Brücken nach Serbien bauen?

Mit dieser Frage im Kopf machten sich 16 Samtgemeindler, darunter Ratsmitglieder aller Parteien, auf den Weg nach Serbien. Hier ein Bilderbogen und ein Gespräch mit Dr. Horst Baier.

Gruppenbild vor der Synagoge in der Stadt Novi Sad (übersetzt: neue Saat). Foto: Samtgemeinde.

Markus Revermann mit „Gasteltern“ und Übersetzerin Katharina.

Serbien? Wer hat schon eine Vorstellung von diesem Land, das erst 2006, nach dem endgültigen Zerfall Jugoslawiens, als Staat auf der Landkarte erschien. Die Mitglieder der Delegation aus der Samtgemeinde kamen mit einer Fülle von Eindrücken zurück und mit vielen, vielen Fotos. Markus Revermann war z. B. einer der wenigen, der außerhalb von Ruma (21 km entfernt) bei einer Gastfamilie wohnte. Er traf dort auf eine ungemein herzliche, sehr bescheidend lebende und tief katholisch-religiöse Familie. Mit seinen Bildern und mit Fotos der Samtgemeinde blättert klartext einen Bilderbogen auf und sprach mit Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier über Sinn, Zweck und den Verlauf der Reise.

Mit gut 7,1 Mio. Einwohnern ist Serbien etwas kleiner als Dänemark. Allein in der Hauptstadt Belgrad leben gut 1,7 Mio. Menschen. Die Kleinstadt Ruma, das Hauptziel der Samtgemeindedelegation, hat 30.000 Einwohner und damit etwa 2.000 mehr als die Samtgemeinde Bersenbrück.

Gastfreundschaft, erlebte die Gruppe, geht in Serbien ganz besonders durch den Magen und als Sliwowitz durch die Kehle. Foto: Revermann.

Ruma ist so manchem in der Samtgemeinde schon ein Begriff, denn im Herbst letzten Jahres war eine Gruppe von Jugendlichen hier zu Gast, auf Einladung des Alfhausener Vereins „Brücken bauen“. Der Initiator dieses Vereins, Dr. Zeljko Dragic, Historiker, war für Markus Revermann eine Schlüsselfigur der Reise. „Sein unglaubliches Wissen“, so Revermann, „hat die Fahrt zu einem ganz besonderen Erlebnis gemacht.“ Bezahlt haben die Ratsmitglieder die Fahrt aus eigener Tasche. Will die Samtgemeinde, was „Brücken bauen“ begonnen hat, vertiefen? Hier das Gespräch dazu mit Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier.

Beziehungstreffen: Am Tischende in der Mitte Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier und rechts neben ihm Sladan Mancic, der Bürgermeister von Ruma. Foto: Revermann.

klartext: Herr Dr. Baier, Sie waren mit einer 16-köpfigen Delegation aus der Samtgemeinde für vier Tage in Serbien. Was war das Ziel dieser Reise?

Hier zu Gast: Jugendliche aus der Region Ruma.

Der Verein Brücken bauen e.V. aus Alfhausen hat seit gut 2 Jahren Kontakte mit der Stadt Ruma in Serbien aufgebaut, die vor allem den Jugendaustausch zum Inhalt haben. Was hier von den Vereinsmitgliedern in kurzer Zeit aufgebaut wurde, insbesondere von Harry Kindt und Dr. Zejko Dragic, verdient Anerkennung und Respekt. Letztes Jahr gab es erstmalig den Besuch von Jugendlichen aus der Samtgemeinde Bersenbrück in Ruma und umgekehrt. Auch für dieses Jahr ist ein Austausch geplant, der im Wesentlichen über EU-Mittel finanziert wird. Der Verein hat den Wunsch an die Samtgemeinde herangetragen, zur Unterstützung ihrer Arbeit eine echte Städtepartnerschaft zwischen der Samtgemeinde Bersenbrück und der Stadt Ruma zu begründen. Daher lag der Schwerpunkt der Reise darin, dass Vertreter aller Fraktionen im Samtgemeinderat sich persönlich einen Eindruck machen können.

Kultur: Besichtigung einer katholischen Kirche in Novi Sad. Foto: Revermann.

klartext: In welcher Stimmungslage und mit welcher Erwartungshaltung ist die Delegation nach Ruma gefahren?

