Jung, tüchtig, lernbegierig sucht Arbeit und Zukunft

Drei aus der jungen Libanesen aus der Männer-WG – Ilie (links), Noor (rechts) und Mahmud – mit der ehrenamtlichen Betreuerin Elisabeth.

Wer in ihrer Männer-WG fürs Staubsaugen zuständig ist? Abwechselnd, lachen die jungen Männer aus dem Libanon. Sie haben es gut – und doch ist gar nichts gut.

„Ich schlafe, esse, und werde immer fetter“, sagt Noor (26) in einem Anflug von Niedergeschlagenheit und Frust. Ganz so leer ist der Alltag aber nicht, zeigen die Gespräche mit ihm und seinen WG-Partnern Mustafa (28), Mahmoud (24) und Ilie (33). 2x die Woche kommt Ruth, die ehrenamtliche Deutschlehrerin, die sehr angetan ist vom Lerneifer ihrer Schüler, und 2x pro Woche lernen sie für jeweils eine Stunde in der Oberschule Deutsch. Außerdem haben die ehrenamtlichen Betreuerinnen Elisabeth und Ulla Wege zu sportlicher Betätigung auf dem Quitt-Sportplatz geebnet. Trotzdem: Nach vier Monaten in Deutschland schlägt die anfangs hoffnungsfrohe Stimmung um. Dankbar sind alle Vier für das, was sie in Deutschland bekommen. Aber genau das, was sie jetzt haben, wollten und wollen sie nicht: Empfänger von Sozialleistungen zu sein. Sie wollen arbeiten.

Drei aus der jungen Libanesen aus der Männer-WG – Ilie (links), Noor (rechts) und Mahmud – mit der ehrenamtlichen Betreuerin Elisabeth.

Drei der jungen Libanesen aus der Männer-WG – Ilie (links), Noor (rechts) und Mahmoud – mit der ehrenamtlichen Betreuerin Elisabeth.

Der Graben zwischen Wunsch und Wirklichkeit wird tiefer.

Endlich in Deutschland! Für die vier jungen Libanesen verband sich damit die Hoffnung, endlich im Leben Fuß fassen zu können. Endlich einen Beruf ausüben zu können. Von alledem sind sie, wird ihnen immer mehr bewusst, sehr weit entfernt – trotz aller Aktivitäten, die sie an den Tag legen. Es gibt einfach nicht, was sie suchen: den direkten Weg ins Arbeitsleben.

Mustafa (2. von links), ist der Vierte im Bunde. Im Wohnzimmer wird Deutsch gebüffelt, und Mustafa ist derjenige, der gerne kocht.

Mustafa (2. von links) ist der Vierte im Bunde. Im Wohnzimmer wird Deutsch gebüffelt, die Hausarbeit wird abwechselnd erledig. Mustafa kocht sehr gerne.

Dass sie eine Vorbildung und Berufserfahrung mitbringen, auch das ändert daran nichts. Ilie hat ein Jahr lang Grafik-Design studiert, Mahmud und Mustafa haben Studiengänge im Bereich Gastronomie bzw. Hotelmanagement absolviert. Noor arbeitete – und er zeigt Handy-Fotos – eine Zeit lang auf großen Baustellen in Katar und verglaste Wolkenkratzer. Jeder spricht zwei Sprachen, Noor sogar drei. Die deutsche Sprache wollen alle so schnell wie möglich lernen, intensiv, in einem richtigen Sprachkurs. In dieser Sache öffnen sich aber auch keine Türen. Es fehlt am alles entscheidenden Türöffner: dem Status.

Familienbilder, Bilder aus besseren Zeiten, als es noch Arbeit gab: Noor zeigt Aufnahmen aus Katar, wo er mal Arbeit hatte und Wolkenkratzer verglaste.

Familienbilder, Bilder aus besseren Zeiten, als es noch Arbeit gab: Noor zeigt Aufnahmen aus Katar, wo er mal Wolkenkratzer verglaste.

