11 Verkehrstote, Plädoyer für höhere Bußgelder

In der Schaltzentrale des Kommissariats Bersenbrück: Kriminaloberrat Oliver Voges (rechts), Polizeihauptkommissar Hubert Kortland (links) und Polizeikommissar Marco Kunz.

In der Schaltzentrale des Kommissariats Bersenbrück: Kriminaloberrat Oliver Voges (rechts), Polizeihauptkommissar Hubert Kortland (links) und Polizeikommissar Marco Kunz.

Bislang 11 Verkehrstote im Bereich des Polizeikommissariats Bersenbrück und damit ein Unfalltoter mehr als im letzten Jahr: klartext sprach mit Oliver Voges, Leiter des Kommissariats, und Hubert Kortland, Leiter des Einsatz- und Streifendienstes, über die Unfallursache Mensch und wirksamere Wege zu mehr Verkehrssicherheit.

Fast in jedem Monat ein Unfalltoter: Kriminaloberrat Oliver Voges und Polizeihauptkommissar Hubert Kortland stehen bei Unfällen immer wieder vor der Frage: Wie konnte das nur passieren? Trotz aller Aufklärung und Präventionsarbeit, ist eine ihrer bitteren Erfahrungen, gelingt es nicht, Autofahrer in ausreichendem Maße für Gefahren und Risiken zu sensibilisieren.

 

klartext: Herr Voges, Herr Kortland, mit dem inzwischen verstorbenen Fahrer des Wagens, der in Bersenbrück aus einer Nebenstraße geradeaus über die B 214 in ein Haus fuhr, haben Sie in ihrem Bereich den 11. Verkehrstoten dieses Jahres zu verzeichnen. Damit liegt ihr Zuständigkeitsbereich in einem traurigen Trend. Auch bundesweit wird für 2015 mit mehr Verkehrstoten gerechnet.

Grün eingefärbt: Der Zuständigkeitsbereich des Polizeikommissariats Bersenbrück.

Grün eingefärbt: Der Zuständigkeitsbereich des Polizeikommissariats Bersenbrück.

Oliver Voges: Die bislang 11 Verkehrstoten sind eine traurige Tatsache. Besonders traurig stimmt mich, dass wir in unserem Zuständigkeitsbereich etwa die gleiche Anzahl an Verkehrstoten zu verzeichnen haben wie im Rest des Landkreises, die Stadt Osnabrück nicht mit eingerechnet. Fast 55 % der Verkehrstoten in unserem Zuständigkeitsbereich starben infolge von Baumunfällen. Was mich manchmal ein bisschen verzweifeln lässt, ist: Wir schauen uns jeden Verkehrsunfall sehr genau an und stellen uns die Frage, ob man durch geeignete Maßnahmen etwas hätte tun können…

Hubert Kortland: …, aber bei vielen Unfällen bleiben nur Fragezeichen. Wir haben keine speziellen Unfallschwerpunkte, die Ansätze für Erklärungen und Maßnahmen bieten könnten. Die tödlichen Unfälle ereigneten sich an den verschiedensten Örtlichkeiten im Nordkreis. Eine als schwierig zu bezeichnende Lage hatten wir nur an einer Stelle: auf einer Strecke von Bippen nach Schwagstorf, die monatelang eine Umleitungsstrecke war. An dieser Baumstraße war die Fahrbahn ziemlich zerfahren und dadurch – vor allem in Kombination mit widrigen Umständen wie Regen – ein erhöhtes Unfallrisiko. Darauf haben wir jedoch zeitnah reagiert, und die Verkehrsunfallkommission hat bereits bauliche Maßnahmen für diese Strecke angeregt.

Das Polizeikommissariat Bersenbrück ist zuständig für den nördlichsten Bereich des Landkreises Osnabrück. Und zwar für die Samtgemeinden Artland, Bersenbrück, Fürstenau und Neuenkirchen. Etwa 84.000 Einwohner wohnen im Zuständigkeitsbereich des Polizeikommissariates Bersenbrück.

 

klartext: Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes gehört ein zu geringer Abstand zu den häufigen Unfallursachen. Ist dem auch hier so?

