Sie ist da: Die Chronik der so ganz anderen Art

Hochinteressant, diese Geschichte der Samtgemeinde – und sie dürfte Diskussionsstoff bieten. Ganz anders, als es üblicherweise geschieht, vermittelt Dr. Jutta Stalfort mit ihrer gerade erschienenen Chronik Geschichte: Sie lässt sie durch ausführliche Interviews lebendig werden.

Am Montag, 3. Dezember, im Samtgemeinde-Rathaus: Vorstellung der Chronik der Samtgemeinde.

 Eine Rezension von Rita Stiens.

„(Durch)-Drehleitern“??? Schon dieses Wort im Titel signalisiert, dass es sich bei diesem Buch nicht um eine Geschichtsschreibung der üblichen Machart handelt. Was es mit den („Durch)-Drehleitern“ auf sich hat, erfährt der Leser auf Seite 78 aus dem Mund von Walter Sandbrink, einst stellv. Samtgemeindebürgermeister.

Freude bei (von links) Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier, Autorin Dr. Jutta Stalfort und Georg Geers vom Medienpark Ankum. © Samtgemeinde.

Er berichtet, wie sehr man sich wegen des Standorts der Feuerwehr-Drehleiter fetzte. Bersenbrück oder Ankum? Der Streit darüber wurde 1992 mit solcher Heftigkeit ausgetragen, dass man damals, so Sandbrink „schon nicht mehr von der Drehleiter sprach, sondern von der Druchdrehleiter“.

Buchseiten 110/111: Die Freiwilligen Feuerwehren sind ebenso ein Buch-Thema wie andere Aufgaben im Zuständigkeitsbereich der Samtgemeinde.

Ein „Betriebsunfall“, so Sandbrink, sei diese Feuerwehr-Kontroverse gewesen. Was die Geschichte bestätigt. Die Freiwilligen Feuerwehren sind eines der wichtigen Aufgabengebiete der Samtgemeinde, und eine wegweisende Weichenstellung erfolgte 2003, als es der Feuerwehr ermöglicht wurde, über ein eigenes Budget zu verfügen. Dadurch erhielt die Feuerwehr, so Michael Lübbersmann in seinem Interview, „eine aktiv gestaltende Rolle“.

 

Die Autorin überlässt sechs Akteuren die Bühne.

So besonders und so besonders interessant macht die Chronik von Jutta Stalfort, dass sie kein übliches Geschichtsbuch ist von der Art: Die Autorin recherchiert, erschließt umfangreich Quellen und schreibt dann das Buch.

Gebunden, großformatig. „Von (Durch)-Drehleitern, Puddingbeschlüssen und wie man Mehrheiten findet. Samtgemeinde Bersenbrück in Zahlen und Erzählungen 1972-2017“. 184 Seiten plus Umschlag. Gebunden, großformatig (30,5 x 20,5). Isensee Verlag. ISBN 978-3-7308-1500-7. 28 €.

Jutta Stalfort bei der Präsentation.

Jutta Stalfort tat, was so ein Buch erfordert: Sie hat recherchiert und umfangreich Quellen erschlossen, hat Protokolle gelesen und Gutachten, war in Archiven unterwegs. Eingeflossen ist all‘ das, wie das Buch zeigt, jedoch vor allem in Fragen. In Fragen, die sie 6 Interview-Partnern stellt. Diese 6 Interviews, von der Autorin bereichert um viele Grafiken und Fotos zu den jeweiligen Themenkomplexen, füllen 167 der 184 Seiten.

Die Akteure, denen Jutta Stalfort die Buch-Bühne überlässt, decken zeitlich das gesamte Spektrum ab, von den allerersten Anfängen der Samtgemeinde bis zur Gegenwart. Die Interviewten Günther Marotzke, Walter Sandbrink, Dr. Michael Lübbersmann sind Politiker, die zwischen 1972 und 2011 die Geschichte der Samtgemeinde mitgeschrieben haben, die bis dahin eine CDU-regierte war. Interviewt wurden zudem der SPD-Politiker Manfred Krusche, der 1972 in den Samtgemeinderat einzog und ihm bis heute angehört, dazu Maria Bergfeld, Bauamtsleiterin von 1972 bis 1999, sowie der amtierende Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier.

