Kolumbarium in Gehrde? Friedhofskultur im Wandel

Im Monat November sorgen viele Lichter auf den Friedhöfen für ein stimmungsvolles Totengedenken.
Im Monat November sorgen viele Lichter auf den Friedhöfen für ein stimmungsvolles Totengedenken.

Im Monat November sorgen viele Lichter auf den Friedhöfen für ein stimmungsvolles Totengedenken.

In diesen November-Tagen wirken unsere Friedhöfe, als ginge aller gesellschaftliche Wandel an ihnen vorbei, als seien sie zeitlose Inseln der ewigen Ruhe. Der Anschein trügt. Unsere Friedhofskultur hat sich verändert, verändert sich weiter – und die bestehenden Friedhöfe geraten unter Konkurrenzdruck.

Historisches Kolumbarium auf dem Leipziger Südfriedhof. © Foto: https://de.wikipedia.org/wiki/Kolumbarium

Historisches Kolumbarium auf dem Leipziger Südfriedhof. © Foto: https://de.wikipedia.org/wiki/Kolumbarium

Welchen Wert hat, was wir bislang in unseren Orten haben: nur ein oder zwei Friedhöfe als zentrale, gemeinschaftliche Stätten der Erinnerung? Das ist eine Frage, die sich Ratsmitglieder der Samtgemeinde Besenbrück derzeit wieder stellen müssen. In Gehrde möchte ein Bestattungsunternehmen ein Kolumbarium, eine Begräbnisstätte für Urnen, betreiben. Zur Einrichtung eines Ruheforsts in Ankum sagte der Samtgemeinderat im Juli nein.

Auf der Tagesordnung des Samtgemeinde-Ausschusses „Feuerwehren, Umwelt, Kultur und Soziales“ steht am Montag, 2. November, der Punkt Einrichtung eines kommunalen Kolumbariums in Gehrde. Betreiben möchte das Kolumbarium das Bestattungsunternehmen Lembke. Der Standort soll ein Grundstück am Gehrder Weg sein.

 

Öffentlicher Ort der Trauer: Der evangelische Friedhof in Bersenbrück.

Öffentlicher Ort der Trauer: Der Friedhof in Bersenbrück.

In kirchlicher Trägerschaft, aber offen für alle.

Die Bestattungskultur, das zeigt sich auch in der Samtgemeinde Bersenbrück, ist in Bewegung geraten. In Bewegung geraten ist auch die Bestattungskultur auf den bestehenden Friedhöfen. Alle Friedhöfe sind nach wie vor in der Trägerschaft einer christlichen Kirche. Anders als früher sind die Friedhöfe heute jedoch offen für alle.

Ansgar Stolte, Pfarrer in Ankum, Eggermühlen, Kettenkamp.

Ansgar Stolte, Pfarrer in Ankum, Eggermühlen, Kettenkamp.

Ansgar Stolte, Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Ankum, Eggermühlen, Kettenkamp: „Wenn auch alle Friedhöfe in der Samtgemeinde Bersenbrück in Trägerschaft einer der christlichen Kirchen sind, so werden doch – soweit gewünscht – alle Verstorbenen in der jeweils bevorzugten Form auf ihnen begraben.“
Die Friedhöfe sind also offen für Menschen aller Konfessionen wie auch für Menschen ohne Konfession, und sie sind offen für unterschiedliche Bestattungsformen. Eine der wichtigsten Veränderungen war die Öffnung der Friedhöfe für die Urnenbestattung. Die evangelische Kirche erkennt die Feuerbestattung bereits seit 1920 an. Die katholische Kirche hob das Verbot der Feuerbestattung 1963 auf. Auch in der Samtgemeinde ziehen immer mehr Menschen die Urnen-Bestattung der Sarg-Bestattung vor.

Das Wort Kolumbarium bedeutet eigentlich Taubenschlag. Man übernahm dieses Wort, weil die ersten Kolumbarien – die altrömischen Grabkammern mit ihren reihenweise übereinander angebrachten Nischen für Urnen und auch Särge – an einen Taubenschlag erinnerten.