Die meisten Delegationsteilnehmer waren nach meiner Einschätzung neugierig, aber auch sehr verhalten. Mir ging es bei meinen ersten beiden Reisen nach Ruma ähnlich. Serbien steht derzeit nicht im Mittelpunkt von kommunalen Partnerschaften. Außerdem bestehen bei uns noch viele Vorurteile über Serbien.

Blick auf Donau und Novi Sad. Foto: Revermann.

Ich wurde oft gefragt, warum wir gerade nach Serbien fahren. Im Hintergrund schwingt da immer noch der Zerfall Jugoslawiens, die Kämpfe und die Gräueltaten bei der Entstehung der heutigen Staaten wie Serbien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina oder Slowenien mit. Das Regime von Milosevic ist im europäischen Bewusstsein immer noch mit dem Massaker von Srebrenica im Bosnienkrieg verbunden. Und dann gab es den Krieg mit Beteiligung der NATO einschließlich deutscher Tornados mit Bombardements in Serbien.

Plattenbau in Novi Sad. Foto: Revermann.

Im Kosovo stehen immer noch deutsche Soldaten zur Befriedung. In Belgrad sieht man heute noch Ruinen von Regierungsgebäuden, die von Cruise Missiles getroffen worden sind. Das lange Embargo und der Krieg haben bei vielen aber verdrängt, dass Serbien mittlerweile auf dem Weg nach Europa ist und eine stabile konservative Regierung hat. Bemerkenswert finde ich die heutige Selbstverständlichkeit, mit der die Menschen in der Region trotz der Unterschiede in Herkunft und Religion wieder friedlich zusammenleben. Die Situation dort ist sehr komplex und sehr spannend. Es konnte uns auch niemand erklären, warum dieser Krieg entstanden ist. Und schon gar nicht, wer Schuld daran war.

 

klartext: Ist die Gruppe bei Serben auf Vorbehalte gegenüber Deutschen gestoßen?

Großes Medieninteresse in Serbien. Foto: Revermann.

Das war die größte Überraschung: Wir wurden mit einer Herzlichkeit und Gastfreundschaft empfangen, die ich so in anderen Ländern noch nicht erlebt habe. Das Medieninteresse vor Ort war gewaltig. Unsere Delegation war Gegenstand von lokalen und überregionalen Zeitungsberichten und Fernsehnachrichten. Die Serben freuen sich über internationale Kontakte und sind sehr offen gegenüber Deutschen. Dies liegt auch an der Geschichte. In Serbien lebten bis Ende des zweiten Weltkrieges fast 700.000 deutschstämmige Menschen. Ruma wurde wesentlich von Deutschen aufgebaut. Wir haben im Rahmen des Programms auch einen Friedhof besucht, auf dem viele deutsche Grabsteine zu sehen waren. Als symbolischen Akt habe ich mit dem Bürgermeister Sladan Mancic einen Kranz auf dem Grab eines deutschen Bürgermeisters mit dem Namen Ferdinand Riester abgelegt, der viel für Ruma geleistet hat.

Herzlich aufgenommen, tiefe Religiösität: Das Zimmer von Markus Revermann in seiner Gastfamilie. Foto: Revermann.

klartext: Hat die Verständigung wegen der Sprachprobleme nicht große Schwierigkeiten bereitet?

Die Befürchtung hatten auch einige Teilnehmer, da sie in Gastfamilien untergebracht waren. Einige Serben sprechen ganz passabel Englisch und sogar Deutsch. Wenn dies nicht der Fall war, hat die Verständigung auch so „mit Händen und Füßen“ gut geklappt. Neben Englisch und Russisch wird zunehmend jetzt auch die deutsche Sprache in den Schulen angeboten. Einige haben sich auch schon „blind“ verstanden, z.B. die beiden Landwirte aus unserer Delegation mit einem Landwirt aus Ruma, der Melonen anbaut, sich aber auch gut mit Schweinepreisen auskennt und derzeit in Serbien einen Schweinemangel beklagt hat. Über die von Dr. Zeljko Dragic gut übersetzten Witze des Landwirtes aus Ruma haben alle herzlich gelacht.