Buchseiten 44/45: Im Buch nachzulesen ist auch, wer Mitglied im Samtgemeinderat war – und zwar von 1972 bis zum derzeitigen Rat.

 

Erfrischend offen: „Uns gingen die Frauen auf die Nerven“.

Erfrischend und eine Freude für den Leser sind die Offenheit der Befragten und die Anschaulichkeit ihrer Erzählungen. Eine hauptamtliche Frauenbeauftragte einstellen? Da sagt Walter Sandbrink z. B. unverblümt: „Uns gingen die Frauen mit diesem Thema auf die Nerven“. „Die CDU hat große Fehler gemacht, auf Orts- und auch auf Samtgemeindeebene“, auch das ein Satz von Walter Sandbrink.

 

Knurrender Schäferhund zu Bratkartoffeln.

Maria Bergfeld war gerade mal 31 Jahre alt, als sie Bauamtsleiterin wurde und damit eine der ersten Amtsleiterinnen überhaupt. Ein ganz dickes Brett, das sie bohren musste, war der Ausbau von Gemeindeverbindungsstraßen durch die Samtgemeinde. Was Plattdeutsch, ein knurrender Schäferhund unter dem Tisch und eine Pfanne Bratkartoffeln damit zu tun haben, dass letztendlich doch Landeszuschüsse in Millionenhöhe fließen und Verbindungsstraßen ausgebaut werden konnten – sie erzählt es.

Buchseiten 126/127: Zu den wichtigen politischen Akteuren, die in dem Buch eine Rolle spielen, gehört natürlich auch der verstorbene Reinhold Coenen.

 

Einsichten: „An der ein oder anderen Stelle Verletzungen hinterlassen“.

„Nun wurden die großen Ziele angestrebt, die die einzelnen Gemeinden nie alleine hätten erreichen können“, sagt Günther Marotzke zu den Anfängen der Samtgemeinde mit ihren 7 Mitgliedsgemeinden. „Jeder sah im Grunde erst einmal seine eigene Gemeinde“, benennt Walter Sandbrink als Problem. Was so manches erschwerte.

Er wolle nicht ausschließen, dass er „an der ein oder anderen Stelle Verletzungen hinterlassen habe“, sagt Dr. Michael Lübbersmann, von 2001 bis 2011 der Samtgemeindebürgermeister. In seine Amtszeit fällt eine äußerst heftig ausgefochtene Kontroverse: Die zur Einheitsgemeinde Bersenbrück-Ankum.

Buchseiten 138/139: Das Thema Einheitsgemeinde Ankum-Bersenbrück.

Lübbersmann macht keinen Hehl daraus, dass er ein Befürworter einer Samtgemeinde-Einheitsgemeinde war. Den Anfang hätte 2008/2009 eine Einheitsgemeinde Ankum-Bersenbrück machen sollen. „Die anderen Gemeinden befürchteten jedoch, dass dies am Ende auch zu einer Einheitsgemeinde aller Mitgliedsgemeinden in der Samtgemeinde Bersenbrück geführt hätte. Auf lange Sicht war das auch geplant“, sagt Lübbersmann.

 

Im „Traum nicht dran gedacht“, dass ein anderer gewinnen könnte.

„Wir haben im Traum nicht daran gedacht, dass der erste Mann in der Samtgemeinde irgendwann einmal ein SPD-Mann sein würde“, sagt Walter Sandbrink zu einer Personalentscheidung von 2001 – und drückt damit aus, dass man in der CDU offenbar felsenfest davon überzeugt war, die Samtgemeinde gehöre geradezu selbstverständlich ihr.

10 Jahre später dann die aus CDU-Sicht böse Überraschung: Sie stellte in der Samtgemeinde nicht länger die Mehrheit der Räte – und dann kam 2012 auch noch Dr. Horst Baier. „2012 war das ja die Geschichte“, sagt dazu SPD-Fraktionschef Manfred Krusche in dem mit ihm geführten Interview.

Buchseiten 148/149:  2012 wurde mit Dr. Horst Baier erstmalig jemand zum Samtgemeindebürgermeister gewählt wurde, der nicht der CDU angehört.