Die Bestattungskultur ist im Wandel begriffen, und dieser Wandel regt zu kontroversen Debatten darüber an, wie weit er gehen sollte. Die bestehenden Friedhöfe zeichnen sich durch dreierlei aus: Sie sind öffentliche Orte, deutlich als Friedhöfe erkennbar und jeder dort Bestattete trägt einen Namen.
Welche Bedeutung kommt dem Namen zu? So manche Bestattungsform kommt ohne Namens-Erinnerung aus. Die anonyme Bestattung zum Beispiel, manche Waldbestattung, wenn die Asche auf einem Aschefeld verstreut wird oder die Seebestattung.

Es gibt Waldbestattungen ohne Namensschild, in der Regel werden Baumgräber aber mit einem Namen versehen. Die Grabpflege übernimmt die Natur. Grabschmuck ist nicht erlaubt.

 

„Ein sichtbares Zeichen gegen die Namenlosigkeit“.

Ein Urnengrab auf dem Friedhof in Ankum.

Ein Urnengrab auf dem Friedhof in Ankum.

Für Pfarrer Ansgar Stolte gehören Würde und Namen zusammen. „Wenn ich Anfang November über den Friedhof spazieren gehe“, so Ansgar Stolte, „herrscht dort eine ganz besondere Stimmung: Bunte Blätter des Herbstlaubes leuchten mit unzähligen Lichtern und Gestecken um die Wette. Die Gräber sind mit flackernden Kerzen, bunten Kränzen und prächtigen Blumengestecken geschmückt. Warum ist das eigentlich so?“
Im November, so Pfarrer Stolte, „wird zu verschiedenen Anlässen und mit unterschiedlichen Motivationen der Verstorbenen gedacht: Allerheiligen und Allerseelen bilden den christlich-katholischen Auftakt; es folgt der politisch-gesellschaftliche Volkstrauertag mit dem Gedenken der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft; den Abschluss bildet der Totensonntag oder auch Ewigkeitssonntag, gleichsam das evangelische Pendant zum katholischen Allerheiligen.
Unabhängig von Konfession und Religion geht es in dieser Zeit in besonderer Weise um das wertschätzende Gedenken der verstorbenen Menschen. Jeder Mensch ist einmalig und mit einer besonderen unveräußerlichen Würde ausgestattet, wie es schon im ersten Artikel des Grundgesetzes heißt. Diese besondere Würde eines jeden Menschen, unabhängig von Herkunft, Status, Einkommen oder anderen äußeren Merkmalen, wird auch durch unsre Friedhofskultur ausgedrückt.

Bei aller Unterschiedlichkeit der Bestattungsformen, bei allem Wandel in der Gesellschaft, setzen unsere Friedhöfe ein sichtbares Zeichen gegen die Namenlosigkeit und für die Würde eines jeden – auch verstorbenen – Menschen.“

Ein Garten des Friedens: Der Friedhof in Eggermühlen.

Ein Garten des Friedens: Der Friedhof in Eggermühlen.

 

Margot Käßmann: „Ein Friedhof beheimatet uns“.

Am Totensonntag gedenken evangelische Christen in besonderer Weise ihrer Toten.

Am Totensonntag gedenken evangelische Christen in besonderer Weise ihrer Toten.

Auch die evangelisch-lutherische Theologin Dr. Margot Käßmann*, damals noch Landesbischöfin, grenzt sich in einem Vortrag von 2008 deutlich von namenlosen Bestattungskulturen ab. Menschen zum Beispiel so in einem Wald zu bestatten, „dass man gar nicht merkt, dass dort Menschen bestattet wurden“ – da zieht Margot Käßmann eine klare Grenze. Sie stellt dem „individuellen Grab als Erinnerungsort“ die „anonyme Entsorgung einer materiellen Hülle“ entgegen.
Für Margot Käßmann muss ein Friedhof „ein erkennbarer Ort sein“. „Der evangelische Theologe Fulbert Steffensky“, so Käßmann, „hat einmal gesagt, ‚Heimat ist da, wo wir die Namen der Toten kennen‘. Das ist ein wunderbarer Satz. Der Friedhof beheimatet uns, weil wir uns erinnern an die, mit denen wir gelebt haben, die vor uns gelebt haben. Friedhöfe erinnern uns auch daran, dass wir letztendlich mit dem Leben noch um ganz andere Dinge kreisen als um das ewige Geld, um Erfolg oder auch um Macht.“
Friedhöfe, sagt Pfarrer Ansgar Stolte, sind „nicht nur ein Ort der Toten, sondern auch der Lebenden: Sie halten in uns die Fragen nach dem Woher und Wohin lebendig. Und nach christlichem Verständnis reißt die zwischenmenschliche Gemeinschaft mit dem Tod nicht ab, sondern gewinnt eine neue Gestalt.“

