„Es sollte möglichst viel vor Ort entschieden werden“

Was steht in der Samtgemeinde in 2017 an? Darüber sprach klartext zum Jahresausklang mit Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier. An Aufgaben und Herausforderungen fehlt es nicht.

Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier: Mal im Grünen an der Hase statt im Büro im Rathaus der Samtgemeinde an Bersenbrücks Lindenstraße. © Privatfoto.

Finanzen, Kitakosten und -gebühren, Hausarztversorgung, Zentralismus oder Entscheidungen vor Ort, günstigen Wohnraum schaffen – das sind nur einige der Themen des Interviews mit Dr. Horst Baier.

klartext: Herr Dr. Baier, die Samtgemeinde Bersenbrück, zeigen die Zahlen, entwickelt sich mit Blick auf die Steuer- und Bevölkerungsentwicklung sehr gut. Wie beurteilen Sie die Lage?

Baier: In der Tat steigen seit Jahren die Steuereinnahmen und auch die Landeszuweisungen kontinuierlich an. Das hilft uns enorm, um die gleichzeitig steigenden Aufwendungen und Investitionen zu finanzieren. Aus den Jahren vor 2011 belasten uns aber immer noch 4,5 Mio. € an Altfehlbeträgen, deren Abbau eine längere Zeit in Anspruch nehmen wird.

Dr. Horst Baier, 3. von links, konnte in den letzten Jahren auf vielen Schul- und KiTa-Baustellen sehen, was aus den Millionen-Euro-Investitionen entstand. Und es wird weiter investiert und gebaut. © Foto Samtgemeinde.

klartext: Was bedeutet das für den nächsten Haushalt?

Baier: Durch den Bau von vier neuen Kindergärten wird es eine erhebliche Kostensteigerung geben. Ob die guten Steuereinnahmen ausreichen werden, um den Zusatzaufwand zu finanzieren, kann ich im Moment noch nicht sagen. Wie groß die Herausforderung ist, wird an den Personalkosten deutlich. Die Summe ist von 6,7 Mio. € in 2009 auf 9,9 Mio. € in 2016 gestiegen. Im nächsten Jahr werden nochmals ca. 1 Mio. € auf den Betrag draufkommen. Dies liegt nicht an einer Aufblähung des Personals, sondern ist im Wesentlichen dem Schul- und Kitabereich geschuldet. Neben den normalen Tarifsteigerungen schlagen mehr Mensapersonal in Schulen, mehr Kitapersonal, sehr hohe Tarifabschüsse und aufgrund von Auflagen mehr Vertretungskräfte kräftig zu Buche. Etwas Entlastung erhoffe ich mir in der Bauunterhaltung, da wir sehr viel saniert und neu gebaut haben.

klartext: Wie kann eine so hohe Kostensteigerung aufgefangen werden?

Die Nachfrage nach Kitaplätzen ist groß.

Baier: Als Samtgemeinde finanzieren wir uns über die Samtgemeindeumlage, Gebühren, Beiträge und Zuweisungen vom Land und vom Landkreis. Nach Empfehlung des Landesrechnungshofes sollten die Elternbeiträge an den Gesamtkosten bei Kitas ca. 25 % betragen. Bei uns liegt der Wert bei ca. 15 %. Darüber hinaus sieht das Gesetz eigentlich Kindergartenbeiträge gestaffelt nach Einkommen vor. Dies ist bei uns im Gegensatz zu den meisten Kommunen nicht der Fall. Ich denke, wir müssen mit der Politik eine Diskussion führen, wie wir uns hier in Zukunft aufstellen. Darüber hinaus sehe ich den Landkreis angesichts seiner guten Finanzsituation in der Pflicht, die Unterstützung im Bereich der Kitas zu erhöhen. Aus bildungspolitischen Gesichtspunkten müssten die Kitas eigentlich beitragsfrei sein. Ohne finanzielle Hilfe von Bund und Land ist dies leider vor Ort nicht zu finanzieren.

klartext: Was sind die aus Ihrer Sicht wichtigsten Themen für die nächsten Jahre?

Sanierungsbedürftig: Das Hallenbad in Ankum.

Ein Hallenbad-Neubau in Ankum?

Baier: Da könnte ich jetzt einen ganzen Katalog nennen und den Rahmen sprengen. Ich beschränke mich daher auf die wesentlichen Punkte. Die zwei größten noch anstehenden Baumaßnahmen sind die Erweiterung der Grundschule Gehrde und das Hallenbad in Ankum. Nach meiner Einschätzung ist beim Hallenbad eine Sanierung nicht mehr wirtschaftlich. Ich habe daher verschiedene neue Bäder besichtigt und nach Vorbildern für einen Ersatzneubau gesucht. Meine Idee für die weitere Vorgehensweise werde ich im nächsten Bauausschuss vorstellen.