Wie die CDU damit umging, dass Baier zum Samtgemeindebürgermeister gewählt wurde, kommentiert Krusche so: „Dass so etwas ,passieren‘ konnte, wie die CDU es nennt, damit ist sie bis heute nicht im Reinen. In meinen Augen liegt hier der Grund dafür, warum die CDU sich so schwer tut, auf Vorschläge einzugehen, die von Horst Baier oder von einer anderen Fraktion als der CDU kommen“.

 

„Lernprozess“ bei Horst Baier.

„Im Frühjahr 2013 erzielten Sie einen großen Erfolg: Die Verlegung der Grundschule Ankum“, mit diesen Worten beginnt eine Frage von Jutta Stalfort an ihren Interview-Partner Dr. Horst Baier. Schulen gehören z. B. zu den großen Themen des amtierenden Samtgemeindebürgermeisters. Fragen an Baier auch zur Zukunft der Samtgemeinde. Einheitsgemeinde oder nicht? Horst Baier spricht in diesem Zusammenhang von einem „Lernprozess“, vom Wert, der einer hohen Identifikation der Bürger mit ihrer Gemeinde zukommt und darüber, welche negativen Folgen es aus seiner Sicht hätte, wenn zentralistisch gesteuert würde.

Vier, die sich beim Umzug über das Ergebnis eines langen gemeinsames Arbeitsprozesses freuten (von rechts): Schulleiter Josef Gäbken, Innenarchitektin Sigrid Stjerneby, Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier und Ankums Bürgermeister Detert Brummer-Bange.

Umzug der Grundschule Ankum: Das Erfolgsrezept war, so Horst Baier (2. v. links), „eine breite Kommunikation“.  Nach einem langen gemeinsames Arbeitsprozesses freuten sich zudem (von rechts): der damalige Schulleiter Josef Gäbken, Innenarchitektin Sigrid Stjerneby und links Ankums Bürgermeister Detert Brummer-Bange. © Samtgemeinde.

Wünschen würde er sich aber „eine engere Zusammenarbeit“ zwischen den Gemeinden und der Samtgemeinde. „Die Tendenz der Abschottung und der Kampf um die eigene Selbständigkeit lassen manchmal vergessen“, so Baier, „dass wir nur gemeinsam stark sind“.

 

Zu wünschen wäre diesem Buch, dass es in viele Häuser und Wohnungen einzieht.

2016 begann für Jutta Stalfort die Arbeit an dem Buch. Ein herkömmliches Geschichtsbuch zu schreiben, das sei mit ihr nicht zu machen gewesen, sagte sie bei der Buchpräsentation. Der Auftraggeber, Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier, hatte anfangs so ein herkömmliches Werk im Sinn. Ihn bewegte jedoch von Anfang an auch, mit einem solchen Buch die Gelegenheit zu nutzen, mit Zeitzeugen zu sprechen und darüber viele Geschichten einzufangen, die verloren gehen, wenn diese Zeitzeugen nicht mehr leben.

„Hier erhältlich“ sein soll das Buch auch im lokalen Buchhandel – und auch darüber hinaus.

Dass Baier ihr freie Hand gelassen habe und ihr nicht in die Arbeit hineinredete, lobte Autorin Stalfort ausdrücklich. Große Zufriedenheit am Ende bei allen Beteiligten.

Zu wünschen wäre diesem Buch, dass es in viele Häuser und Wohnungen einzieht. Allein die Fotos nehmen einen schon auf eine interessante Zeitreise mit. Heimat ist, von Alfhausen bis Rieste, der Ort, in dem ich lebe. Beheimatet sind alle miteinander aber schon seit über 45 Jahren auch in der Samtgemeinde. Ob Schulen, Kitas, Feuerwehr, Bauhöfe, Jugendpflege und manches mehr: Wie diese Beiheimatung aussieht, was sie allen Orten und damit der Lebensqualität ihrer Bürger bislang gebracht hat, wie notwendig es in einer Samtgemeinde ist, über den Tellerrand der eigenen Gemeinde zu schauen, damit eine Politik zum Wohl aller gelingt, das vermittelt diese so besondere Chronik – sogar in unterhaltsamer Weise.

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