Stromtrassen-Verfahren: „Hohe Dringlichkeit“

Tausende Einwände gegen die Stromtrasse, die Entscheidung naht. Wie ist der Stand der Dinge? klartext sprach mit Bernhard Heidrich, bei dem die Verfahrensfäden zusammenlaufen.

Erklären, Rede & Antwort stehen: Bernhard Heidrich war auf vielen Veranstaltungen präsent (hier in Ankum) und wurde dadurch zum Gesicht des ArL in Sachen Stromtrasse.

Info-Veranstaltungen, Runder Tisch, Demos: Seit 2015 beschäftigt Bürger, Bürgerinitiativen und Gemeinden – besonders intensiv in Ankum, Gehrde und Alfhausen –, dass eine 380 kV-Leitung durch die Samtgemeinde Bersenbrück verlaufen soll. Nun geht’s in die entscheidende Phase.

Auch in Gehrde: Nein zur Trasse.

Bei Bernhard Heidrich gaben sich im Amt für regionale Landesentwicklung (ArL) in Oldenburg Ende Dezember Bürgermeister und Landräte die Klinke in die Hand – um zu übergeben, was sie gegen die Stromtrassenpläne der Netzbetreiber Tennet und Amprion an Einwendungen zusammengetragen hatten.

Auch die Anti-Trassen-Initiative aus Gehrde überbrachte ihre Ordner mit Einwendungen persönlich. Andere schickten sie, wie die Bürgerinitiativen Ankum und Alfhausen. Dazu kommen die Stellungnahmen weiterer Träger öffentlicher Belange aus Bereichen wie Umweltschutz, Wasserwirtschaft, Denkmalschutz usw. sowie die zahlreichen Einwendungen von Bürgern.

Politiker aus der Samtgemeinde Bersenbrück mit Einwendungen: Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier (3. von links), Ankums Bürgermeister Detert Brummer-Bange (2. von rechts). Landrat Dr. Lübbersmann kam für den Landkreis Osnabrück (1. Reihe, 2. von rechts). 4. von links: Bernhard Heidrich. © Foto: Landkreis Cloppenbrug.

Für die Bürgerinitiativen waren die letzten Wochen des Jahres 2017 noch einmal ein Kraftakt: Sie informierten und mobilisierten, um den Plänen der Netzbetreiber möglichst viele fundierte Einwendungen entgegenzusetzen.

Noch bis 26. Februar. Durch eine notwendig gewordene Wiederholung der Auslegung der Unterlagen können Bürger noch bis zum 26.02.2018 Einwendungen vorbringen: Bei der Samtgemeinde Bersenbrück, Fachdienst III, Lindenstraße 2, 49593 Bersenbrück oder in elektronischer Form beim ArL Weser-Ems (ccm51b@arl-we.niedersachsen.de). Die bereits eingereichten Einwendungen bleiben gültig.

 

Tausende Einwendungen. 

Nach der Höhe der Stapel zu urteilen, meint Bernhard Heidrich, sind es tausende Einwände. 3.000, 4.000, 6.000? Für das Amt ist die Anzahl nicht von Bedeutung, und darum wurde auch nicht gezählt. „Es kommt auf die Inhalte und nicht auf die Zahl der Stellungnahmen an“, so Bernhard Heidrich.

Anti-Trassen-Demo in Bersenbrück.

Welche Argumente sind von Gewicht? Außer den Schutzgütern Mensch, Tiere, Pflanzen und biologische Vielfalt, Boden, Wasser und Kulturgüter gehört auch das Landschaftsbild zu den Schutzgütern. Der entscheidende Punkt ist jedoch: Was wird bei den verschiedenen Trassenverläufen in der Gesamtbetrachtung wie gewichtet?

Welches Gewicht hat der Kostenfaktor? So kommt z. B. in den Ausführungen der Netzbetreiber der Streckenlänge eine hohe Bedeutung zu. Eine zu hohe, halten Kritiker dagegen.

Einwendungen gegen alle Korridore. Beim ArL gingen Einwendungen gegen alle Korridore ein. So berichtete die Bürgerinitiative Gehrde, es seinen 1.400 Einwendungen aus dem Bereich der Trasse C ans Amt für regionale Landesentwicklung gegangen. Die Bürgerinitiative Ankum teilt mit, sie habe einen „umfassenden Einwand über ganz Ankum (West- und Osttrasse) geschrieben und fristgerecht eingereicht“.