Ein weiterer Schwerpunkt wird beim Ausbau touristischer Angebote liegen. Neben dem Bahnhof in Ankum steht hier der Alfsee mit dem Germanenland und dem Naturschutz- und Bildungszentrum im Mittelpunkt. Handlungsschwerpunkte werden auch die Verbesserung des ÖPNV und der Hausarztversorgung sein. Zum Thema Hausarztversorgung werde ich Anfang des Jahres alle Beteiligten an einen Tisch einladen. Ein ganz wichtiges Thema bleibt die Schaffung von günstigem Wohnraum und die Unterstützung der Energiewende. Und die Unterstützung der Bürgerinitiativen bei der Suche nach einem Stromtrassenverlauf mit möglichst wenig Belastungen.

Wir sagen Nein zur Stromtrasse – als Bild gerahmt, für den Schreibtisch: Christian Pohlmann-Geers überreichte Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier bei einer Demo dieses Geschenk.

klartext: Mit HaseEnergie hat die Samtgemeinde ein eigenes Gemeindewerk. Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung der HaseEnergie?

Baier: Der Schritt zur Gründung eines eigenen Gemeindewerkes war absolut richtig. Wir werden in 2017 erstmalig einen Gewinn ausweisen. Die Beteiligung am Windpark Gehrde entwickelt sich positiv, derzeit bin ich in Verhandlungen zum Kauf von Anteilen am Windpark in Rieste. Die erste Photovoltaikanlage ist in Betrieb gegangen. Für ein spannendes Projekt zur Energieeinsparung bei Gewerbekunden haben wir einen Förderantrag gestellt. Unser kleines Start-Up-Unternehmen kommt voran.

Im Einsatz für HaseEnergie.

Die Gewinnung von Strom- und Gaskunden ist etwas mühsamer als erwartet. Doch auch hier gibt es eine stetige Entwicklung nach oben. Wir müssen hier in den kleineren Mitgliedsgemeinden noch aktiver werden. Auf jeden Fall ist es gelungen, den Preiswettbewerb anzufachen. Wir machen viele Bürger und Bürgerinnen auf das Thema aufmerksam. Viele Haushalte konnten dadurch schon hohe Einsparungen erzielen.

klartext: Mit HaseWohnbau hat die Samtgemeinde jetzt auch eine Wohnungsbaugesellschaft. Die hat mit ersten Projekten schon einige Aufmerksamkeit erregt…

Baier: Die Gründung der Gesellschaft war sehr umstritten. Die ersten geplanten Projekte haben aus meiner Sicht aber bestätigt, dass wir im Wohnungsmarkt ein belebendes Element sind und genau zur richtigen Zeit das Problem Wohnungsknappheit angepackt haben. Private Investoren werden auf unsere Samtgemeinde aufmerksam und investieren zum Glück auch sehr viel in neuen Wohnraum. Es ist hier genug Potential für alle Akteure vorhanden, wie das Wohnraumversorgungskonzept des Landkreises zeigt.

In Ankum beteiligt sich HaseWohnbau mit diesem Projektvorschlag am Bieterverfahren. © HaseWohnbau.

Mit den ersten Bauentwürfen hat die HaseWohnbau bewiesen, dass wir wettbewerbsfähig sind und aufgrund der kommunalen Nähe die Bedarfe in den Gemeinden gut verstehen und auch besondere Angebote machen können. Insbesondere die Transparenz und die Mitspracherechte für die Gemeinden sind ganz anders als bei Privatinvestoren zu gestalten. Als erstes konkretes Projekt soll in der Aslager Straße 10 in Ankum ein Wohnhaus entstehen. An diesem Objekt habe ich nachvollziehen können, wie anspruchsvoll es ist, günstige Mieten im Neubau anzubieten. Nach erfolgreichen Gesprächen mit der Förderbank des Landes Niedersachsen bin ich aber zuversichtlich, eine gute Bauqualität zu Mieten anzubieten, die unter vergleichbaren Neubauobjekten in der Samtgemeinde liegen. Hier kommt uns zugute, dass wir nicht auf eine hohe Rendite angewiesen sind.

Seit November ist der Samtgemeindebürgermeister Horst Baier nicht länger der Stadtdirektor von Bersenbrück. Verabschiedet wurde er in dieser Funktion von Bürgermeister Christian Klütsch, dessen Stellvertreter Franz Buitmann (rechts von Baier) und den Chefs der Fraktionen (Elisabeth Middelschulte (Grüne), Gerd Uphoff (CDU), Widu Höckelmann (SPD) und Wolfgang Rathmann (UWG BSB). Foto: Samtgemeinde.

klartext: In der letzten Samtgemeinderatssitzung war die Organisation der Stadtverwaltung ein heiß diskutierter Punkt. Die Stadt Bersenbrück, entschied der Rat, bekommt erstmalig eine eigene Stadtverwaltung. Wie geht es jetzt weiter? 

