»Die Zeit« erhebt schwere Vorwürfe gegen adidas Rieste

Einst gefeiert: Die Ansiedlung von adidas im Niedersachsenpark in Rieste.
Die Wochenzeitung Die Zeit berichtet von katastrophalen Arbeitsverhältnissen der adidas-Leiharbeiter.

Die Wochenzeitung Die Zeit berichtet von katastrophalen Arbeitsverhältnissen der adidas-Leiharbeiter.

In ihrer Ausgabe vom 21. Mai werden im Wochenmagazin Die Zeit schwere Vorwürfe gegen adidas in Rieste erhoben. Dem im Niedersachsenpark ansässigen Distributionszentrum wird unter dem Titel „Vier Menschen gegen drei Streifen“ vorgeworfen, „Menschen wie Rechtlose“ zu behandeln.

Gesellschafter des Niedersachsenparks sind u.a. die Gemeinde Rieste und die Samtgemeinde Bersenbrück. Der Niedersachsenpark, der sich in den letzten Jahren gut entwickelt hat, wurde durch die Ansiedlung von adidas bundesweit bekannt. Nun machen adidas und der Niedersachsenpark bundesweit Negativ-Schlagzeilen.

Nach den Recherchen der Zeit arbeiten bei adidas, diesem Unternehmen mit dem so sportlich-dynamischen Image, Leiharbeiter unter geradezu frühkapitalistischen Bedingungen. Die vier Kronzeugen, die Die Zeit aufbietet, sind nicht anonym. Sie zeigen Gesicht und werden mit vollem Namen genannt. Die Geschichten, die sie erzählen, sind haarsträubend. Es geht um die Geschichten von Leiharbeitern, die zumeist aus osteuropäischen Ländern wie Polen kommen.

In Rieste beschäftigt die adidas-Gruppe 281 eigene Mitarbeiter. Zusätzlich werden 583 (!) Leiharbeiter beschäftigt. 335 über ManpowerGroup und 248 über die Leiharbeitsfirma Olympia. Bei adidas werden also mehr als doppelt so viele Leiharbeiter beschäftigt als Mitarbeiter bei adidas angestellt sind.

Die Leiharbeiter erheben schwere Vorwürfe. Eine dieser Geschichten: der „Abruf“. Die Zeit: „Bei Abruf, sagen die Arbeiter, müssten sie den ganzen Tag per Handy erreichbar sein. Von zu Hause bewege man sich besser nicht weg. Wenn der Anruf komme, müssten sie kurz darauf im Werk sein… Für das Warten, sagen die Arbeiter, gibt es kein Geld.“

Die Vorwürfe beziehen sich außerdem auf nicht bezahlte Überstunden, auf große Differenzen zwischen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und denen, die in der Abrechnung auftauchen, und auf Willkür. Zum Beispiel einen Rausschmiss, weil die Bezahlung eines Teils der Überstunden eingefordert wurde. Das Bild, das sich aus der Reportage ergibt, ist das Bild von Arbeitnehmern bar aller Rechte.

 

Spricht nicht für adidas: Die hohe Zahl der Leiharbeiter.

Leiharbeiter werden zu einem bestimmten Zweck eingesetzt. Sie sind, sonst wären es auch bei adidas nicht so viele, gut und günstig. Sie sind zu günstigen Preisen zu haben und man kann sich leicht von ihnen trennen. Außerdem haben Leiharbeiter so gut wie gar keine Lobby. Was Die Zeit über den Riester adidas-Betriebrat zu berichten hat, mutet befremdlich an.

„Der Betriebsrat“, schreibt Die Zeit, „sagt, seine Einschätzung decke sich hundertprozentig mit der der adidas-Pressestelle.“ Ein Betriebsrat, der hundertprozentig mit der Unternehmens-Pressestelle übereinstimmt – soviel heile Welt ist mehr als selten. Und weckt Zweifel am Selbstverständnis dieses Betriebsrats. Mehr noch als vom Unternehmen wäre vom Betriebsrat zu erwarten, dass er sich der Sache der Leiharbeiter annimmt und zumindest versucht, den Vorwürfen auf den Grund zu gehen.