 

Wo ist die geringste Betroffenheit?

Ende Mai 2016 hatte Bernhard Heidrich bei einer Info-Veranstaltung in Ankum gesagt, das Ziel des Raumordnungsverfahrens könne nur sein, dass am Ende dort „ein Strich auf der Karte gezogen wird, wo die geringste Betroffenheit ist.“

Die Netzbetreiber zogen im Oktober ihren Strich auf der Landkarte – zum besonderen Leidwesen von Ankum, wo die Trasse, bliebe es dabei, durch Durchhorn, Sitter, Walsum, Rüssel, Tütingen und Westerholte bis nach Merzen verlaufen würde.

Was das Schutzgut Mensch angeht, ist in den Unterlagen der Netzbetreiber zu lesen, sei diese Trasse die „günstigste Lösung“. Ist dem so? Im östlichen Ankum z. B., wo die Abstände zur Trasse bei so einigen Häusern unter 200 m liegen, ist die Betroffenheit jedenfalls hoch. Es ist nun am ArL zu prüfen, wo die insgesamt geringste Betroffenheit ist. 

Die Samtgemeinde wäre aus dem Schneider – wenn die Stromtrasse über Holdorf hinaus an der Autobahn verlaufen würde. © Tennet/Amprion.

 

Autobahn-Variante: „Noch im Rennen“.

Bei der derzeitigen Arbeit des ArL geht es nicht nur um die Vorzugstrasse, sondern um alle Trassenverläufe. Auch ein Trassenverlauf entlang der Autobahn A1 ist noch „voll im Rennen“, so Bernhard Heidrich.

Allerdings hatte das ArL zu einem Autobahn-Trassenverlauf südlich über Holdorf hinaus bereits früh festgestellt, so auf der Webseite zu lesen, „dass intensive Konflikte mit der vorhandenen Wohnbebauung sowohl an der Autobahn als auch beim Teilstück Autobahn – Merzen zu erwarten sind.“ Verwiesen wurde ebenfalls darauf, dass „einer Erdverkabelung entlang der Autobahn auf Teilabschnitten diverse bautechnische Gesichtspunkte entgegenstehen“. Die Autobahnvariante D3 bis Holdorf wurde weiter untersucht, nicht jedoch der Verlauf, den man sich in der Samtgemeinde wünscht: von Holdorf entlang der Autobahn nach Süden und dann rüber nach Merzen.

Dass die Autobahntrasse über Holdorf hinaus schon früh aus dem weiteren Verfahren herausgenommen worden war, wurde in der Samtgemeinde auf breiter Front – von Bürgerinitiativen und Bürgermeistern – kritisiert. In den bewohnten Gegenden entlang der Autobahn sieht man das, erlebte Bernhard Heidrich, ganz anders: Zur einen Seite des Hauses die Belastung Autobahn, zur anderen dann noch eine Belastung durch die 380 kV-Leitung –  dagegen stemmt man sich dort.

 

Bernhard Heidrich.

April 2018 oder später: „Soviel Zeit wie nötig“.

Wann wird das ArL seinen Strich zwischen Cloppenburg und Merzen ziehen? Nach den gesetzlichen Vorgaben würde er am 18. April gezogen – 6 Monate nach Eröffnung des Raumordnungsverfahrens am 18. Oktober 2017. Zum derzeitigen Zeitpunkt einen Entscheidungstermin zu nennen, wäre jedoch, so Heidrich, „Kaffeesatzleserei“. Zum einen musste eine erneute Auslegung der Unterlagen vorgenommen werden. Darüber hinaus hängt es auch von anderen ab, wie schnell man im ArL vorankommt.

Das Amt steht z. B., was die Einwendungen angeht, im Austausch mit vielen – so mit den Netzbetreibern und den diversen Trägern öffentlicher Belange. Wer arbeitet und antwortet wie schnell? Darauf, so Bernhard Heidrich, habe man wenig Einfluss. Man arbeite „so schnell wie möglich“ und nehme sich „soviel Zeit wie nötig.“

 

Derzeit aktuell: 51 b.  © Tennet/Amprion

„Höchste Dringlichkeit“.