Ohne entsprechenden Status kein Anrecht auf einen richtigen Deutschkurs. Elisabeth und Ulla erleben, wie sehr sich „ihre Jungs“ reinhängen, um sprachlich voranzukommen und einen beruflichen Einstieg zu schaffen. Sie möchten helfen, aber es geht kaum voran. Das große Problem: Anders als die meisten Syrien-Flüchtlinge haben die Männer aus dem Libanon eigentlich keine „Bleibeperspektive“, kein Recht auf Asyl, weil sie nicht vor Krieg und Verfolgung flohen. Was keine Bleibeperspektive zu haben für ihr Leben bedeutet, schwant den Männern inzwischen. Die Folgen sind deutlich spürbar: „Die gleiten“, befürchtet Elisabeth, „langsam ins Depressive ab“.

 

Was wäre bei 25 Millionen Flüchtlingen in Deutschland los?

Keine „richtigen“ Flüchtlinge? Noor, Mustafa, Ilie und Mahmoud sehen sich als Kriegsopfer – weil sie vor den verheerenden Auswirkungen flohen, die der Syrien-Krieg auf ihr Land, auf den Libanon, hat. Im Grenzgebiet zu Syrien wird gekämpft, verlaufen Schmugglerrouten für Waffen, Bombenanschläge gegen Schiiten, die radikale libanesische Hisbollah-Miliz kämpft in Syrien auf der Seite von Assad, nahezu 1,2 bis 1,5 Millionen Flüchtlinge im Libanon auf nur 4 Millionen Einwohner! Das Elend der Flüchtlinge im Libanon ist groß, aber die Flüchtlinge haben auch die Lebensbedingungen vieler Libanesen dramatisch verändert. Politisch instabil, religiös zerrüttet, wirtschaftlich am Boden, nennen Korrespondenten solche Verhältnisse. Hätte Deutschland so viele Flüchtlinge aufgenommen wie der Libanon, wären das unvorstellbare 25 bis 30 Millionen Menschen.

Ilie ist ein Christ aus dem Libanon und möchte gerne als Grafik-Designer Fuß fassen. Am liebsten wäre ihm, beides gleichzeitig zu schaffen: Deutsch lernen und zugleich Zugang zu Arbeit finden.

Ilie ist ein Christ aus dem Libanon und möchte gerne als Grafik-Designer Fuß fassen. Am liebsten wäre ihm, beides gleichzeitig zu schaffen: Deutsch lernen und zugleich Arbeit finden.

Sie sind Opfer des Syrienkriegs: Die Menschen im Libanon.

Was die gewaltige Zahl von Flüchtlingen für das Leben der Menschen im Libanon bedeutet, beschreibt Mustafa: meistens kein Wasser, kein Strom, das Schulsystem zusammengebrochen, die Gesundheitsversorgung ebenso, keine Wohnungen, explodierende Preise, Korruption überall im Alltag, Willkür, Gewalt und Gewaltherrschaft – und vor allem keine Arbeit. Die Syrien-Flüchtlinge drängen in den libanesischen Arbeitsmarkt, zahlen nicht nur für gute Jobs viel Schmiergeld, denn es sind nicht wenige Wohlhabende unter ihnen. Schmiergeld, das Menschen wie Mustafa nicht auftreiben können. Selbst einfache Jobs sind nicht mehr zu bekommen, weil von Flüchtlingen besetzt, die zu Hungerlöhnen arbeiten.

Ein Fahrrad gibt es für die WG. Vielleicht finden sich ja noch Spender für weitere Räder, damit nicht mehr als nur eine Person gleichzeitig mobil sein kann.

Ein Fahrrad gibt es für die WG. Vielleicht finden sich ja noch Spender für weitere Räder, damit mehr als nur eine Person gleichzeitig mobil sein kann.

„Meine Mutter wäre vor Angst gestorben“.

Die Aussichtslosigkeit hat die Vier am Ende in die Flucht getrieben, nach Jahren, in denen sie noch Hoffnung hatten, dass es im Libanon doch noch so etwas wie eine Lebensperspektive geben könnte. Kennengelernt haben sie sich erst in Deutschland, in der Erstaufnahmeeinrichtung Friedland.
Gemeinsam ist ihnen, dass sie viel Geld an Schlepper zahlten, um hierher zu kommen – übers Meer und über den Landweg. Mustafa zeigt ein Bild von sich und seiner Mutter. „Sie wäre gestorben vor Angst“, sagt er, „wenn ich den Weg übers Meer genommen hätte.“ Und so nahm er den langen Landweg über Russland und Finnland.

Noor beeindruckt die ehrenamtlichen Betreuerinnen durch seinen ungeheuerlichen Elan, um in Arbeit zu kommen. Nicht von der Stelle zu kommen, wird aber auch immer mehr zur Belastung.