Baier: Ich bin ich guten Gesprächen mit Herrn Klütsch. Er hat von mir die Entwürfe für die Ausschreibung von drei Stellen erhalten. In der Verwaltung werden gerade die Vorbereitungen getroffen für die Einrichtung einer gut funktionierenden Stadtverwaltung. Die Frage des Standortes muss die Stadt klären. Eine Kündigung für die Räumlichkeiten der Touristinformation in der Marktschule wurde von der Stadt vorbereitet, liegt aber noch nicht vor. Ich hoffe, dass sich hier noch eine andere Lösung ergibt, um den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen einen weiteren Umzug zu ersparen.

klartext: Ist diese Entwicklung für die Samtgemeinde aus Ihrer Sicht positiv oder negativ?

Baier’s Amtssitz: Das Rathaus der Samtgemeinde.

Baier: Ich habe immer erklärt, dass jeder Bürgermeister einer Mitgliedsgemeinde die Grundsatzfrage für sich persönlich klären muss, ob er die Verwaltungsleitung mit übernimmt. Für diesen Fall gibt es in der Samtgemeinde bislang die Regelung, dass die Gemeinden für ihre ureigenen Aufgaben Personal gestellt bekommen. Das hat nach Aussagen aller anderen Bürgermeister immer sehr gut funktioniert und wird auch bei der Stadt klappen. Ich sehe hier auch gewisse Vorteile, weil Herr Klütsch bei Regelung von städtischen Angelegenheiten direkt auf eigenes Personal zugreifen kann. Ich verhehle aber nicht, dass ich mir eine andere Lösung gewünscht hätte, in der alle Mitgliedsgemeinden stärker auf die Samtgemeindeverwaltung als Dienstleister zugreifen. Das Modell kann aus meiner Sicht aber nur funktionieren, wenn alle Gemeinden dies mittragen. Da dies nicht der Fall war, ist der jetzt bevorstehende Schritt nur konsequent. Es bietet auch neue Chancen, die Samtgemeinde als eigene Organisation besser wahrzunehmen und zu positionieren. Und es gibt jetzt eine Gleichbehandlung aller Gemeinden.

klartext: Halten Sie die Organisationsform einer Samtgemeinde eigentlich für sinnvoll?

Agnes Droste ist die einzige „Frau Bürgermeisterin“.

Baier: Nach meinem Amtsantritt war ich eher skeptisch, da ich bisher nur in „Einheitsgemeinden“ tätig war. Ich habe aber sehr schnell verstanden, dass in den Gemeinderäten ein hohes Maß an ehrenamtlichem Engagement geleistet wird und auch die ehrenamtlichen Bürgermeister eine sehr wertvolle Arbeit leisten. Angesichts der turbulenten Entwicklung in der Welt sind starke Gemeinschaften vor Ort, wie es die Gemeinden bei uns darstellen, zunehmend wichtig. Die Bürgerinnen und Bürger identifizieren sich mit ihrer Gemeinde. Die Samtgemeinde und der Landkreis sind da schon weiter weg. Daher sollte möglichst viel vor Ort entschieden werden, auch wenn das nicht den Idealvorstellungen aus betriebswirtschaftlichen Lehrbüchern entspricht.

Ankums Bürgermeister Detert Brummer-Bange (rechts) und Dr. Horst Baier.

Ankums Bürgermeister Detert Brummer-Bange (rechts) und Horst Baier.

Die höheren Kosten für 8 Räte, 8 Haushalte und die aufwendigen Abstimmungsprozesse sind gut investiertes Geld für unsere Demokratie. Angesichts der Struktur der Samtgemeinde Bersenbrück mit zwei großen Grundzentren Ankum und Bersenbrück wäre es auch schwierig, eine gemeinsame Identität zu entwickeln. Nach meiner Einschätzung wird sich in den nächsten Jahren eine stärkere Konzentration an einer Stelle oder andere Formen der Zusammenarbeit für Verwaltungsaufgaben entwickeln. Die Samtgemeinde lässt beispielsweise die Bauordnungsangelegenheiten und das Rechnungsprüfungsamt auch durch den Landkreis per Vertrag erledigen. Ich würde aber niemals die Empfehlung aussprechen, Gemeinden gegen ihren Willen durch Gesetz zu fusionieren.

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