Heidrich spricht jedoch von „höchster Dringlichkeit“ und verweist in diesem Zusammenhang auf die enormen Kosten, die allein durch Noteingriffe ins Stromnetz entstanden – weil der Netzausbau von Nord nach Süd nicht schneller vorankommt. 1 Milliarde Euro mussten dafür nach Angaben von Tennet 2017 ausgegeben werden.

In einigen Jahren könnten diese Kosten bei 4 Milliarden Euro liegen. Bezahlen muss diese Kosten der Verbraucher, denn sie werden auf den Strompreis umgelegt. Und so hängt es auch von der Realisierung des Teilstücks Cloppenburg-Merzen ab, wie tief die Verbraucher in den kommenden Jahren für die Stromrechnung in die Tasche greifen müssen.

So sehr alle, die das Thema Stromtrasse bewegt, auf das ArL schauen: Bernhard Heidrich verweist darauf, dass die Entscheidungen des Amtes für regionale Landesentwicklung „nicht bindend sind“. Das letzte Wort hat die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr.

 

Am Gesetz führt kein Weg vorbei.

„Da kann ich den Menschen nur sagen, sich an ihre Abgeordneten in Berlin zu wenden“, sagt Bernhard Heidrich. Und meint damit, dass so manche Einwendung ins Leere läuft, weil der Gesetzgeber es anders will. Wird die Trasse überhaupt gebraucht? Das ist z. B. eine Frage, die von so manchen Bürgern und Bürgermeistern gestellt wird. Der Bedarf wird bezweifelt. Dem hält Heidrich entgegen: „Der Bedarf einer 380-kV-Leitung von Conneforde über Cloppenburg Ost nach Merzen ist im Bundesbedarfsplangesetz durch den Bundesgesetzgeber abschließend festgestellt.“ Nur der Bundestag könnte anderes beschließen.

Das gilt auch für sogenannte HGÜ-Leitungen. Solche Leitungen könnten vorrangig als Erdkabel verbaut werden statt als Freileitung. Für die Strecke, zu der der Abschnitt von Cloppenburg nach Merzen gehört, gibt es jedoch keine entsprechenden gesetzlichen Grundlagen. Dort gilt die Grundsatz: Freileitungen haben Vorrang, Erdkabel nur als Ausnahme.

 

Konfliktstoff Entschädigungen.

„Viel Post“, so Heidrich, bekam das ArL zum Komplex Entschädigungen. So fühlen sich eine Reihe von Betroffenen wie z. B. Landwirte gegenüber anderen benachteiligt. Zu Wort meldeten sich auch Hausbesitzer, in deren Nähe die Trasse verlaufen soll.

Knackpunkt Entschädigungen.

Entschädigt wird nur, wer direkt auf seinem Grund und Boden von der Trasse betroffen ist. Steht die Trasse nicht auf dem eigenen Grund und Boden, gibt es nichts. Dagegen wenden sich Betroffene. Aus ihrer Sicht stellt auch eine Trasse im Abstand von 200 m oder weniger zum eigenen Besitz eine Belastung für die Menschen dar und verringert zudem den Wert des Eigentums.

Das entsprechende Gesetz sieht jedoch keine Entschädigungszahlung vor. Bernhard Heidrich verweist auf eine Parallele: Wird eine Straße ausgebaut mit der Folge mehr Verkehr, mehr Verkehrslärm, mehr Schadstoffbelastung, sieht das Gesetz auch keine Entschädigung für die anliegenden Haus- und Grundstücksbesitzer vor.

 

Bei Freileitungen Sorge vor Elektrosmog.

Ein Kernthema: Die Erdverkabelung.

In einer Pressemitteilung (15/2011) des Niedersächsischen Umweltministeriums wurde 2011 nachdrücklich begrüsst, dass „durch die Änderung des EnLAG den Genehmigungsbehörden des Landes das Recht eingeräumt wird, bei Annäherungen von Freileitungen an Siedlungen von weniger als 400 Metern und Einzelwohngebäuden von weniger als 200 Metern Teilerdverkabelungen anzuordnen“.

