Ankum: Grüner Weckruf zur Europawahl

„Es geht um ganz viel“: Eindringlich machte Viola von Cramon (Bündnis90/Die Grünen) in Ankum deutlich, dass es bei der Europawahl am 26. Mai nächsten Jahres aus Sicht der Grünen um mehr geht als je zuvor.

Um die Zukunft der EU ging es bei einer Veranstaltung der Grünen mit Viola von Cramon (links oben am Tisch).

Ein großes Thema – die Zukunft der EU – war am 18. Oktober im Hotel Raming in Ankum das Thema einer recht kleinen Veranstaltung der Grünen. Der Anlass: die Europawahl. Zu Gast: Die Göttingerin Viola von Cramon, die für die Grünen ins europäische Parlament einziehen möchte. Gewählt wird in Deutschland in gut 7 Monaten, am 26. Mai.

 

Im Fokus: Der ländliche Raum.

Mehr Europa-Flagge zeigen im ländlichen Raum.

In Ankum war Viola von Cramon im ländlichen Raum – für sie, was die Zukunft Europas angeht, ein Raum, in dem sich vieles entscheidet. „Wer in einer Region nicht an einem Tag zum Arzt hin und wieder zurückkommen kann“, so einer ihrer Sätze, „ist nicht nur gefühlt abgehängt, der ist tatsächlich abgehängt“. Ob in Deutschland oder in den anderen Ländern der EU: Rechte und rechtspopulistische Parteien sind da besonders erfolgreich, wo Menschen vom Staat und der Gesellschaft allein gelassen werden oder sich allein gelassen fühlen.

 

Das Symbol für das Europaparlament.

Eine andere Förderpolitik.

Die Grünen treten für ein starkes Europa an – und, machte die Kandidatin deutlich, für eine andere Politik, was einschließe, Fehlentwicklungen in Europa zu benennen. Um den ländlichen Raum zu stärken, forderte Viola von Cramon z. B. andere Weichenstellungen. So sollten europäische Fördermittel verstärkt in Dienstleistungen für die soziale Infrastruktur fließen, die entscheidend seien für das Lebensgefühl der Menschen im ländlichen Raum.

 

„Haben Instrumente, aber die funktionieren nicht“.

Als eklatanten Ausdruck von Fehlentwicklung bezeichnete von Cramon, dass die enorme Summe von 270 Milliarden Euro an EU-Fördergeldern gar nicht abgerufen wird, u. a., weil es den Ländern, die diese Mittel eigentlich dringend bräuchten, an Geld fehlt, um die geforderte Mitfinanzierung zu leisten.

Von Cramon, studierte Agrarwissenschaftlerin und während ihrer 4 Jahre im Bundestag die Sprecherin der Grünen für die auswärtigen Beziehungen der EU, forderte ebenfalls, dass Kommunen auch direkt Gelder in Brüssel beantragen können. Zudem müsse Bürokratie abgebaut werden, damit die Beantragung von Mitteln nicht an der Komplexität der Förderbedingungen scheitern. „Wir haben Instrumente“, so von Cramon, „aber sie funktionieren nicht“. Darum brauche man andere Strukturen.

 

Conny Hofmeister (3. von links).

„Zu aufgeheizt, mehr Besonnenheit“.

Europäisch war die Runde in Ankum auch durch Conny Hofmeister, Kettenkamperin und Holländerin, und den griechischstämmigen Niko Daroussis. Gefragt, was sie von Europa erwarte, sagte Conny Hofmeister, sie wünsche sich, dass in allen Ländern der EU Flüchtlinge aufgenommen würden und beklagte, in Europa werde „zu viel geschimpft und aufgeheizt“. Mehr „Besonnenheit“ gehörte mit zu ihren Wünschen – und mehr Offenheit gegenüber Flüchtlingen und Migranten.

 

„Keine Flüchtlingsquoten vorschreiben“.

Strikt abgelehnt wird die Aufnahme von Flüchtlingen z. B. in Ländern wie Polen oder Ungarn. Wie damit umgehen? In Polen stellte sich in diesem Jahr Staatschef Duda an die Spitze der EU-Gegner und verglich die EU mit einer „Besatzungsmacht“.

Ein Bild, das die Realität verzerrt? Nein, denn diese Moment sind in der Samtgemeinde Realität. Sie gehören ebenso zur Wirklichkeit wie die Tatsache, dass es auch unter Flüchtlingen Kriminelle und Integrationsunwillige gibt.

Streitthema in Europa: die Flüchtlingspolitik.

Viola von Cramon machte Polen in Ankum zum Thema. Ihr Anliegen: historische Entwicklungen berücksichtigen, auch und gerade bei der Flüchtlingspolitik der EU. So war Polen über Jahrhunderte Spielball fremder Mächte und bis 1989 als Teil des Sowjetimperiums weder wirklich souverän noch demokratisch regiert.