Ein Leiharbeitsverhältnis liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer mit seiner Zustimmung von dem Arbeitgeber (Verleiher), der mit ihm einen Arbeitsvertrag geschlossen hat, an einen anderen Arbeitgeber (Entleiher) ausgeliehen wir, um eine Arbeitsleistung zu erbringen. Nach den Buchstaben des Gesetzes müssen für einen Leiharbeitnehmer im Wesentlichen die gleichen Arbeitsbedingungen gelten, einschließlich der Bezahlung, wie für die übrigen Arbeitnehmer des Betriebs („equal pay“). Aber Papier, das hat die Realität schon sehr häufig gezeigt, ist geduldig.

adidas weist alle gegen das Unternehmen erhobenen Vorwürfe zurück. Ein echter Wille zur Aufklärung ist nicht erkennbar. Statt dessen wird auf Auszeichnungen durch Organisationen wie „Dow Jones Sustainability Index“ oder „Corporate Knights“ für hohe Arbeitsstandards in der Beschaffungskette verwiesen. Wer auch immer diese Organisationen sind: Der Sache ist mit Verweisen darauf nicht gedient.

Einst gefeiert: Die Ansiedlung von adidas im Niedersachsenpark in Rieste.

Einst gefeiert: Die Ansiedlung von adidas im Niedersachsenpark in Rieste.

Vielleicht schaut das adidas-Management einmal auf die Webseite des Unternehmens. Dort heißt es unter der Überschrift „Umgang mit unserer Beschaffungskette“: „ Sollten wir bei der Überprüfung einer Fabrik feststellen, dass die Betriebsleitung die Beschäftigten unfair behandelt, dass Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz nicht gewährleistet sind oder der Betrieb den Umweltanforderungen nicht nachkommt, ergreifen wir entsprechende Maßnahmen.“ Die Zeugnisse, die die Menschen in der Zeit ablegen, wären allemal Grund genug, genau auf Rieste zu schauen, zügig für Klärung und Aufklärung zu sorgen und Maßnahmen zu ergreifen.

Offenbar reicht die bisherige Kontrolle der Leiharbeitsfirmen durch adidas bei Weitem nicht aus. Besser noch als eine verschärfte Kontrolle wäre jedoch eine signifikante Reduzierung der Anzahl der Leiharbeiter durch Überführung dieser Arbeitskräfte in ein normales Arbeitsverhältnis.

 

„Ich halte persönlich einen derartig hohen Anteil an Leiharbeitern für problematisch“.

Samtgemeinde-Bürgermeister Dr. Horst Baier.

Samtgemeinde-Bürgermeister Dr. Horst Baier.

Für die Samtgemeinde Bersenbrück, Gesellschafter des Niedersachsenparks, in dem sich adidas angesiedelt hat, sagt Samtgemeinde-Bürgermeister Dr. Horst Baier: „Wir haben wenig Kontakte zu adidas. In einem Gespräch mit Vertretern von adidas habe ich das Thema Leiharbeiter, Mindestlohn und Unterbringung erörtet. adidas hatte versichert, dass die gesetzlichen Vorgaben und selbst gesetzten Standards eingehalten werden.

Wir haben auf Bitte von adidas über die Alfsee GmbH Hilfestellung bei der Beschaffung von Unterkünften für die Leiharbeiter geleistet, um hohe Standards zu gewährleisten. Auf die Einstellungspolitik haben wir keinerlei Einfluss. Ich halte persönlich einen derartig hohen Anteil an Leiharbeitern für problematisch, da die Risiken einer Imageschädigung beim Einsatz von Leiharbeitsfirmen sehr hoch sind, die Mitarbeiter sich kaum mit dem Unternehmen identifizieren und davon auszugehen ist, dass die Leiharbeitsfirmen schlechtere Arbeitsbedingungen bieten als für die eigenen Beschäftigten. Für die Samtgemeinde würde ich Festanstellungen begrüßen, da diese Menschen eher bereit sind, sich dauerhaft auch vor Ort ihren Lebensmittelpunkt zu suchen.“

 

Sebastian Hüdepohl, der Bürgermeister von Rieste.