Für die 380 kV-Leitung von Conneforde nach Merzen wurde im Dezember 2015 mit einer Änderung des Energierechts die Möglichkeit einer Teilerdverkabelung eröffnet. Wie wird sie genutzt? Kaum. Bei der von Tennet/Amprion benannten Vorzugstrasse ist nur ein Teilstück (westlich von Quakenbrück) als Erdverkabelung ausgewiesen (3,9 der gut 47 km).

 

Das ARL kann Erdverkabelung anordnen.

Je näher eine 380 kV-Freileitung an Häuser heranrückt, desto größer die Sorge der Betroffenen vor gesundheitlichen Belastungen durch elektromagnetische Felder. Der Netzbetreiber Amprion weist bei seiner Vorzugstrasse z. B. Engstellen in Sitter und Walsum/Rüssel aus. Dort beträgt der Abstand zwischen Leitung und einzelnen Häusern nur 115, 152 oder 160 m. Eine Erdverkabelung soll es dort nach den Vorstellungen der Netzbetreiber trotzdem nicht geben. Ein Erdkabeleinschnitt, so Tennet/Amprion, sei als „nicht vorzugswürdig und unverhältnismäßig einzustufen“.

Nicht nur, aber vor allem in Walsum/Rüssel würde die Trasse nach der bisherigen Planung bis auf unter 200 m an Wohnhäuser heranreichen.

Was sagt das ArL? „Abstände unter 200 m unterliegen“, so Bernhard Heidrich „der Abwägung“. Wie wird das ArL abwägen? Bernhard Heidrich äußert sich nicht zu konkreten Situationen, sondern grundsätzlich. Bei kleineren Erdverkabelungsstrecken, gibt er z. B. zu bedenken, spart man vielleicht 3 Masten, hat es dann oberirdisch aber mit 2 Kabelübergangsanlagen zu tun, die je 1 ha Platz erfordern. Nun könnte z. B. auch eine längere Strecke zwischen 2 Engstellen mit erdverkabelt werden, aber da stelle sich dann auch die Frage nach den Kosten. „Nach den gesetzlichen Vorgaben“, so Heidrich, „ist eine Erdverkabelung nur auf technisch und wirtschaftlich effizienten Abschnitten zulässig.“

Dass die Netzbetreiber eher eine geringe Erdverkabelung anstreben, ist den Unterlagen zu entnehmen. Die Ausführungen zum Erdkabel sind gespickt mit Begriffen wie „nicht erprobt“, „Risiken für den Betrieb und die Versorgungssicherheit“, „keine Betriebserfahrungen“, „erhöhte Kosten“ usw.  Nun liegt der Ball, auch was die Erdverkabelung angeht, im Feld des ArL.

 

Auch möglich: Ein streckenweise anderer Verlauf.

Die Arbeit im ArL hat inzwischen damit begonnen, die vielen Einwendungen in eine Datenbank einzuarbeiten. Das Puzzle, das sich am Ende zu einem Bild und damit zu einer Entscheidung zusammenfügen muss, ist eines mit vielen Teilen.

Grundsätzlich stehen dem ArL alle Möglichkeiten offen: Es könnte z. B., sofern gerichtsfest begründbar, die von den Netzbetreibern benannte Vorzugstrasse komplett verwerfen und einen anderen Trassenverlauf festlegen. Sollte die Vorzugstrasse auch nach Meinung des ArL die im Wesentlichen konfliktärmste sein, könnten, so Bernhard Heidrich, Änderungen angeordnet werden wie z. B. mehr Erdverkabelung oder ein in Teilen anderer Verlauf – eine Verschiebung in die eine oder andere Richtung.

 

Gespannte Erwartung.

Einen Strich gezogen hat das ARL bereits zum Streckenabschnitt Conneforde – Cloppenburg (51 a). Bei diesem Raumordnungsverfahren steht noch der Erörterungstermin aus. Den wird es auch zum Teilstück 51 b von Cloppenburg nach Merzen geben.

In Ankum wie in der gesamten Samtgemeinde wartet man nun zunächst einmal gespannt auf den Tag, an dem das ArL seine Entscheidung zum Trassenkorridor bekanntgeben wird. An Einwendungen gegen die Pläne der Netzbetreiber fehlt es nicht. Welche Wirkung sie zeigen – das ist die große Frage.

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