Kettenkamp: Was ist Europa für mich?

Die gemalten Antworten der Grundschüler und -schülerinnen zum Thema „Europa ist für mich…“ waren ein Highlight des Europatags in Kettenkamp. Auf dem Podium Polit-Prominenz.

Ein großer Moment für die Grundschulkinder, begleitet von Anita Lennartz: Aus jeder Klasse wurde drei Arbeiten zum Thema „Europa ist für mich…“ prämiert.

„Europa ist für mich…“ war der Titel eines Malwettbewerbs der Kettenkamper Keding-Grundschule anlässlich des 2. Europatags in der Samtgemeinde, der am Samstag, 1. September, in Kettenkamp im attraktiven Rahmen von Telkamps Wassermühle ausgerichtet wurde.

Sicher auch beeindruckend: Dass es mit Jens Gieseke ein Mitglied des Europaparlaments war, der gratulierte und jedem sein Präsent übergab.

Die Kinder – in ihren Händen wird eines Tages auch die Zukunft der Europäischen Union liegen. Was sich für die Erst- bis Viertklässler derzeit mit Europa verbindet, zeigten Werke, die vier Stellwände füllten. Eine Jury hatte aus den Arbeiten der jungen Kreativen jeweils 3 als beste ausgewählt. Gewinner waren jedoch alle, denn die Grundschüler gaben eine Antwort auf eine Frage, mit der sich so mancher Erwachsene schwer tut.

Zum frühen Publikum gesellten sich im Laufe des Nachmittags noch eine ganze Reihe von Familien.

Was ist Europa für mich…? Nicht nur das britische Brexit-Votum zeigt, dass es inzwischen einer echten Herausforderung gleichkommt, eine große Mehrheit von Menschen dafür zu gewinnen, für Europa Flagge zu zeigen.

Telkamps Wassermühle in Kettenkamp stand am Samstag, 1. September, ganz im Zeichen von Europa. Zwischen 14 Uhr und 18 Uhr erwarteten die großen wie die kleinen Besucher eine Diskussionsrunde, Kaffee & Kuchen, eine Prämierung, Spiel & Spaß, Leckeres vom Grill.

 

Hans-Gert Pöttering (Bildmitte) mit (rechts) Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier und Zeljko Dragic.

Er begeistert sich, für ihn ist Europa ist sein Ding: Dr. Zeljko Dragic, einer der Gründerväter des Vereins „Brücken bauen“, rief in der Samtgemeinde den Europatag ins Leben, der im letzten Jahr erstmalig in Alfhausen stattfand und nun in Kettenkamp, in Kooperation mit der Gemeinde.

Für Dr. Hans-Gert Pöttering ist Europa schon seit Jahrzehnten Kopf- und Herzenssache. Er zog 1979, damals 34 Jahre alt, ins Europäische Parlament ein und wurde zum einzigen Abgeordneten, der diesem Parlament 35 Jahre lang (bis 2014) ununterbrochen angehörte. Von 2007 bis 2009 stand er ihm als Präsident vor. Hans-Gert Pöttering war einer der Podiumsgäste.

Auf dem Podium (von links): Landrat Dr. Michael Lübbersmann, Dr. Hans-Gert Pöttering,  Zeljko Dragic, Bürgermeister Reinhard Wilke, Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier, Pastor Bernd Schreineke-von Clausewitz von der Dorotheen-Kirchengemeinde Nortrup-Loxten und Pfarrer Dr. Ansgar Stolte von der Pfarreiengemeinschaft Ankum-Eggermühlen-Kettenkamp.

 

Es wird mehr Mut gebraucht.

Bürgermeister Reinhard Wilke begrüßte die Versammelten mit einer Rede, die ein so eindringliches wie spürbar von Herzen kommendes Plädoyer für ein vereintes Europa war. „Frieden ist auch nach mehr als 70 Jahren keine Selbstverständlichkeit und muss entgegen populistischer Meinungsmache auch für die nächsten Generationen zukunftsfähig erhalten werden, hatte er schon im Einladungsflyer zum Europatag geschrieben.

Weil auch der Wettergott mitspielte, konnte man es sich in lockerer Atmosphäre unter freiem Himmel gut gehen lassen.

