„Alles schon ziemlich irre“

Bei der Arbeit Auge-in-Auge mit wilden Hyänen – das war ein Schreckmoment! Der Ankumer Torsten Melzer ist von seiner Baum-Mission in Äthiopien zurück. Da gibt’s viel zu erzählen.

Erzählte in Ankum von seiner Äthiopien-Mission: Torsten Melzer – mit Ehefrau Moni und Sohn Otto.

 

In Äthiopien, nahm Torsten Melzer als eine Erfahrung mit nach Hause, ist man nicht miesepetrig drauf, sondern durchweg „fine“, also bestens. „HEY are you fine?; hey, yeah I am fine, how are you? I am fine!“ Das sind, so Torsten, die meistgesagten Sätze am Tag. „Fine – das kommt bestimmt 20 mal oder öfter vor. Die Äthiopier sind echt freundlich drauf.“

Farbenfroh: Häuser in Harar. © T. Melzer.

Nach Äthiopien führte Torsten die Mitarbeit im Forschungsprojekt Arboneth (www.arboneth.com). Bei diesem Projekt geht es um den nachhaltigen Schutz des stetig sinkenden Baum- und Waldbestandes in dem ostafrikanischen Land, um entsprechende Forschung und Ausbildung. Das Äthiopien-Projekt wurde für Torsten zu einem Trip, bei dem so manches ganz anders lief als gedacht und der ihm reichlich Erfahrungen bescherte.

Der Einsatzort: Die beiden Aboreten der Universität von Haramaya. Der große Uni-Campus mit seinen Instituten und Studentenheimen ist eine regelrechte Stadt für sich. Es gibt etwa 30.000 Studierende! Haramaya liegt 17 km von der Stadt Harar entfernt. Die hat 133.000 Einwohner, liegt auf einer Höhe von 1.850 m und gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO.

 

Viel Armut, Plastik und Müll. © T. Melzer.

Meistens 1 x am Tag Wasser: „Das war Luxus“.

Eigentlich sollte Torsten bei einer Familie in der Stadt Harar wohnen, aber das hätte bedeutet, täglich anderthalb Stunden zwischen dem Wohn- und dem Arbeitsort hin und her zu fahren. Da war es praktischer, auf dem Campus der Uni zu bleiben. „Ich hatte da ein Zimmer mit einem eigenen Bad und einer eigenen Wassertherme“, berichtet Torsten. „Das war Luxus“. Was jedoch nicht heißt, dass ständig Wasser floss. Aber meistens gab’s einmal am Tag das in Äthiopien so kostbare Nass.

Morgens um 9.00 Uhr ging es raus zur Arbeit. Der Auftrag: in zwei Arboreten dokumentieren, welche Baumarten es dort gibt und wie es um den Zustand der Natur bestellt ist. Ein Arboretum ist eine Art botanischer Garten, in dem Bäume und/oder Sträucher zu Studienzwecken gepflanzt werden. Bäume zählen, die Arten bestimmen, Baumhöhe und Stammumfang messen – das klingt nach einer schönen Arbeit an der frischen Luft. Die Luft in fast 2.000 m Höhe war prima, der Zustand der Arboreten deprimierend. „Seitdem das Institut für Forstwirtschaft von der Uni vor etwa 20 Jahren nach Wondo Genet umgezogen ist, blieben die Baum-Parks sich selbst überlassen“, so Torsten. Mit schlimmen Folgen.

Nach 20 Jahren ohne Hege & Pflege: Ein Arboretum in trister Verfassung, hier durch Brandrodung. © T. Melzer.

 

Mit einem Mann händchenhaltend über den Campus.

Trotz und alledem: Die Arbeit schien gut organisiert. Von einem „Tree-Spotter“, also einem Baum-Fachmann, bekam Torsten eine Einweisung und es wurden ihm zwei Hilfskräfte zur Seite gestellt. Die waren erste Lektionen in Sachen Sitten & Gebräuche.

Händchen halten? Nicht so Torstens Ding.

Lektion Nr. 1: Händchen halten unter Männern. „Von einem Mann, der mit mir Händchen hält, durch die Gegend geführt zu werden, das“, so Torsten, „war ungewohnt. Dass junge Pärchen Händchen halten, das gibt es in Äthiopien gar nicht. Dafür laufen die Männer Hand-in-Hand.“

Lektion Nr. 2: Geburtssitten. Eine Hilfskraft war nach wenigen Tagen wieder weg. Der Mann wurde Vater. Nach äthiopischer Sitte, erzählt Torsten, bringt die Frau ihr Kind im Kreise der Familie zur Welt, aus der sie stammt. Also musste auch der Mann zur Geburt in die fast 600 km entfernt liegende Hauptstadt Addis Abeba, wo die Familie der werdenden Mutter lebt.