Der Leiter des Kommissariats, Oliver Voges, in seinem Büro.

Der Leiter des Kommissariats, Oliver Voges, in seinem Büro.

Oliver Voges: Der zu geringe Abstand ist vor allem auf Autobahnen ein Problem. Ich erinnere zum Beispiel an die Reisegruppe aus Alfhausen, die auf der Autobahn in einen Unfall verwickelt wurde. Verursacht wurde er durch einen Lkw, der auf ein Fahrzeug hinter dem Bus der Gruppe auffuhr. Das ist ein für Autobahnen typischer Unfall. Solche Auffahrunfälle sind zumeist das Ergebnis der Kombination zu geringer Abstand und Abgelenktheit, mangelnde Aufmerksamkeit.
Man braucht sich nur anzuschauen, was heutzutage im Führerhaus eines Lkws alles an technischen Geräten vorhanden ist, darunter auch Fernseher, Kaffeemaschine, Laptop. Das wird von vielen Fahrern während der Fahrt bedient und genutzt – mit oft verheerenden Folgen. Außer auf der Autobahn ist der zu geringe Abstand auch im Stadtverkehr ein Problem. Im ländlichen Bereich eher weniger, weil der Verkehr nicht so dicht ist.

 

klartext: Schon 2011 zeigte in der Schweiz eine Untersuchung der Allianz-Versicherung, dass rund 40% der Autofahrer während der Fahrt telefoniert haben, 30% SMS und E-mails gelesen oder geschrieben haben und 50% die Zielnavigation programmierten.

Es wird viel getan, hier beim Verkehrssicherheitstag an der von-Ravensberg-Straße Bersenbrück, um Jugendliche vor Unfallgefahren zu warnen.

Es wird viel getan, hier beim Verkehrssicherheitstag an der von-Ravensberg-Straße Bersenbrück, um Jugendliche vor Unfallgefahren zu warnen.

Hubert Kortland: Es ist auch hier bei uns alles dabei.

Oliver Voges: Bei derartigen Ablenkungen fahren Autofahrer in der Stadt häufig „nur“ auf ein anderes Fahrzeug auf. Bei uns sind die Folgen oftmals schwerer: Das Fahrzeug kommt nach rechts von der Fahrbahn auf den Grünstreifen, es wird gegengelenkt, man kommt in den Gegenverkehr oder fährt gegen einen Baum.

 

klartext: Werden zur Ermittlung der Unfallursache eigentlich Daten technischer Geräte wie Handys ausgewertet, um einer Unfallursache Abgelenktheit auf die Spur zu kommen?

Hubert Kortland: Bei Alleinbeteiligten, wenn also nur eine Person und ein Auto in den Unfall verwickelt sind, nicht.

Oliver Voges: Bei Alleinbeteiligten, wenn es auch keine Zeugen gibt, ist die Unfallursache oft nur unzureichend zu ermitteln. In unserer Erfassung sind das dann Unfälle aus ungeklärter Ursache oder der Unfall rangiert, wenn dieser Aspekt eine Rolle spielt, unter dem Auffangtatbestand nicht angepasste Geschwindigkeit.

 

klartext: Mehr Verkehrssicherheit, weniger Verkehrstote – diesem Zweck dient die Präventionsarbeit. Wie steht es um die Prävention in der Samtgemeinde Bersenbrück?

Sich mit dem Auto überschlagen: Dass das kein Action-Spaß ist, konnten Schüler beim Verkehrssicherheitstag an der Bersenbrücker von-Ravensberg-Oberschule im Überschlagsimulator der Verkehrswacht und der Polizei erleben.

Sich mit dem Auto überschlagen: Dass das kein Action-Spaß ist, konnten Schüler beim Verkehrssicherheitstag an der Bersenbrücker von-Ravensberg-Oberschule im Überschlagsimulator der Verkehrswacht und der Polizei erleben.