Sebastian Hüdepohl, der Bürgermeister von Rieste.

„In den Bereichen, in denen wir helfen können, aktiv werden“.

Die Gemeinde Rieste ist, wie die Samtgemeinde, Gesellschafter des Niedersachsenparks. Riestes Bürgermeister Sebastian Hüdepohl verweist darauf, dass die „Einstellungs- und Personalpolitik generell natürlich Sache der betreffenden Firma, hier also adidas“, ist. Bürgermeister Hüdepohl zu den Plänen der Gesellschafter: „Auf meine Anregung hin haben wir uns Anfang vergangenen Jahres im Gesellschafterkreis bereits mit dem Thema auseinandergesetzt. Wir waren uns einig, dass wir in den Bereichen, in denen wir helfen können, aktiv werden. So sollen insbesondere die Wohnbedingungen der Arbeitskräfte, die nur einige Monate hier beschäftigt sind, einen gewissen Standard erfüllen.“

Außerdem, so der Bürgermeister, soll der Niedersachsenpark besser mit öffentlichen Verkehrsmittel erreichbar sein, „sodass Arbeitskräfte auch im Niedriglohnsektor ohne Pkw problemloser an die Arbeitsstätten kommen können“.

„Insgesamt“, so Sebastian Hüdepohl, „hoffe ich, dass der hohe Anteil an Leiharbeitern weiter zurückgefahren wird, zumal ein Unternehmen, und auch wir in der Region, dauerhaft wirklich nur von fest angestellten, zufriedenen Mitarbeitern profitiert, die sich hier vor Ort wohl fühlen und dann auch darüber nachdenken, sich vielleicht dauerhaft hier niederzulassen.

Dennoch ist natürlich ein kompletter Verzicht auf Leiharbeiter aufgrund des schwankenden Saisongeschäftes bei adidas nicht zu erwarten. Aus persönlichen Gesprächen mit Betroffenen weiß ich, wie belastend die Situation für diese Arbeitskräfte ist. Wir vertrauen darauf, dass Adidas sich seiner sozialen Stellung in der Gesellschaft bewusst ist und weiter die Situation verbessert. Ich jedenfalls werde nach meinen Möglichkeiten weiter daran arbeiten.“

 

Mehr auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen schauen.

Vertrauen ist gut, Kontrolle wohl noch besser, denn adidas scheint dem bislang in dieses Unternehmen gesetzte Vertrauen nicht gerecht geworden zu sein. Rieste ist eine überschaubare Gemeinde mit gut 3.000 Einwohnern. Die vielen adidas-Leiharbeiter, die in und um Rieste herum leben, haben unsere Aufmerksamkeit verdient. Die Gemeinde Rieste wie auch die Samtgemeinde setzen auf die Steuern und die Arbeitsplätze. Welche Art Arbeitsplätze sind das? Über die Zahlen, die der Einschätzung zugrunde liegen, der Niedersachsenpark sei eine Erfolgsgeschichte, sollten alle Beteiligten die Menschen und ihre Arbeitsbedingungen wie auch ihre Lebensbedingungen nicht aus dem Blick verlieren. Das schließt auch mehr Aufmerksamkeit für die Wohnverhältnisse der Leiharbeiter ein.

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7 Kommentare

  1. P.Großmann

    bereits im März d.J. habe ich den Wirtschaftsförderer der SG Bersenbrück , Herrn Beelmann,
    auf Mißstände bei Adidas telefonisch hingewiesen. Wie man sieht, ist nichts geschehen.
    Soviel zu der Frage von Frau Middelschulte.

    • elisabeth middelschulte

      . . . danke für den Hinweis! Das bedeutet natürlich, dass auch da und zwar erst recht nachgebohrt werden muss!!

