klartext bei adidas: „Das ist nun mal inzwischen so“

Personalmanager Bjoern Knabke ist im Riester Werk der Mitarbeiter mit der Nr. 1. Er war der erste Mitarbeiter des Logistikzentrums.

Der adidas-Personalmanager Bjoern Knabke ist jung und beim Treffen mit klartext sportlich-locker drauf. Gegen den düsteren Gesprächsgegenstand – die Vorwürfe, die vor allem von Leiharbeitern gegen das Riester Logistikzentrum erhoben werden, stehen erste äußere Eindrücke: ein helles Ambiente, Mitarbeiter, die Volleyball spielen, ein ausgiebig Rede und Antwort stehender Bjoern Knabke. Die lichten adidas-Seiten liegen offen zutage. Schattenseiten zeigen sich in der Regel nicht auf den ersten Blick.

Personalmanager Bjoern Knabke ist im Riester Werk der Mitarbeiter mit der Nr. 1. Er war der erste Mitarbeiter des Logistikzentrums.

Personalmanager Bjoern Knabke ist im Riester Werk der Mitarbeiter mit der Nr. 1. Er war der erste Mitarbeiter des Logistikzentrums.

Im Gespräch mit Bjoern Knabke treffen sehr unterschiedliche Wahrnehmungs- und Erlebniswelten aufeinander. Da sind zum einen die Schilderungen von Menschen, mit denen klartext sprach, die unter dem Dach von adidas arbeiten und sich ausgeliefert und ausgebeutet fühlen. Dagegen steht die Sicht des Personalmanagers, man habe sich im Wesentlichen nichts vorzuwerfen.

Bjoern Knabke, Jahrgang 1981, ist als Personalmanager für die Mitarbeiter mit einem adidas-Vertrag zuständig. Das sind derzeit 300 von 1.000 Arbeitskräften. Als Teil eines „Dreigestirns“ ist er zudem mit in der Verantwortung für „die Steuerung der Dienstleister“, also der Leiharbeitsfirmen unter dem adidas-Dach. Die steuern mit 700 Menschen den Löwenanteil der Belegschaft bei.

 

Außer diesem Platz gibt es noch einen weiteren Sportplatz.

Außer diesem Platz gibt es noch einen weiteren Sportplatz.

Die adidas-Arbeitswelt: Von Leiharbeit geprägt.

Der adidas-Personalmanager bestätigt in den Grundzügen die von klartext beschriebene Struktur der adidas-Belegschaft: Hunderte von Leiharbeitern, viele Nationalitäten, viele Sprachen und ethnische Zugehörigkeiten, sehr unterschiedliche kulturelle Hintergründe, unterschiedliche Arbeitgeber-Zugehörigkeiten (mehrere Leiharbeitsfirmen plus adidas), in der Hauptsache Mindestlohnempfänger. Einen Nährboden für Konflikte sieht er darin jedoch nicht.
Für Bjoern Knabke ist die adidas-Arbeitswelt eine „Herausforderung, sich in einer solchen Struktur zu bewegen“. Vom Grundsatz her sieht er keinen Unterschied zu anderen Firmen im Logistikbereich, zum Beispiel zu größeren Logistikern in und um Osnabrück. „Das ist nun mal inzwischen so“, sagt Bjoern Knabke, „dass wir viele Nationalitäten in Unternehmen haben und dass in dem Segment – der Logistik – viele Nationalitäten beschäftigt sind.“
Stimmt. Das ist inzwischen so. Leider, wird man, wenn es sich um Leiharbeit handelt, je nach Standpunkt hinzufügen oder auch nicht. adidas, so der Personalmanager , arbeitet mit zwei festen Leiharbeits-Partnern. Einer dieser Partner habe einen „Co-Lieferanten“, und zwar die Firma Rasant.

„Ausbeutung als Teil des Geschäftserfolgs“ titelte 2013 die Süddeutsche Zeitung zum Logistikunternehmen Amazon. Inzwischen ist das vornehmlich von Leiharbeitern aus Osteuropa geprägte Leiharbeiter-Modell auch in der Samtgemeinde Bersenbrück angekommen.

Einer der Aufenthaltsräume. Mitarbeiter sind am Tag des klartext-Besuchs nur wenige im Werk. Es ist von technischen Problemen die Rede.

Einer der Aufenthaltsräume. Mitarbeiter sind am Tag des klartext-Besuchs nur wenige im Werk. Es ist von technischen Problemen die Rede.