 

Brauchen wir weitere Friedhöfe?

Drinnen statt draußen: Ein Kolumbarium im Stammhaus der Familie Frankenheim in Düsseldorf-Derendorf. © Foto: http://www.kolumbarium.org/index.php?id=118

Drinnen statt draußen: Ein Kolumbarium im Stammhaus der Familie Frankenheim in Düsseldorf-Derendorf. © Foto: http://www.kolumbarium.org/index.php?id=118

Eine Bestattungsstätte als privates Geschäftsmodell, sei es ein FriedWald oder ein Kolumbarium, sind Ausdruck unserer Zeit – und in Niedersachsen als reine Privatprojekte auch nicht ohne „Umweg“ erlaubt.
Nach dem Niedersächsischen Bestattungsgesetz können nur Gemeinden oder Kirchen Träger von Friedhöfen sein. Um den Weg frei zu machen für ein privat betriebenes Kolumbarium in Gehrde, müsste die Samtgemeinde Bersenbrück zunächst einmal die kommunale Trägerschaft übernehmen. Sie kann dann die Betriebsführung einem privaten Bestattungsunternehmen übertragen.
Geht die Samtgemeinde diesen Weg, entsteht Konkurrenz zu den bestehen Friedhöfen. So sehr Friedhöfe Kulturstätten sind, so geht es doch auch ums Geld, um die Wirtschaftlichkeit. Je weniger Menschen auf den bestehenden Friedhöfen bestattet werden, desto teurer wird der Betrieb eines Friedhofs. Befördert wird durch die Umbrüche im Bestattungswesen auch eine Entwicklung, die an der Substanz der bisherigen Friedhofskultur nagt: Dass Friedhöfe zentrale, gemeinschaftliche Stätten der Erinnerung sind.

Bleiben unsere Friedhöfe, was sie sind: zentrale, gemeinschaftliche Stätten der Erinnerung?

Bleiben unsere Friedhöfe, was sie sind: zentrale, gemeinschaftliche Stätten der Erinnerung?

 

Ein Gewinn an persönlicher Freiheit oder ein Verlust?

Sollen mehr Begräbnisstätten entstehen, um mehr Freiraum für die Verwirklichung individueller Bestattungswünsche zu schaffen? Das ist eine Frage, die die Ratsmitglieder beantworten müssen, wenn sie über die Einrichtung eines privat betriebenen Kolumbariums in Gehrde entscheiden. Andere Formen der Urnenbestattung, zum Beispiel in einem Kolumbarium, könnten auch auf den bereits bestehenden Friedhöfen ermöglicht werden.
Die Kirchen hatten über Jahrhunderte hinweg das Bestattungsmonopol und beeinflussten die Bestattungskultur aus christlicher und kultureller Sicht. Dieses Monopol besteht nicht mehr. Aufzuhalten ist dieser Wandel nicht. Es stellt sich angesichts der Schnelligkeit der Veränderungsprozesse allerdings die Frage, ob mit den neuen Bestattungsfreiheiten nicht zu viel zu schnell aufs Spiel gesetzt wird. Es wäre nicht das erste Mal, dass erst im Nachhinein erkannt wird, was an Wichtigem verloren ging.

* Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann: Friedhofskultur – ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Festbeitrag anlässlich einer öffentlichen Tagung am 9. Januar 2008 in der Kreuzkirche, Hannover.

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