  2. Jasmin

    Ich find es richtig gut, dass die Sache ans Rollen kommt! Bin im Oktober 2013 dort angefangen! Vorstellungsgespräch wurde klar und deutlich gesagt, dass ich alleinerziehend bin und ich an den Wochenenden nicht arbeiten kann. NEIN ,hier wird nur von Mo – Fr. gearbeitet mit Tagschicht 8.15 – 17.00 ! Alles gut und schön. Aus Tagschicht wurde dann angefangen mit Früh und Spätschicht. Dazu kam dann die Nachtschicht. Meine Tagesmutter machte auch alles mit…diese 3 Wechselschicht ! Immer wieder kam dann zu diesen 3 Wochen Wechsel Schichten das wir an den Wochenenden arbeiten sollten ! Für mich war von vornherein klar, dass ich an den Wochenenden nicht arbeiten kann. Im Januar 2015 dann…. die Vorarbeiterin ging zum Supervisor hin ( Wechsel der Supervisor in der Abteilung ) und sagte ihm…das es doch wohl nicht sein kann , dass ich an den Wochenenden nicht arbeiten kommen würde….
    Also sollte ich ins Büro zur Klärung! Manpower mit dabei …. da kriegte ich zu hören… die würden mir nun noch 14 Tage zeit geben um für die Zukunft zu klären wo ich an den Wochenenden meine Kinder lasse… würde ich im Februar nicht alle Wochenenden zur Arbeit kommen, könnte ich gehen, dann wäre ich dort fehl am Platz. Ist das nicht nett ?!
    Dazu wurde ich gefragt, wie alt meine Kinder sein…. ich antwortet der Älteste ist 13 der Jüngste 5 … ! Manpower sagte dann… der 13 jährige könnte dann jawohl 8 std am Tag auf die anderen aufpassen ( ingesamt 5 Kinder )
    Okay… soll ich dieses dem Jugendamt mal mitteilen?
    So wurde dann nur noch die Fresse gehalten !
    Kurz gesagt… ich bin durch den ganzen Stress und Ärger seid Ende Januar krank geschrieben !
    Der Betriebsrat hat sich ein scheiß drum gekümmert !
    Schade um die Arbeit , denn die hab ich wirklich sehr gerne gemacht…. aber das Betriebsklima wie die mit ihren Leuten umgehen, unter aller Sau ! Sklaven halt !!
    Viele anderen Sachen kommen hinzu…. wie Abrechnung auf Steuerklasse 6 , obwohl meine Unterlagen alle vorlagen !
    Urlaubssperre usw
    Ich hoffe dort wird alles an Problemen nachgegangen !

  3. roma

    Warum Städten wie Rieste, Bramsche, Aufhausen, Osnabrück, hat nichts zu tun? Das Job Center ist eine Menge Leute entlassen und kein Geld von Mannpower bezahlt.

  4. cza

    Ich lebe in einem Zimmer mit einem Kollegen, der Arbeit in adidas Rieste in Otto (Olympia) I für Zimmer 1/2 und 1 altes Bett, gemeinsame Kleiderschrank zu zahlen.
    Zu Hause eine Menge Leute, 1 Küche und 1 Badezimmer 250 €. 30 Euro für Strom.

  5. elisabeth middelschulte

    Ich bitte auch die Wohnverhältnisse unter die Lupe zu nehmen. Was ist dran an den Gerüchten, die in der Bevölkerung kursieren? Wer mietet? Wer vermietet? Wer vermittelt? Wer zahlt? Wer profitiert? Gibt es Befangenheiten, Nutznießer, Vernetzungen, Nähe von Politik und Profit? Was tut die SG?

    • Patrick Siebrecht

      Also ich weiß von Ausländischen Leiharbeitern, dass diese zu mehreren Personen in in Ferienhäuser untergebracht waren. Diese beklagten das sie teilweise nicht einmal einen Schrank zum unterbirngen ihrer privaten Gegenstädne hätten und das sie mit mehreren Kollegen ein Zimmer teilen mussten. Natürlich wurde eine Summe X als Miete direkt vom Gehalt abgezogen. Wie es jetzt aussieht weiß ich leider nicht, aber eins kann ich noch dazu sagen: Das ist nur die Spitze des Eisbergs was hier erwähnt wurde!

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