Ein wesentliches Merkmal der adidas-Belegschaft ist, dass sich zwei Gruppen von Mitarbeitern gegenüberstehen: Leiharbeiter und Mitarbeiter mit einem Vertrag von adidas. Wegkommen vom Leiharbeitervertrag, den Aufstieg schaffen in den Kreis der Auserwählten mit einem Vertrag von adidas, das ist für viele das große Ziel. Die Frage „Wie sieht’s mit einer Übernahme aus?“, bestätigt Knabke, sei eine ständig gestellte Frage. Ein solcher Vertrag ist begehrt, denn er bedeutet mehr Geld und die Aufnahme in die adidas-Welt.
Welche Auswirkungen das stete Streben nach einem adidas-Vertrag hat, beschreiben adidas-Kritiker: Die Aussicht auf einen solchen Vertrag mache fügsam. Um ihn zu bekommen, werde vieles geschluckt. Wer ihn hat, will ihn nicht verlieren. Wer einen Lebenspartner mit adidas-Vertrag hat und selbst Leiharbeiter ist, traut sich nicht, sich zu beschweren – aus Angst, der Partner könne seinen adidas-Vertrag wieder verlieren und so weiter. Wer nur einen Ein-Jahres-Vertrag mit adidas hat, ist in einer besonders schwierigen Lage, denn das Ergebnis einer Kündigung wäre Hartz IV.

 

„Die Kommunikation ist nicht zu 100% angekommen“.

Bjoern Knabke kann sich den laut gewordenen Unmut über die Arbeitsbedingungen bei adidas bestenfalls damit erklären, „dass die Kommunikation nicht zu 100% angekommen ist.“ Nach seinen Aussagen verläuft alles nach Vorschrift: Die Zeiten werden korrekt erfasst und bezahlt, die Abrechnungen stimmen. Auch an dem Vorwurf, die Zeit, die Mitarbeiter brauchen, um sich innerhalb des Unternehmens von A nach B zu bewegen, werde nicht bezahlt, sei nichts dran. Richtig sei: Diese Zeit werde bezahlt. Anderslautende Berichte in den Medien seien falsch. Die ZEIT war das erste Blatt, das darüber berichtet hatte.

An solchen Geräten wird bei adidas gestempelt.

An solchen Geräten wird bei adidas gestempelt.

 

Adidas, so adidas, hat die ZEIT falsch verstanden.

Dass das babylonische Sprachgewirr der Nährboden für zahlreiche Konflikte bei adidas ist, erfuhr klartext in jedem Gespräch mit adidas-Kritikern. Bjoern Knabke räumt ein, dass es „nochmals etwas schwieriger ist“ zu kommunizieren, wenn Mitarbeiter gar nicht oder nur wenig deutsch sprechen.
Schwierig ist die Kommunikation offensichtlich aber auch auf Deutsch. Die ZEIT habe, so Bjoern Knabke, gefragt, ob Wegezeiten bei adidas bezahlt werden. adidas antwortete mit nein – weil man angenommen habe, mit Wegezeiten sei der Weg zur Arbeit und von der Arbeit zurück nach Hause gemeint gewesen. adidas habe die Frage der ZEIT falsch verstanden.
Wege innerhalb des Werks, so Knabke, würden bezahlt. Der Personalchef erläutert die Zeiterfassung an der Stechuhr. Allerdings müsse der Mitarbeiter das Gerät auch richtig bedienen.

Auf dem Hinweiszettel steht „Achtung ++ Achtung. Ab sofort müssen beim einstempeln zusätzlich die Schichten mit ausgewählt werden.“ Dann folgen 5 Anleitungsschritte. Datum: 24. Juli 2014. Was da per Computer erfasst und abgerechnet wird, weiß nur adidas.

 

Intransparenz? Missachtung?

Gehen wir einmal davon aus, dass stimmt, was Bjoern Knabke sagt. Dann stellt sich dennoch die Frage: Warum sagen Mitarbeiter, auch solche, die sich untereinander nicht kennen, übereinstimmend aus, dass die Zeit nicht bezahlt wird? Warum wird übereinstimmend über Abrechnungen geklagt, herrscht der Eindruck vor, mehr Stunden zu arbeiten, als tatsächlich bezahlt werden?
Weil Mitarbeiter, wenn sie die Vertreter ihrer Leiharbeitsfirmen fragten, nur abgewimmelt wurden? Weil es für sie nicht überprüfbar war und ist, was erfasst wird? Weil ihre eigenen Aufzeichnungen nicht mit Abrechnungen übereinstimmten, Fragen dazu aber vom Tisch gewischt wurden? Es gibt viele Fragen, die noch längst nicht geklärt sind.

Wer auf dem „Level“, wie es bei adidas heißt, Supervisor angekommen ist, hat nicht nur das begehrte Ziel erreicht, ein adidas-Mitarbeiter zu sein. Er gehört zum Kreis der Aufsteiger. Von den 1.000 Arbeitskräften sind 18 Supervisor und 40 Teamleiter.

 

Diese Nummer soll zu einer unabhängigen Stelle führen. Wohin genau, weiß der Personalmanager nicht.

Diese Nummer soll zu einer unabhängigen Stelle führen. Wohin genau, weiß der Personalmanager nicht.

Ein offenes Ohr für Beschwerden?