Südlich von Harar: Handel & Wandel auf einem Markt für Rinder und Kamele. © T. Melzer.

 

Lektion Nr. 3: TIA – This ist Africa. Die andere Hilfskraft war schon nach einem halben Tag einfach nicht mehr zu erreichen. Was dazu sagen? Das lernte Torsten schnell. TIA sagt man dazu in Äthiopien. TIA = this is Africa (das ist Afrika). Was frei übersetzt soviel heißt wie „die Dinge nehmen, wie sie kommen, nur nicht aufregen, nur keine Hektik“.

An vielen Stellen: jede Menge Plastik-Müll. © T. Melzer.

Also alleine raus an die Arbeit. Bei dem Wildwuchs war nur noch ansatzweise zu erkennen, dass hier und dort einmal Baumarten gepflanzt wurden. Vieles war dicht zusammengewachsen, anderes mausetot. In einem älteren Teil standen z. B. noch 15 um die 20 m hohe Eukalyptusbäume, 8 davon abgestorben.

Der Baum-Park war zudem zur Müllkippe geworden mit jeder Menge Plastikmüll – und zu einem natürlichen Selbstbedienungsladen. Aus dem holt sich jeder, was er braucht. Holz um zu heizen z. B. oder Borke von Eukalyptus für die traditionellen Kaffeezeremonien. Was einerseits schön war – dass Arbeiter oder auch Studenten in Gruppen am Feuer zusammensaßen oder bei einer Kaffeezeremonie –, war für Torsten zugleich betrüblich, weil die „Selbstbedienung“ zum weiteren Ruin des Arboretums beiträgt.

Auf frischer Tat ertappt: ein Polizist, der Rinde von einem Eukalyptus-Baum abschneidet. © T. Melzer.

Borke von Eukalyptus, um Kaffee zu trinken? Ja, denn eine äthiopische Kaffeezeremonie ist von viel Räucherwerk begleitet. Angefangen vom Rösten der Bohnen bis zum Ausräuchern der Gefäße, mit Weihrauch z. B. oder mit Eukalyptusborke. Die Borke abnehmen, das endet für den Baum zumeist tödlich.

 

Und plötzlich eine Hyänen-Mutter mit ihren Jungen.

Als einzigartig beschreibt Torsten, dass in dem kleineren Arboretum auch ein Hyänen-Rudel in einer Höhle lebt. Und nicht nur dort werden diese wilden Tiere mit der eintretenden Dunkelheit gegen 18.00 Uhr aktiv. An Hyänen musste er sich schon auf dem Uni-Campus gewöhnen. „Da kommt abends ein Rudel aus einem Waldstück raus und läuft frei auf dem Campus rum. Da kann man die dann so aus fünf Metern Entfernung beobachten. „Manchmal“, so Torsten, „werfen die Studenten mit Knallern nach den Tieren, um sie zu ärgern“. Anscheinend haben es Mensch und Wildtier gelernt, miteinander auszukommen.

An Begegnungen mit Hyänen muss man sich erst einmal gewöhnen. © T. Melzer.

 

Einen Schreckmoment gab es für Torsten dennoch. An einem Tag war er länger als geplant bei der Arbeit. Er hatte illegale Fällungen entdeckt, die er dokumentieren wollte. Wie aus dem Nichts stand dann plötzlich in nur zwei Metern Entfernung eine Hyänen-Mutter mit ihren Jungen da. Ein Wildtier mit seinen Jungen, und das so nah: Da kam ein ziemlich mulmiges Gefühl auf. Passiert ist nichts, die Hyänen zogen weiter ihrer Wege.

 

Das Haupttor der Uni. Screenshot: www.sanjoypal.com

Null Alkohol auf dem Campus, aber Khat. 

Auf den Schrecken einen Schluck Alkohol kippen – Torsten hätte sich, wie die Mitarbeiter der Uni, nach der Arbeit ein örtlich gebrautes Bier gönnen können. Die Studenten allerdings nicht: Für sie gilt auf dem Campus ein striktes Alkoholverbot.