In Zeiten wie diesen, wo viele Verlässlichkeiten bröselten, könne man die Probleme nur mit einem vereinten Europa in den Griff bekommen, so Reinhard Wilke. Als Beispiel nannte er Trumps „America First“-Politik. „Die Antwort auf America First müsse und könne nur, so Wilke, Europe United sein, das vereinte Europa. Man brauche mehr Mut in der Europapolitik, so Kettenkamps Bürgermeister, denn Mutlosigkeit spiele den Populisten in die Hände. Europa, so Wilke, werde beim aktuellen Zustand der Welt mehr gebraucht denn je. Für die Organisation des Europatags wurden zahlreiche freiwillige Helfer gebraucht, und die hatten keine Mühe gescheut, um einen gastlichen Rahmen für die Besucher zu schaffen.

Die Landjugend im Einsatz: Die Tische waren gedeckt und auf die Gäste wartete eine feine Auswahl Kuchen.

 

Politischer Diskurs plus Familienfest.

Spaß auf der Hüpfburg.

Eine Hüpfburg für Kinder, der Bauwagen der Jugendpflege, Kaffee und Kuchen, organisiert von der katholischen Landjugend (KLJB), Leckeres vom Grill, organisiert vom Heimatverein: Mit großem Einsatz machten alle Beteiligten den Europatag zu einem so bunten wie fröhlichen Europafest. Die Landjugend hatte alle Hände voll zu tun. Viele köstliche Kuchen waren in den Familien gebacken worden, und vor Ort hieß es Tische decken, Kaffee kochen, die Kuchen bereitstellen, die Gäste mit Kuchen versorgen, am Ende abdecken, abwaschen, aufräumen. Bezahlt werden mussten Kaffee und Kuchen nicht, gebeten wurde jedoch um eine Spende für die Heizung in der Wassermühle.

Zeljko Dragic (rechts) überraschte mit einer Einladung nach Serbien. 4 der fleißigen Helfer können mit dabei sein.

Der große Einsatz der Jugendlichen inspirierte Zeljko Dragic zu einer spontanen Idee. Er griff zum Handy und konnte dann verkünden: Für 4 Personen werden als Dankeschön vom Verein „Brücken bauen“ kostenlose Flugtickets für die nächste Reise einer Jugendgruppe nach Serbien bereitgestellt. Sie findet Anfang der nächsten Sommerferien statt. Dafür gab es Applaus. Vor der Eröffnung des Kuchenbüffets stand der Reigen der Redebeiträge der Podiumsgäste an, und den eröffnete Hans-Gert Pöttering.

Zu den Politikergästen gehörten z. B. Agnes Droste, Vorsitzende des Samtgemeinderats, der stellv. Landrat Werner Lager (links neben ihr) und Maren von der Heide (links in Rosa), die Mitglied des Kreistags ist.

 

„Europa beginnt da, wo wir zu Hause sind“.

„Wir in der EU müssen selbstbewusster werden“, war einer der Sätze des langjährigen Europapolitikers Pöttering. Europa sei eine Wertgemeinschaft. Deren Kern sei die Würde des Menschen, die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, aus der sich alles Wesentliche ergebe wie Freiheit, Frieden, Rechtsordnung. Schwinde die Rechtsordnung, so Pöttering, schwinden auch Freiheit und Frieden. Verbunden sei man in Europa durch Solidarität.

Heimat – Vaterland – Europa gehören für Hans-Gert Pöttering, der 1945 in Bersenbrück geboren wurde, zusammen. Europa beginne da, wo wir zu Hause sind. Wer nur die Heimat sehe, werde sie nicht schützen können. Nationalismus führe zwangsläufig zum Krieg. Wer nur Europäer sei, der habe keine Wurzeln.

Warten auf den großen Moment: Auf die Prämierung der Bilder von Schülerinnen und Schülern der Keding-Grundschule.

 

„Europa im Moment in der Krise“.

Von Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier gab es zu Beginn ein Lob für die Idee, einen Malwettbewerb für die heranwachsende Generation durchzuführen. Er schaute in seinem Redebeitrag zunächst darauf, wie sich Europa in der Samtgemeinde zeigt, so auch durch den Zuzug vieler Polen, Rumänen und Bulgaren. Mit dem Zuzug von Neubürgern verbunden: die Aufgabe Integration.

Ihnen schmeckte der Europatag: Besucher am Kuchenbüffet.

