„Euer Name lebt“

Das diesjährige Holocaust-Gedenken in Bersenbrück stand im Zeichen der Erinnerung an das Schicksal der Sinti und Roma. Gestaltet wurde die Feier von 4 Vertretern der Stadtrats-Fraktionen.

Erinnerung an die Zeiten, als für Millionen von Menschen Züge den Beginn von  Tod und Verderben bedeuteten.

Verfolgen, in Konzentrationslagern internieren, demütigen, foltern, verhungern lassen, zu Tode quälen, ermorden: Viele Millionen Menschen fielen dem Vernichtungsterror der NS-Gewaltherrschaft zum Opfer – Juden, Behinderte, Homosexuelle, Sinti und Roma, damals Zigeuner genannt,  Andersdenkende, die sich dem Unrecht entgegenstellten.

Bernhard Mecklenfeld.

Seit 2005 wird in Bersenbrück an der Gedenkstele neben dem Bahnhof am 27. Januar – dem internationalen Holocaust-Gedenktag – der Opfer gedacht. Den inhaltlichen Schwerpunkt bildete in diesem Jahr das Schicksal der Sinti und Roma. Für den Arbeitskreis „Geschichte der Judenverfolgung in der Samtgemeinde Bersenbrück“ begrüßte deren Sprecher Bernhard Mecklenfeld die Gäste. Dass die Veranstaltung in jedem Jahr um 11.35 Uhr beginnt, ist von eindringlicher Symbolkraft. Zu diesem Zeitpunkt fahren Züge in Bersenbrück ein. Sie erinnern daran, womit das Elend von Millionen Menschen begann: mit der Deportation per Zug.

Am Holocaust-Mahnmal versammelten sich die Teilnehmer der Gedenkfeier.

Nachdem in den letzten Jahren benachbarte Schulen die Feier vorbereitet hatten, übernahmen das in diesem Jahr Mitglieder der vier im Bersenbrücker Stadtrat vertretenen Parteien: Franz Buitmann für die CDU, Widu Höckelmann für die SPD, Erika Jellema für die UWG Bersenbrück und Josef Weissmann für die Grünen.

Von links: Erika Jellema, Franz Buitmann, Widu Höckelmann und Josef Weissmann. Sie erfüllten in diesem Jahr das Versprechen „Euer Name lebt“.

Zum Bahnhof verschleppt und von dort ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert: Dieses Schicksal ereilte am 1. März 1943 auch die Sinti-Familie Imker aus Bersenbrück. Franz Buitmann las einen Text aus dem Buch „Schattenschicksale“ von Schülerinnen und Schülern des Seminarfachs Geschichte am Gymnasium Bersenbrück zur Erinnerung an das Leben und das Schicksal der Familie Imker.

Diese Familie stehe, so in dem Buch zu lesen, „beispielhaft für Familien, die während der NS-Zeit staatlichen Repressalien, Deportationen, Vertreibungen und nicht selten der Ermordung in Gaskammern ausgesetzt waren. Das Schicksal, welches den Imkers widerfahren ist, steht auch stellvertretend für Zigeunerfamilien, die ihr Leben lang unter Ausgrenzung litten.“

Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. 2005 erklärten die Vereinten Nationen den 27. Januar zum Tag des internationalen Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Dem nationalsozialistische Völkermord an den Juden fielen 6 Millionen Menschen zum Opfer.

Neben dem großen Gedenkstein steht der Stein mit dieser Inschrift.

Josef Weissmann zitierte in seinem Beitrag aus einer Ansprache von Romani Rose vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma vom 15. Dezember 2016 in der Gedenkstätte Sachsenhausen. Darin hieß es: „Das Netz der Konzentrationslager, der Erschießungsstätten und der Massengräber mit den ermordeten Angehörigen unserer Minderheit zieht sich über ganz Europa. Über eine halbe Million Sinti und Roma, davon ein großer Teil Kinder und Jugendliche, fielen dem staatlich organisierten Völkermord zum Opfer.“

Franz Buitmann beim Verlesen seines Gedenkbeitrags.

Was das für die Familie Imker bedeutete, hatte Franz Buitmann berichtet: Zwei der sechs Söhne der Familie überlebten. Der zweitjüngste Sohn Edmund hatte in einem Erziehungsheim gelebt. Nach dem Krieg kehrte er nach Osnabrück zurück und erfuhr dort, dass seine Eltern sowie der Rest der Familie Opfer der Massenverfolgung und -ermordung geworden waren.

„Was sind Sinti und Roma und wo kamen sie her“, darüber sprach Widu Höckelmann anhand eines Textes von Martina Frietsch. Sichtbar wurde eine jahrhundertelange Leidensgeschichte. „Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten“, so Widu Höckelmann, „wurden die Sinti und Roma erneut verfolgt. Ab 1940 wurden die ersten Familien in Konzentrationslager deportiert“.

 

„Es wird aufgehetzt, gelogen, verwässert“.