Die EU solle Polen keine Flüchtlingsquote-Quote aufzwingen, so von Cramon, sondern andere Wege gehen. Sie verwies als Beispiel auf Danzig, eine polnische Stadt, die sie als sehr offen erlebt habe. Würden einzelne Kommunen direkt an Gelder aus Brüssel herankommen, wäre damit für Bürgermeister die Möglichkeit eröffnet, z. B. auch in Erwägung zu ziehen, Flüchtlinge und Migranten aufzunehmen; darin einen Vorteil zu sehen für die Entwicklung ihrer Stadt. Positive Anreize statt Druck wäre der richtigere und bessere Weg.

Zwei Spitzenkandidaten für die Europawahl bereits benannt. Für die Union ist das der CSU-Vize Manfred Weber. Er unterstrich, dass sich auch die CSU „für ein positives Europabild“ einsetzt“ (Spiegel Nr. 40, 29.9.2018). Die SPD nominierte Katarina Barley. Für die derzeitige Justizministerin ist die Europawahl die „wichtigste Wahl in diesem Jahrzehnt für unseren Kontinent“, sie sei eine „Schicksalswahl“.

 

Viola von Cramon.

„Es hängt ganz viel vom 26. Mai ab“.

Mit ihrem Satz, der 26. Mai könne „das 1933 von Europa bringen“, machte Viola von Cramon zugespitzt deutlich, dass für die Grünen die nächste Europa-Wahl entscheidend ist für die Zukunft der Demokratie. 1933, das Jahr, in dem Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, markiert das Ende der Weimarer Republik und damit der Demokratie.

Zum 75. Jahrestag der „Machtergreifung“ Hitlers sagte der Historiker Johannes Hürter vom Münchner Institut für Zeitgeschichte zu den Gründen für das Ende der Demokratie: „Es gab schlicht zu wenige, die sich für diese Staatsform eingesetzt haben. Die Weimarer Republik war eine Demokratie nahezu ohne Demokraten“ (*).

Mit dem Satz „Es hängt ganz viel ab vom 26. Mai“ appellierte Viola von Cramon an ihre Mitstreiter, dafür zu sorgen, dass eines nicht eintritt: Dass Rechte und Rechtspopulisten, unterstützt von mächtigen Freunden wie Putin und dem Trump-Wahlhelfer Steve Bannon, Wähler an die Urnen bringen – und andere bleiben zu Hause, weil sie es nicht für so wichtig erachten, ihre Stimme abzugeben.

Am 30. Juli diesen Jahres in der FAZ zu lesen: „Steve Bannon, der frühere politische Chefberater von Präsident Trump, plant eine Stiftung, die Europa vollständig verändern soll.“ Deren Ziel sei, „über die Unterstützung rechtspopulistischer und nationalistischer Parteien in den europäischen Einzelstaaten die Europa-Wahl 2019 zu beeinflussen“, um der EU „den Todesstoß“ zu versetzen, „den Zusammenbruch“, „das Ende der EU“ zu erreichen (**).

 

Entscheidend für eine Demokratie: Aktive Demokraten.

Bei der letzten Europawahl lag die Wahlbeteiligung nur bei 47,9 %. Welche Folgen Wahl-Passivität haben kann, zeigte das JA in Großbritannien zum Austritt aus der EU. Vor allem junge Menschen, die in der EU bleiben wollten, reagierten da geschockt – aber es waren gerade die jungen Menschen, die in großer Zahl nicht zur Wahl gegangen waren und die nun feststellen mussten, dass ihr Nichtwählen den Brexit-Befürwortern zum Sieg verholfen hatte. 72 % der 18- bis 24-Jährigen waren Umfragen zufolge für einen Verbleibt in der EU. Zu Wahl gingen aber nur 36 % dieser jungen Wähler.

Seit 1999 liegt die Wahlbeteiligung in Deutschland bei Europawahlen auf einem sehr niedrigen Niveau. © Quelle: TNS/Scytl in Zusammenarbeit mit dem Europaparlament

Bei den Grünen in Ankum im Fokus: Der Wähler und seine Verantwortung für die Zukunft Europas bei der kommenden Europawahl. Eine „Verachtung für die europäische Idee“ mache sich „wie die Lepra fast überall in Europa breit, selbst in Ländern, in denen wir dachten, dass ihr Wiederauftreten unmöglich ist“, sagte im Juni Frankreichs Präsident Macron. Warum eine starke EU statt Nationalismus? Es wird in den kommenden Monaten die Aufgabe aller Pro-EU-Parteien sein, das deutlicher denn je zu vermitteln.
(*) https://www.welt.de/regionales/berlin/article1605263/Die-Weimarer-Republik-Demokratie-ohne-Demokraten.html
(**) http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bannon-stiftung-in-belgien-der-versuch-europa-zu-kapern-15713702.html

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