Oliver Voges: Da wird von allen Beteiligten eine sehr gute Arbeit geleistet. Im präventiven Bereich sind Wohnungseinbrüche und die Verkehrssicherheit die Schwerpunkte unserer Arbeit. Auf Seiten der Polizei ist Manfred Egler der hauptamtliche Präventionssachbearbeiter. Manfred ist privat auch bei der Verkehrswacht aktiv, woran man erkennt, dass ihm die Verkehrssicherheit am Herzen liegt.
Die Zielgruppe im Bereich Verkehrssicherheit sind junge Menschen, und zwar von Kindesbeinen an. Um nur eine der zahlreichen Maßnahmen herauszugreifen: Manfred Egler hat vor Kurzen, zusammen mit der Verkehrswacht und der Samtgemeinde Bersenbrück, daran mitgewirkt, ein Video zu dem Thema zu drehen. Dieses wird u. a. in Kinovorstellungen gezeigt. Weitere Präventionsmaßnahmen sind zum Beispiel die Verkehrssicherheitstage, um Jugendliche, die auf Berufsbildende Schulen gehen oder auf Gymnasien, für Gefahren zu sensibilisieren. Es gibt auch für Grundschulen entsprechend zugeschnittene Präventionsmaßnahmen.

 

klartext: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum es trotz großer Anstrengungen im Bereich Prävention immer noch so viele Unfälle und schwere Unfälle gibt? Fehlt es den Menschen an Bewusstsein für Risiken?

Oliver Voges: Bei so manchem Unfall fragt man sich im Nachhinein, wie es möglich ist, dass Menschen ein so hohes Risiko eingehen. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Unfall. Da hat – auf einer nicht gut ausgebauten Landstraße – ein kleinerer LkW einen größeren überholt. Das konnte, wenn man sich die Straße anschaut, nicht gut gehen. Die Folge des Überholvorgangs war: Die beiden Lkws touchierten sich, beide Fahrzeuge fuhren gegen einen Baum und beide Fahrer starben.

Hubert Kortland: Zu den hohen Risiken, die eingegangen werden, gehört zum Beispiel auch das Überholen vor Kurven. Wenn man auf der Straße unterwegs ist, erlebt man immer wieder Überholmanöver, wo man sich sagt, das kann nicht gut gehen. Aber dann geht es doch gut – und weil es einmal und mehrmals gut geht, wird weiterhin mit hohem Risiko gefahren.

Oliver Voges: Die Leute sind einfach – wie Hubert Kortland es mal nannte – zu unbedarft, was Gefahren angeht. Sie fahren nach dem Motto: Es wird schon gut gehen. Das ist, denke ich, ein großes Problem.

Nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes (Destatis), die auf Daten von Januar bis September 2015 basieren, dürfte es in diesem Jahr etwa 3.450 Verkehrstote geben. Das wäre eine Zunahme um gut 2 %, das sind 73 Menschen, gegenüber 2014 (3.377). Gleichzeitig wäre damit erstmals seit 1991 die Zahl der Verkehrstoten in zwei aufeinander folgenden Jahren gestiegen.

Auf Sicherheit und nicht auf Risiko fahren: Das ist nicht nur bei schwierigen Witterungsbedingungen das Rezept, um das eigene Leben zu schützen und das anderer nicht zu gefährden.

Auf Sicherheit und nicht auf Risiko fahren: Das ist nicht nur bei schwierigen Witterungsbedingungen das Rezept, um das eigene Leben zu schützen und das anderer nicht zu gefährden.

Hubert Kortland: Bei schwierigen Witterungsbedingungen wie zu dieser Jahreszeit ist fehlendes Risikobewusstsein besonders riskant. So mancher sagt sich wohl auch, ich habe ja alles, ich habe ABS, die Temperatur wird mit 3 Grad angezeigt – aber die Straße kann trotzdem glatt sein. Vor allem auf Brücken oder, wenn die Sonne scheint, in schattigen Bereichen. Gefahren, wie sie zum Beispiel auf Brücken lauern, werden nicht ausreichend in Betracht gezogen. Vor einigen Wochen, als es den ersten Frost gab, hatten wir so einen Unfall auf einer Brücke. Die Brücke war spiegelglatt. Das Fahrzeug kam ins Schleudern und geriet in den Gegenverkehr. Zum Glück gab es bei diesem Unfall nur Leichtverletzte.