Baier rief auch die vielen Partnerschaften ins Gedächtnis, die es in den Orten der Samtgemeinde gibt. „Europa ist kein Selbstläufer“, so Horst Baier, und so bräuchten auch die Partnerschaften immer wieder einen neuen Angang, um sie lebendig zu erhalten. Fehlende Solidarität in der Flüchtlingsfrage, Brexit, Bürokratie, Bürgerferne und manches mehr: Europa stecke im Moment, so Baier, in der Krise, und die europäischen Werte verfangen bei vielen Menschen nicht mehr. Es gibt sie, die Probleme. Für Horst Baier zeigt aber vieles, so z.B. die Zoll-Politik der USA: Wenn Europa nicht zusammensteht, geht es unter.

Viele Infos beim Europabüro des Landkreises. Auf der Webseite www.europe-direct-osnabrueck.de stellt das Europabüro Europe Direkt Informationszentrum des Landkreises Osnabrück viele Informationen und auch Broschüren zum Downloaden zur Verfügung. In Kettenkamp war das Büro mit einem Stand vertreten.

 

„Europa ist mitten unter uns“.

„Europa ist mitten unter uns“, sagte Landrat Dr. Michael Lübbersmann. So sei zum Beispiel auch Telkamps Mühle mit europäischen Mitteln ausgebaut worden, europäische Gelder flössen in Radwege und vieles mehr. Sich darauf zurückzubesinnen, dass Europe ganz wichtig im Alltag ist, nicht nur politisch, auch wirtschaftlich – war ein Appell des Landrats.

Info-Material zu Europa.

First geht selten gut, so Lübbersmann. Es gelte, Brücken zu bauen. „Wir Älteren wissen, wie dankbar wir sein können für das, was wir heute haben“, so Lübbersmann. Wer wem was zu verdanken hat, gerät aber auch schnell in Vergessenheit. Vor dem Hintergrund der teils schwierigen EU-Polen-Beziehung erinnerte Michael Lübbersmann an den Wohlstand, der sich in Polen entwickelt hat und an die Bedeutung der EU für die gute Entwicklung des Landes.

Anita Lennartz und Zeljko Dragic führten durch das Programm den 2. Europatags der Samtgemeinde in Kettenkamp.

Mitten unter uns, davon sprach während der Diskussionsrunde der stellv. Landrat Werner Lager, sind auch osteuropäische Schlachtarbeiter. Er machte deren schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen zum Thema und betonte die Notwendigkeit, Wohnraum zu schaffen. Es müsse angemessenen Wohnraum geben, so auch Michael Lübbersmann. Menschen, die zu uns kommen, trügen wesentlich dazu bei, Wohlstand zu schaffen. Hinzukommende sprachlich weiterzubilden und sie vor allem auch sozial zu integrieren, das sei, so Landrat Lübbersmann, „eine riesige Herausforderung“.

Was Flüchtlinge und Migranten angeht, sprach sich Horst Baier für ein Bleiberecht von Menschen aus, die gut integriert sind. Er erinnerte aber auch an den Satz von Bundespräsident Joachim Gauck: „Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich“.

 

In bestem Einvernehmen: Bernd Schreinecke-von Clausewitz (links) und Ansgar Stolte.

„Europa muss Lust, Freude, Spaß machen“.

Pfarrer Ansgar Stolte wie auch sein Kollege Pastor Bernd Schreineke-von Clausewitz steuerten eigene Erfahrungen in Sachen gelebtes Europa bei. Ansgar Stolte berichtete, dass er zeitweise in Rom studierte und dort gemeinsam mit Menschen aus 17 Nationen wohnte und lebte. Gelebtes Europa war das für ihn. Europa und Kirche, da erinnerte Ansgar Stolte an Jean-Baptiste Nicolas Robert Schuman, ohne den Europa nicht vorstellbar sei. Schuman veröffentlichte 1950 eine historische Erklärung („Schumann-Plan“) zu einer Neuordnung Europas. Beginnend mit der Montanunion, solle sich die politische Förderation Europas entwickeln.