„Außerhalb des Geländes ließen es die Studenten aber ordentlich krachen“, bekam Torsten mit. „Wer jedoch nach 22.00 Uhr zum bewachten Tor kam, wurde nicht mehr reingelassen und musste die Nacht außerhalb des Campus verbringen. Auf dem Campus selbst konnte man nicht viel unternehmen“, so Torsten. „Aber es gab zwei große Fußballstadien, dort machten viele Sport“. Die äthiopischen Marathonläufer, lernte er auch, werden im Land als Helden verehrt, auf die ist man unheimlich stolz.

Auch mal um die Häuser ziehen.

Gelegentlich zog es Torsten auch nach Harar. In seinem Reise-Blog hat er zu einem der Stadtausflüge notiert: „An einem Samstag war ich tagsüber mit ein paar neuen Freunden unterwegs, und diese Khat-„Tradition“ ist ziemlich verrückt. Den ganzen Tag über hängen Leute rum und kauen ihr Khat.“

Torsten war in einer Hochburg des Khat-Anbaus gelandet. Dort, im Osten des Landes, ist Khat nicht nur Rauschmittel, sondern wird als Bestandteil der Tradition betrachtet. Auf Khat zu sein, gehört quasi zum Lebensstil. Auf dem Campus wurde Torsten von einem Polizisten auf ein paar Blätter eingeladen. Diese Variante der Gastfreundschaft fand der Ankumer Jung‘ eher irritierend.

Khat. Die Droge Khat ist mit einem Anteil von etwa 15 Prozent nach Kaffee das zweitwichtigste Exportgut Äthiopiens. Zwischen der Universität von Haramaya und Harar befindet sich der größte Khat-Markt Äthiopiens. Die gesamte Region ist vom Khat-Anbau geprägt.

Torsten (mit Rucksack) unterwegs in Harar, fotografiert von seinem Kumpel Benny. © T. Melzer.

 

Tolle Gastfreundschaft. 

Dagegen standen andere Erfahrungen: „Ich habe“, so Torsten, „eine unvergleichliche Gastfreundschaft erlebt. Leute, die ich auf dem Campus kennengelernt habe, luden mich zu sich nach Hause ein. Die lebten in ganz einfachen Verhältnissen, trotzdem wurde ein tolles Essen aufgetischt und ich wurde mit offenen Armen in den Familien aufgenommen.

Viele Begegnungen, mit Groß & Klein.

In der Hauptstadt Addis Abeba haben mich sogar Menschen auf der Straße angesprochen und mich zum Kaffee eingeladen. Die wollten einfach nur mit mir reden. Ich habe dabei immer ein gutes Gefühl gehabt. Natürlich muss man etwas aufpassen, aber zu vernünftigen Zeiten kann man sich nach meiner Erfahrung in Äthiopien frei bewegen, ohne Angst davor haben zu müssen, dass man bestohlen wird oder einem gar Schlimmeres widerfährt. Besonders in Harar habe ich die Menschen als einzigartig freundlich und gastfreundlich erlebt. Harar, auch als ,Stadt der Hyänen‘ bezeichnet, ist ein wahrlich verblüffender Ort – in dem Menschen unterschiedlicher Religionen friedlich zusammenleben und sogar Raubtier (Hyänen) und Mensch.“

Staubtrocken, soweit das Auge reicht. © T. Melzer.

 

6 Monate totale Dürre, Klimawandel hautnah, „ziemlich irre“.

Karge Umgebung: Siesta für Mensch und Tier. © T. Melzer.

In Deutschland wird über den Klimawandel geredet. In Äthiopien, erlebte Torsten, bekommt man den Klimawandel hautnah zu spüren. Als er vor Ort war, herrschte bereits seit 6 Monaten totale Dürre. „Im Awash Nationalpark konnte ich erleben, wie Pflanzen und Tiere reagieren, wenn es sechs Monate nicht regnet. Irre, wie die Natur im ,Standby-Modus‘ verharren kann! Aber wie lange noch? Für viele Menschen bedeutet die Dürre perspektivisch Hungersnot. Das Wort Hunger mochte jedoch kaum jemand in den Mund nehmen. Das Dürre-Grauen von 1984-1985 lastet mental noch schwer auf den Menschen. Damals waren 8 Mio. Menschen betroffen. Geschätzte 500.000 bis 1 Millionen Menschen starben.“

Der Awash-Nationalpark wurde 1969 gegründet und ist ca. 756 km² groß. Er liegt 225 km östlich von Addis Abeba. Geprägt wird er durch den 2.007 m hohen Vulkan Fantale.