 

Die Chemie zwischen Ruma und der Samtgemeinde scheint zu stimmen.

klartext: Was ist Ihre Meinung? Sprechen Sie sich für eine offizielle Partnerschaft mit Ruma aus?

Zur Beantwortung dieser Frage ist es wichtig, sich den Sinn von Städtepartnerschaften zu gegenwärtigen. Sie sollen der Völkerverständigung dienen und den persönlichen Austausch fördern, um die Kultur und Einstellungen in anderen Ländern kennenzulernen. Dies hat in der Vergangenheit vor allem mit Städten in Frankreich, England und Polen Sinn gemacht, um die Wunden des zweiten Weltkrieges zu heilen. Der Erfolg war meines Erachtens so groß, dass viele Städtepartnerschaften mittlerweile in ihrem Elan nachlassen.

Beeindruckende Kulisse: Dieser Saal im Rathaus von Novi Sad. Foto: Revermann.

Im Gegensatz hierzu ist Serbien hungrig nach Kontakten mit anderen Ländern und auf dem Weg in eine moderne Demokratie und Zivilgesellschaft. Serbien ist ein interessanter Wirtschaftsstandort geworden und hat eine wichtige geostrategische Bedeutung auf dem Balkan. Russland, China und auch einige arabische Länder investieren derzeit sehr stark in Serbien. Die EU wäre gut beraten, auf der Basis unser engen historischen Bindungen auch um die Serben zu werben. Das Land befindet sich im Aufbruch und bietet viele gute Investitionsmöglichkeiten.

Hochhäuser: arabisches Investment in Belgrad. Foto Samtgemeinde.

Nach meiner Auffassung sollten wir den nächsten Schritt wagen und eine Partnerschaft begründen. Damit helfen wir in erster Linie dem Verein bei der Einwerbung von Fördermitteln und senden ein wichtiges Signal nach Ruma und Serbien. Besondere Risiken und Kosten sehe ich hier nicht auf uns zukommen. Inhaltlich sollte es meiner Meinung nach darum gehen, dass die Samtgemeinde die Aktivitäten des Vereines „Brücken bauen“ unterstützt. Mittlerweile hat sich auch in Ruma ein Verein gegründet, sodass die Aktivitäten vorrangig auf Vereinsebene ablaufen werden.

Die Delegation in Ruma auf dem Weg zum nächsten Termin. Foto: Revermann.

klartext: Die Samtgemeinde ein Rädchen in der Weltpolitik? Ist das nicht um einiges zu hoch gegriffen?

Die Bundesregierung und die EU haben mittlerweile erkannt, dass die Integration und Heranführung von Staaten an die EU oder die nachhaltige Entwicklungshilfe nicht alleine von der staatlichen Ebene geleistet werden kann. Mittlerweile gibt es viele Beispiele von Kommunen, selbst Verantwortung in der Entwicklungshilfe und auch bei der Integration von Beitrittskandidaten in die EU zu übernehmen. Ermutigt hat uns auch der Besuch in der Botschaft und bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Belgrad. Beide Institutionen haben uns massiv ermuntert, eine formale Städtepartnerschaft einzugehen. Dies wäre eine große Unterstützung bei der Entwicklung von Serbien. Derzeit gibt es noch nicht viele Partnerschaften. Beispiele sind Novi Sad mit Dortmund und Versmold mit Vrdnik in der Nähe von Ruma.

Hier Mitglieder der Delegation vor dem Rathaus der Stadt Novi Sad. Foto: Samtgemeinde.

klartext: Wie könnte eine Zusammenarbeit denn konkret aussehen?

Den Schwerpunkt der Partnerschaftsarbeit müsste meines Erachtens der Verein leisten. Hier geht es vorwiegend um den Jugendaustausch, kulturelle Veranstaltungen oder vielleicht auch mal die Berufsausbildung von Serben hier vor Ort. Aber auch die Verwaltungen können Projekte umsetzen.

Ein positives Beispiel ist die Bewerbung von Bersenbrück und Ruma auf ein Programm des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur nachhaltigen kommunalen Entwicklungspartnerschaft auf der Basis der Agenda 2030 der Vereinten Nationen. Wir bekommen einen Betrag von 10.000 €, um ausgewählte Themen gemeinsam zu erarbeiten und umzusetzen. Eine erste Idee ist die Installation einer Photovoltaikanlage auf einer Grundschule. Dies wäre in Serbien ein Pilotprojekt. Wir denken auch über die Renaturierung von Bachläufen nach oder Maßnahmen zur Umweltbildung wie die Anlage von Schulgärten.

klartext: War eine wirtschaftliche Zusammenarbeit ebenfalls ein Thema?