Schuman war ein französischer Staatsmann, der als sog. Reichsdeutscher geboren wurde. Er war aktiver Katholik (1913 z. B. Vorsitzender der Organisation des Deutschen Katholikentages in Metz) und trug sich nach dem Tod seiner Mutter mit dem Gedanken, Priester zu werden. Geworden ist er, was Europa angeht, ein visionärer Staatsmann. Schumann heiratete nie und lebte zölibatär.

Ein schöner Tag, dieser Europatag, für alle, von den jüngsten bis zu den älteren Besuchern.

 

„Europa, das sind nicht Worte, sondern Menschen“.

Pastor Schreineke-von Clausewitz leitete seinen Beitrag mit den Worten ein: Im Unterschied zu seinem katholischen Kollegen Ansgar Stolte dürfe er heiraten – und berichtete dann von seiner jüngsten Tochter, die als Erasmus-Stipendiatin nach Ljubljana ging, der Hauptstadt Sloweniens. Auch diese Stadt ein Meltingpot junger Europäer. Begegnungen, Freundschaften führten die Tochter von dort auch nach Tallinn, in die Hauptstadt Estlands. Europa, so Schreineke-von Clausewitz, „das sind nicht Worte, das sind Menschen“. Wie sehr Europa „Lust, Freude, Spaß mache“ – das habe er bei seiner Tochter erlebt.

Die Prämierung der Werke der Erstklässler: Da gab es besonders farbenfrohe Werke zu sehen.

 

Über Angst und Haltung.

Sich begegnen, sich aufeinander einlassen: Viele tun es, andere nicht. In den letzten Tagen waren es Ereignisse in Chemnitz, die ein Schlaglicht darauf warfen, dass Feindseligkeit und Hass gegenüber Flüchtlingen und Migranten bei einem Teil der Bevölkerung tief verwurzelt sind.

Ein Ja zu Europa am Europatag in Kettenkamp, aber auch nachdenklich stimmende und mahnende Worte.

Wenn wir darüber diskutieren, ob wir Menschen, die in Lebensgefahr sind, retten oder nicht, dann läuft etwas falsch, so Pfarrer Stolte. Angst machte er als eine Ursache für Fremdenfeindlichkeit aus. Angst baue Mauern auf, Angst lähme, „Angst essen Seelen auf“, nahm Bernd Schreineke-von Clausewitz den Faden auf und erinnerte damit an den gleichnamigen Film von Rainer Werner Fassbinder. Es ist ein Film über die Begegnung einer älteren Münchener Putzfrau mit dem 20jährigen Marokkaner Ali und die massive Feindseligkeit, die den beiden begegnet. „Angst essen Seele auf“: Was Fassbender Ali 1974 sagen lässt, gilt auch noch heute. Wie Angst abbauen, was ihr entgegensetzen? Dass wir Haltung zeigen und leben, wünschten sich die Vertreter der Kirchen.

Unter den Augen der Politiker: Die Prämierung der Arbeiten der Grundschule.

 

„Die demokratischen Kräfte müssen nach vorne kommen“.

Jens Gieseke, Mitglied des Europaparlaments, kam terminbedingt etwas später zum Kettenkamper Europatag. Ihm fiel die Aufgabe zu, den Grundschülern, deren Bilder prämiert worden waren, mit einem Präsent eine Freude zu machen. Giesekes Wunsch an alle: Dass überall für Europa geworben wird. In wenigen Monaten – im Mai 2019 – sind die Wahlbürger aufgerufen, bei der Europawahl zu wählen. Es ist die neunte Direktwahl zum Europäischen Parlament. Die demokratischen Kräfte müssten bei dieser Europawahl nach vorne kommen, so Gieseke.

Lecker Würstchen gab’s auch.

Der Europatag in Kettenkamp war ein gelungenes Beispiel dafür, wie für Europa geworben werden kann. Zu wünschen gewesen wäre ihm, dass noch viel mehr Menschen zu diesem so interessanten wie schönen Nachmittag nach Kettenkamp gekommen wären. Mehr Bürgermeister aus den Orten der Samtgemeinde, mehr Ratsmitglieder, mehr Bürger. Familien, Schülerinnen und Schüler, alle Altersgruppen in legerer Atmosphäre auf Tuchfühlung mit vielen Politikern, kulinarisch wie auch von bestem Wetter verwöhnt: Für all‘ die, die dabei waren, dürfte der Europatag ein Erlebnis gewesen sein, das in Erinnerung bleibt.

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