 

klartext: Gefahren nicht zu erkennen bzw. richtig einzuschätzen ist also ein großes Problem. Geschwindigkeitsbeschränkungen sollen für mehr Sicherheit sorgen. Wie gehen die Autofahrer Ihrer Erfahrung nach damit um?

Die in diesem Jahr sechs Toten durch Baumunfälle in unserer Region sollten Anlass genug sein, um die Warnungen und Tempobeschränkungen ernst zu nehmen.

Die in diesem Jahr sechs Toten durch Baumunfälle in unserer Region sollten Anlass genug sein, um die Warnungen und Tempobeschränkungen ernst zu nehmen.

Oliver Voges: Das Auto ist nicht nur des Deutschen, sondern auch des Nordkreislers liebstes Kind. Auf dem Land wird das Auto als Verkehrsmittel ja auch gebraucht. Der öffentlich Nahverkehr ist nicht so ausgebaut, dass man, ohne größere Einschränkungen hinzunehmen, darauf umsteigen kann. Das Auto ist ein Stück Freiheit, die man zu schätzen weiß. Es ist auch ein Statussymbol. Viele fahren hochwertige Autos, und die sind auch gut mit PS ausgestattet.
Was die Geschwindigkeit angeht: Wir setzen im Landkreis ja auch das Baum-Projekt des Landes Niedersachsen um. Wir messen von der Polizei – so etwa zweimal die Woche – die Geschwindigkeit. Wenn wir dann erleben, dass in 70er-Zonen Geschwindigkeiten von bis zu 164 km die Stunde gemessen werden, dann scheint die Gefahr so manchen Fahrer überhaupt nicht zu interessieren. Sechs unserer bislang 11 tödlichen Unfälle waren Baum-Unfälle. Die Ursache dafür ist nicht der Baum, sondern der Mensch.
Ich weiß, dass es auch Kritiker dieses Baum-Projektes gibt, aber Fakt ist nach unserer Erfahrung, dass jeder für sich in etwa kalkuliert, wie weit er gehen kann. Meistens hat man im Hinterkopf, dass man so 20 km auf die erlaubte Geschwindigkeit drauflegt. Wenn ich erwischt werden, sagt man sich, sind das 30 Euro, und das nehme ich in Kauf.
Es ist bereits riskant, 20 km draufzulegen. Ohne die Beschränkung auf Tempo 70 im Rahmen des Baum-Projekts hätten wir wohl deutlich mehr Raser auf Baumstrecken, als wir derzeit noch immer haben.

Hubert Kortland: Dass unter den Unfall-Toten viele Jüngere, unter Dreißigjährige, sind, Stichwort Disco-Unfall, stimmt nicht mehr. Das hat sich geändert

 

klartext: Was Holland und andere Länder angeht, hat sich inzwischen herumgesprochen, dass Geschwindigkeitsüberschreitungen richtig teuer sind und darum weh tun. Bräuchte es nicht doch schärferer Maßnahmen, um Menschen zur Vernunft zu bringen?

Es müssen höhere Bußgelder her: Darin sind sich Oliver Voges, der Leiter des Kommissariats, und Hubert Kortland mit seiner langen Erfahrung als Leiter des Einsatz- und Streifendienstes einig.

Es müssen höhere Bußgelder her: Darin sind sich Oliver Voges, der Leiter des Kommissariats, und Hubert Kortland mit seiner langen Erfahrung als Leiter des Einsatz- und Streifendienstes einig.

Oliver Voges: Ich sage ja.

Hubert Kortland: Ganz klar, die Bußgelder müssen erhöht werden.

Oliver Voges: Auf der einen Seite muss man sicher das Entdeckungsrisiko erhöhen. In Holland ist das höher als hier bei uns. In Holland gibt es viel mehr stationäre Geschwindigkeitsmessungen. Zum anderen muss man das Bußgeld erhöhen. Bei der Überschreitung von 20 km pro Stunde – außerhalb geschlossener Ortschaften – kostet das hier 30 Euro, in Holland 175 Euro. 30 Euro, das nimmt der Mensch in Kauf. Bei 175 Euro sieht das anders aus. Da wird schon eher überlegt, ob man diese Summe riskieren will. Meiner Meinung nach geht es leider nur übers Portemonnaie.

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