Es hätte doch jeder zu jedem gehen können, sagt Bjoern Knabke, zum Betriebsrat und auch zu ihm. Und an diesem Punkt beißt sich die Katze wieder in den Schwanz. Da sind wir dann wieder beim Thema leicht zu kündigende Verträge, kein Vertrauen, Abhängigkeit, Angst.
Die Leiharbeitsfirmen und die von ihnen zur Verfügung gestellten Arbeitskräfte sollen für adidas Probleme lösen und keine Probleme bereiten. Welche Wertschätzung die auf Zeit angeheuerten Leiharbeiter genießen, ob überhaupt Wert gelegt wird auf Mitarbeiterzufriedenheit, ist bei einem gut zweistündigen Besuch nicht zu ergründen. In der Hierarchie rangieren die Leiharbeiter naturgemäß weit unten, schon weil viele von ihnen nur wenige Monate im Werk sind, dann wieder weg sind, zur nächsten zur Hochsaison vielleicht wieder da sind oder auch nicht.

In der derzeit laufenden Peak-Zeit (Hochsaison) arbeitet adidas mit um die 700 Leiharbeitern. Peak-Zeiten sind zweimal jährlich – für je drei Monate. Mit der Aufstockung wird aber bereits früher begonnen. Das heißt: Sieben bis acht Monate im Jahr sind Hunderte Leiharbeiter im Werk und in der Region rund ums Werk.

 

adidas, adidas, adidas.

Die adidas-Welt, lässt das Gespräch mit Bjoern Knabke aufblitzen, ist stark vom amerikanischen „spirit“ geprägt. Man redet von Peaks, man bewegt sich positionsmäßig auf Levels, Mitarbeiterversammlungen heißen Townhall Meetings. Wer einen adidas-Vertrag hat, ist adidas, ist Teil der adidas-Community. „Die feiern sich“, sagte einer der klartext-Gesprächspartner vor einigen Wochen, „wie eine Sekte“. Übertrieben?
Der adidas-Vertrag ist eine Verheißung, die Wirkung zeigt: Sie geht einher mit Konkurrenzkämpfen und einem ständigen Ausleseprozess. Wer es in die adidas-Community schafft, es gar zu einem Level wie Supervisor bringt, spielt in einer anderen Liga als der Rest der Belegschaft. Ist das Gros der Belegschaft das Fußvolk, das sich zu unterwerfen und zu funktionieren hat? So jedenfalls sehen es adidas-Mitarbeiter, die sich über die Medien äußern.

 

Der Busfahrplan. Ein Bus fährt täglich nur zweimal von Rieste nach Bramsche.

Der Busfahrplan. Ein Bus fährt täglich nur zweimal von Rieste nach Bramsche.

Die Augen nicht länger vor der Realität verschließen.

Für Unternehmen wie adidas ist die von Leiharbeitern geprägte Arbeitswelt ein Gewinn. Sie ermöglicht es zum Beispiel, Mitarbeiter ganz nach Bedarf anzuheuern und wieder abzubauen. Sie ermöglicht es, Mitarbeiter volle Schichten, Sechs-Tage-Schichten oder auch nur einige Stunden am Tag arbeiten zu lassen.
Im Niedersachsenpark, in Rieste, in der Samtgemeinde und auch in den Nachbar-Samtgemeinden wird man den Realitäten ins Auge sehen müssen: Hunderte Leiharbeiter pro Jahr sind, anders als die früheren Gastarbeiter, in der Mehrzahl keine Dauergäste, die sich hier niederlassen. Anzeichen für einen Kurswechsel bei adidas – ein deutlich geringerer Anteil Leiharbeiter an der Belegschaft – sind im Gespräch mit Bjoern Knabke nicht auszumachen. Wo ist ausreichend Wohnraum für die Leiharbeiter? Wer schafft ihn? Wer schafft Bus-Verbindungen.

Der Bus, mit dem Roma Korytkowska, die polnische Leiharbeiterin, über die klartext berichtete, zur Arbeit fährt, fährt um 5.15 Uhr ab und nicht um fünf vor fünf. Das möchte Bjoern Knabke klar stellen und verweist auf den Fahrplan. „Ich bin ich um fünf vor fünf am Bus“, stand bei klartext. Die Korrektur: „Ich gehe um fünf vor fünf zum Bus“. Hier der Bericht über Roma Korytkowska.

adidas sieht den Niedersachsenpark und die Politik in der Pflicht, Infrastruktur für Unternehmen im Niedersachsenpark zur Verfügung zu stellen. Dazu gehört zum Beispiel: für Wohnraum in der Region sorgen oder für weitere Buslinien. Die Gesellschafter des Niedersachsenparks stehen vor Herausforderungen. Mit Blick auf die vielen Leiharbeiter müsste eigentlich auch auf der Tagesordnung stehen: eine unabhängige Beratungsstelle einzurichten, an die sich Menschen mit ihren Problemen wenden können.

 

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Ein Kommentar

  1. liza

    Es gibt noch keine Desinfektionsmittel in den Toiletten. Bei den Damen Toiletten gibt es keine weiteren Müll auf Tampons. Heute eine der Frauen mit einem Messer gestaut. Die adidas keine Patches oder Bandagen. Nicht ein Tropfen Alkohol zur Desinfektion. Ich verstehe nicht, wo sind die Kontrollen? Ein weiteres Unternehmen, für so etwas wäre schon geschlossen.
    Aber das Geld auf dumm ….

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