halten können. Da habe ich noch keine Antworten.
Wir dürfen uns aber auch nichts vormachen. Es wird auch Widerstände geben und Ängste, wenn die Zahl der Flüchtlinge sehr schnell und stark ansteigt. Ich hoffe, dass die derzeit gute Stimmung nicht irgendwann kippt. Und wir müssen für die deutschen Geringverdiener schnell neue bezahlbare Wohnungen schaffen, da derzeit die Konkurrenzsituation auf dem Mietmarkt sich drastisch verschärft. Die Wohnungsbauministerin Hendricks plant ja bereits ein neues Wohnbauförderprogramm, von dem wir hoffentlich auch profitieren können.

Multikulturelles Bersenbrück: Eines der Projekte ist „Windrose – Garten der Nationen“. Die Stadt hat bislang die meisten Flüchtlinge aufgenommen.

Multikulturelles Bersenbrück: Eines der Projekte ist „Windrose – Garten der Nationen“. Die Stadt hat bislang die meisten Flüchtlinge aufgenommen.

 

Welche politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen müssen sich Ihrer Meinung nach ändern?

Deutschland hat sein Image in der Welt mit dem Auftritt von Bundeskanzlerin Merkel und Vizekanzler Gabriel massiv verändert. Die Entscheidung ist einer Notsituation geschuldet und war richtig. Hier spielte sicher auch unsere kollektive Erfahrung mit Vertreibung nach dem zweiten Weltkrieg eine Rolle. Das hat sich natürlich auch in den Flüchtlingslagern schnell rumgesprochen. Der damit erzeugte Sog nach Deutschland wird zu vielen Veränderungen führen, da wir nicht alle Flüchtlinge dieser Welt aufnehmen können.
Die Europäische Gemeinschaft ist leider dabei, sich bei dem Thema zu blamieren. Der Druck wird aber auch hier steigen, dass andere Länder mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen. Darüber hinaus ist unser Ayslrecht nicht mehr funktionsfähig. Dublin III ist faktisch nicht mehr umsetzbar.

Nicht alle, die bleiben möchten, werden bleiben können. Foto: © Monkey Business - Fotolia.com

Nicht alle, die bleiben möchten, werden bleiben können. Foto: © Monkey Business – Fotolia.com

Die Antwort der Bundesregierung auf die unerträglich langen Asylverfahren ist die Einstellung von tausenden von neuen Mitarbeitern. Dies geht in die völlig falsche Richtung. Bis hier Büros geschaffen und die Bürokratie aufgebaut ist, vergehen Jahre. Daher muss pragmatischer gehandelt werden. Angesichts der fast 100%igen Anerkennung von Flüchtlingen aus Syrien und der genauso hohen Ablehnung für den Balkan sollten alle Menschen aus bestimmten Ländern automatisch anerkannt werden, z. B. aus Syrien, Irak und Afghanistan.

„Wir werden daher auch in der Samtgemeinde Szenen von Abschiebungen in frühen Morgenstunden erleben.“

Genauso sind alle Menschen aus Ländern auf dem Balkan wie Serbien, Kosovo und Albanien abzulehnen. Im Gegenzug ist hier eine beschleunigte Aufnahme in die EU oder eine wirtschaftliche Aufbauunterstützung notwendig. Der kosovarische Außenminister Hashim Thaçi hat richtigerweise alle seine Bürger aufgefordert, im Lande zu bleiben, da sich auch dort etwas entwickelt. Wir können nicht dazu beitragen, dass diese Länder ausbluten. Und es muss der Waffenhandel im nahen Osten wirksam unterbunden werden, um die Konflikte zu beenden.
Ein schwieriges Thema wird die Rückführung von Menschen, die eine Ablehnung erhalten haben. Die Landesregierung hat dies faktisch ausgesetzt und wird die Linie nicht mehr durchhalten können. Wir werden daher auch in der Samtgemeinde Szenen von Abschiebungen in frühen Morgenstunden von Menschen erleben, die lange Zeit bei uns waren. Ich plädiere hier dafür, dies nur für neue Asylbewerber umzusetzen und den Menschen, die lange bei uns waren, einen Aufenthalt auf Dauer zu ermöglichen.

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