 

Ohne den See sitzen die Tiere auf dem Trockenen. © T. Melzer.

Klimawandel plus hausgemachte Problem = Katastrophe, dafür bot die Äthiopienreise reichlich Anschauungsunterricht. So berichtet Torsten von einem inzwischen völlig ausgetrockneten See direkt am Campus der Uni, die auch über ein Institut für Ökologie verfügt. Trotzdem: Es wurde viel zu viel Wasser entnommen, und jetzt ist, in Kombination mit den klimatischen Veränderungen, alles Wasser verschwunden. Die am See heimische Vogelart harrt noch aus. Die Tiere sitzen auf dem Trockenen, auf einem abgestorbenen Baumstamm zum Beispiel. Und dieser See ist nicht der einzige, der völlig ausgetrocknet ist.

Ein traditioneller Wohnraum: Torsten sitzt auf dem Platz des Hausherrn. Frau, Gäste – auch die haben feste Plätze. © T. Melzer

Über allem, was Torsten erzählt, liegt immer auch ein Schwärmen. Fasziniert haben ihn vor allem die traumhaften und ungemein vielfältigen Landschaften, die Vielfalt der Kulturen in einem Land mit 82 (!) Sprachen bei 100 Millionen Menschen (Deutschland: gut 80 Mio), das friedliche Miteinander, die Ausdehnung des Landes, das dreimal so groß ist wie Deutschland, die Offenheit und Freundlichkeit, die ihm begegnete, von Menschen, die sehr wenig haben und in einem Land leben, das wahrlich reich an Not und Problemen ist… „Alles schon ziemlich irre!“, so Torsten.

 

Wie es hier weitergeht, ist eine offene Frage. © T. Melzer.

Hoffen auf einen Erfolg der Arbeit.

„Ich hoffe, etwas bewegen zu können“, hatte Tosten vor seiner Abreise gesagt. Das Ziel der Arbeit war ein ökologisch verträgliches Konzept für die kommenden Jahre zur Neugestaltung und Pflege der Arboreten. Seine Mission ist weitestgehend erfüllt: Die Daten vor Ort sind aufgenommen, der Abschlussbericht ist so gut wie fertig, ein GIS-Projekt mit den gesammelten Daten wurde erstellt.

Der Bericht und die Daten sollen den Zuständigen vor Ort helfen, Gelder der Universität locker zu machen. Was nicht leicht sein wird, denn Natur- und Umweltschutz genießt selten eine hohe Priorität, das ist auch hierzulande nicht anders. Torsten hofft, dass schnell mit der Revitalisierung begonnen wird. Dass sich

Kastaniensterben in Ankum.

etwas tun kann, zeigt ein anderes Arboretum im Land. „Da hat die Uni Hamburg mitgearbeitet und dort ist in den letzten Jahren viel passiert“.

In den Heimatort Ankum zieht es Torsten und seine Familie immer wieder. Für ihn gibt es derzeit auch thematisch Verbindendes zwischen der neuen Heimat Hamburg und der alten in Ankum: Beiderorts grassiert das Kastanien-Sterben (mehr dazu hier). „Die Komplexerkrankung der Rosskastanie (Aesculus) – Befallssituation und Verbreitungsdynamik auf Hamburger Stadtgebiet“, ist das Thema von Torstens Bachelor-Arbeit. Anschauungsmaterial dazu gibt es in Ankum in der Kastanienallee am Friedhof. Und hier noch ein paar Bild-Impressionen aus Äthiopien.

Mein Freund, der Baum: gemeinsam auf Tuchfühlung mit einem Prachtexemplar in der Altstadt von Harar. © T. Melzer.

Studenten beim Sport im kleineren Stadion des Uni-Campus. © T. Melzer.

Es sind die Frauen, die  – wie ihre tierischen Begleiter – Lasten tragen© T. Melzer.

Das gibt es sonst nirgendwo: Hyänen als Verkehrsteilnehmer. © T. Melzer.

Torsten mit leichtem Gepäck, sie trägt ihre Last mit Haltung. © T. Melzer.

Eine Plage, wie hier im Arboretum: der Plastik-Müll. © T. Melzer.

Torstens Hoffnung: Dass dieses Arboretum wieder gehegt und gepflegt wird. © T. Melzer.

 

Mit Kind, Kegel und Vierbeinern unterwegs. © T. Melzer.

Im Schatten dieses wunderbaren Baumes sind Mensch und Tier gut aufgehoben. © T. Melzer.

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