Noor beeindruckt die ehrenamtlichen Betreuerinnen durch seinen enormen Elan, um in Arbeit zu kommen. Nicht von der Stelle zu kommen, wird aber auch immer mehr zur Belastung.

Zermürbend: Die verschlungenen Wege der Bürokratie.

Abwarten, sich weiterhin Monat für Monat in Geduld üben, darauf wollen sich die Vier nicht einstellen. Es muss doch, ist ihr Streben, irgendetwas gehen. Sie suchen nach einem privaten Sprachkurs. 280 € soll der kosten. Und sie suchen weiterhin nach einem Einstieg in einen Job oder ein Praktikum. Was tun, damit mal etwas in Bewegung kommt? Haben Noor, Ilie, Mustafa und Mahmoud eine Chance, sich ein Leben in Deutschland aufzubauen – obwohl sie eigentlich keine Chance haben?
Von morgens um acht bis mittags war Elisabeth vor wenigen Tagen mit ihren „Schützlingen“ in Bersenbrück unterwegs, von einem Amt zum anderen. Und das, nachdem sie bereits viel Zeit am Telefon verbrachte, um zu erfahren, wer wofür zuständig ist. Migrationszentrum, Arbeitsamt, Sozialamt, Caritas – diverse Instanzen und Organisationen sind zuständig und bieten Hilfsangebote. Aber wer genau ist wofür zuständig? Elisabeths verzweifelt langsam an den verschlungenen Wegen der Bürokratie und daran, wie mühsam es ist, sich von einem zum anderen durchzufragen. „Wie sollen sich da Flüchtlinge zurechtfinden“, fragt sie. Und steht damit nicht alleine.

Sie versuchen weiterhin, ihrem Stern zu folgen.

Im Zuständigkeitsbereich der Samtgemeinde läuft und lief es in vielerlei Beziehung gut. Wie Noor und seine WG-Kumpels sind die Flüchtlinge gut untergebracht. Es wird an der Schaffung von 1-Euro-Jobs gearbeitet, um Menschen in der „Warteschleife“ Beschäftigungsmöglichkeiten zu bieten usw. Die Mitarbeiter in der Samtgemeinde arbeiten am Limit.
Noor freut sich bei den Ankumer Gaugerichts- und Markttagen über das Treiben und stellt Fragen über Fragen. Zum Leben hier, zu unserer Lebensweise, unseren Traditionen. Er ist voll des Lobes für seine neue ländliche Umgebung. Ihn zieht es nicht in eine Stadt – wenn es denn nur eine Chance auf Arbeit mit einer Perspektive gäbe.

Mahmud ist ein Palästinenser aus dem Libanon und würde lieber heute als morgen in der Gastronomie arbeiten. Er kam mit zwei Sprachen – arabisch und spanisch – hier an.

Mahmoud ist ein Palästinenser aus dem Libanon und würde lieber heute als morgen in der Gastronomie arbeiten. Er kam mit zwei Sprachen – arabisch und spanisch – hier an.

Weil sie so sehr darauf brennen, eine Arbeit zu finden und hier Fuß zu fassen, leiden Elisabeth und Ulla mit ihren „Schützlingen“ mit. Es käme wohl jeder, der länger mit den jungen Libanesen spricht, an denselben Punkt, denn sie streben nach nichts anderem als danach, sich arbeitend ein Leben aufzubauen, ein Leben, wie sie immer wieder betonen, „in Frieden“.
Der letzte Stand der Dinge: Im für sie undurchschaubaren Räderweg der Asylgesetzgebung richtet sich der Blick der jungen Männer unbeirrt auf ihren eigenen Stern: Sie suchen und suchen, um zu schaffen, was sie sich vorgenommen haben. Für alle ist das Handy eine zentrale Kontakt- und Informationsbörse und sie haben ein Netzwerk aus Verwandten und Bekannten. Elisabeth und Ulla hoffen darauf, dass ihr Bemühen erfolgreich ist, für die jungen Männer Plätze in einem Sprachkurs der Caritas zu finden. Damit passiert, was sich jeder der Vier so sehr wünscht: Dass es mit dem Deutschlernen viel, viel schneller vorangeht und damit ein Job in eine greifbarere Nähe rückt.

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