Kranzniederlegung auf dem Friedhof in Ruma. Foto: Revermann.

Hier können wir Ruma nicht viel bieten. Derzeit verfügt die Stadt über einen voll erschlossenen Industriepark mit 200 Hektar Fläche. Erste beeindruckende Ansiedlungserfolge sind zu verzeichnen. Vor kurzem hat sogar ein nepalesischer Investor eine Nudelfabrik errichtet. Dänen haben eine Matratzenfabrik gebaut und Franzosen produzieren Gummiteile für die Autoindustrie. Derzeit ist Tönnies in der Region aktiv und möchte massiv in die Fleischerzeugung investieren.

Synagoge in Novi Sad.

Bei einem Empfang in Novi Sad, eine sehr schöne und dynamische Stadt von 350.000 Einwohnern, haben uns der Stadt- und Regionspräsident mit dem Wunsch nach Kontakten nach Niedersachsen empfangen. Hier könnten wir auch noch Brücken bauen. Als Region mit Schwerpunkten bei der Agrarmaschinenherstellung, der Fleischindustrie und Lebensmittelherstellung gäbe es viele Anknüpfungspunkte. Dies kann aber natürlich nicht von der Samtgemeinde geleistet werden, sondern muss auf eine andere Ebene gehoben werden, z.B. zum Landkreis und zum Land Niedersachsen.

 

klartext: Teil der Delegation war ja auch Thomas Steinkamp von der Feuerwehr Alfhausen. Er war als Experte mit dabei, um die Frage der Schenkung eines Feuerwehrfahrzeuges zu klären. Was ist dabei herausgekommen?

Bescheidene Ausstattung der Feuerwehr in Ruma: die beiden besten Fahrzeuge der Flotte.

Wir waren die erste ausländische Delegation, die sich überhaupt für die Feuerwehr interessiert hat. Daher wurden wir sehr freundlich empfangen. Die Feuerwehr ist staatlich organisiert und wird auch nicht von der Stadt Ruma ausgestattet. Es gibt lediglich ein kleineres Budget von der Stadt.

Ein Lacher: Zeljko Dragic mit historischem Helm.

Die Wache in Ruma bestand aus 25 Berufsfeuerwehrmännern mit drei einsatzbereiten Fahrzeugen in vier Schichten. Das jüngste Fahrzeug war aus dem Jahr 2007. Ein Fahrzeug wurde gebraucht in England gekauft. Einige Fahrzeuge einschließlich der Drehleiter waren nicht einsatzfähig. Die Feuerwehr muss eine sehr große Region abdecken. Es gibt noch vier ehrenamtliche Feuerwehrvereine, allerdings ohne eigene Ausrüstung und ohne Alarmierungssystem. Der Ausrüstungsstandard und die Alarmierungszeiten liegen weit unter unseren Verhältnissen.

Die Wache in Ruma hat einen enormen Bedarf an guter Ausrüstung. Allerdings hat der Pflegezustand der Fahrzeuge die Frage aufgeworfen, ob ein Fahrzeug aus der Samtgemeinde dort lange seine Dienste verrichten würde. Die ursprüngliche Überlegung, den Unimog der Feuerwehr Gehrde einer freiwilligen Feuerwehr in Ruma zu geben, ist nach meiner Auffassung vom Tisch, da hier keine tragfähigen Strukturen vorhanden sind. Wir sollten das Thema vor dem Hintergrund unserer Reise weiter beraten.

 

klartext: Wie sieht Ihr weiterer Fahrplan aus?

Am 22.05. um 17 Uhr sollen im Feuerwehrausschuss die Erfahrungen aus der Delegationsreise diskutiert werden. Hierzu wird Harry Kindt als Vereinsvorsitzender eine Präsentation vorbereiten. In der Septembersitzung des Samtgemeinderates würde ich gerne eine Entscheidung über eine Partnerschaft zur Abstimmung stellen.

 

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