Antidemokratische Strömungen, Rassismus, Minderheiten als Sündenbock: All‘ das gehört nicht der Vergangenheit an, sondern ist auch Gegenwart. Erika Jellema, UWG Bersenbrück, befasste sich in ihrem Beitrag (1) mit Wörtern und Unwörtern des Jahres und wies „auf besorgniserregende Entwicklungen innerhalb unserer Gesellschaft hin“.

So ist „postfaktisch“ ein Wort des Jahres – das dafür steht, dass es auf Wahrheit und Richtigkeit nicht mehr ankommt. Statt dessen wird „aufgehetzt, gelogen und verwässert, nur um Stimmung gegen politische Entscheidungen zu machen“.

Im Gedenken versammelt.

„Unwörter wie Gutmensch, Lügenpresse, Sozialtourismus, Opfer-Abo oder Döner-Morde stigmatisieren und reduzieren die Menschen. Bei allen Begriffen geht es um Stimmung gegen Fremde und um den Versuch, die Gesellschaft zu verunsichern. Und es geht darum, Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen“, so Erika Jellema.

Sie schloss mit den Worten: „Wachsamkeit und das rechtzeitige Aufstehen gegen Unrecht und populistische Welterklärer jeglicher Couleur sind das Gebot der Stunde. Rechte und linke aber auch religiöse Populisten haben das Zeug, mit einfachen Parolen Menschen zu verführen. Diese Gefahr zu erkennen und dagegen anzugehen ist wichtig.“

 

Auch die Namen der Bersenbrücker Adolf und Paula Wexseler leben.

Inschrift auf der Gedenkstele.

Demokratie und Menschenrechte.

Den Bogen von der Vergangenheit zur Gegenwart schlug auch Josef Weissmann, als er sagte: „Beide Ideologien, der Antiziganismus wie der Antisemitismus, haben eine jahrhundertalte Geschichte, sie haben den Holocaust an 500.000 Sinti und Roma und sechs Millionen Juden mit ermöglicht. Historische Verantwortung jedoch ist unteilbar. Daher müssen Politik und Gesellschaft den offen wie den verdeckten Erscheinungsformen des Antiziganismus mit der gleichen Entschlossenheit begegnen, wie dies im Falle des Antisemitismus längst demokratischer Konsens ist.“

„Wir dürfen es nicht zulassen“, so Weissmann, „dass Europa erneut in den Abgrund gerissen wird, sondern müssen uns der Erosion rechtsstaatlicher Prinzipien entgegenstellen. Demokratie und Menschenrechte müssen immer wieder aufs Neue erkämpft werden.“ Zu seinem Beitrag gehörten auch Sätze des evangelischen Theologen Martin Niemöller, die er 1976 während einer Diskussion sagte (siehe unten).

Der Inhalt der Texte spiegelte sich auf den Gesichtern der Zuhörer wider.

Erst trifft es Menschen wie Kommunisten oder Schwule, mit denen man selbst nichts gemein hat und vielleicht auch gar nichts gemein haben will – am Ende einen selbst: Sich Unrecht rechtzeitig und in jedem Fall entgegenstellen, egal, wen es trifft, ist die Moral der Zeilen von Martin Niemöller.

In welchem Ausmaß auch heute wieder gegen Menschen aufgewiegelt wird, zeigt sich tagtäglich und nicht zuletzt am Wort die wie z. B. die Flüchtlinge oder die Muslime. Das Strickmuster ist so einfach wie verfänglich: Was eine kleine Minderheit tut, wird allen angelastet nach dem Motto ,alle potentiell kriminell, alle potentiuelle Terroristen‘. So funktioniert Ausgrenzung, die der erste Schritt dazu ist, Menschen zum Freiwild zu erklären, zu „Feinden des Volkes“, auf die Jagd gemacht werden darf.

Der „Ökumenische Kirchenchor“: Gesang zum Gedenken.

 

„Wir wollen Frieden für alle“.

Der „Ökumenische Kirchenchor“ hatte die Gedenkfeier musikalisch eröffnet und bereicherte sie mit dem „Friedenslied“. Zum Abschluss wurde von allen das Lied „Shalom“ gesungen. Dessen deutscher Text:
Wir wollen Frieden für alle,
wir wollen Frieden für alle,
wir wollen Frieden für alle,
wir wollen Frieden, Frieden, Frieden für die Welt.

Von rechts: Agnes Droste, Michael Johanning, Dr. Wortmann, vor ihr André Campe. Links: Andrea von der Haar.

 

Veranstaltung für die ganze Samtgemeinde.

Das Holocaust-Gedenken am Mahnmal in Bersenbrück ist ein Gedenken für die ganze Samtgemeinde. Eine schriftliche Einladung war an den Rat und die Verwaltung der Stadt und der Samtgemeinde Bersenbrück gegangen sowie an die Gemeinderäte von Alfhausen, Ankum, Gehrde, Eggermühlen, Kettenkamp und Rieste. Aus Bersenbrücks Nachbarorten folgten nur wenige Räte der Einladung. Gekommen waren jedoch aus der CDU: Alfhausens Bürgermeisterin Agnes Droste, Kettenkamps stellv. Bürgermeister Michael Johanning und aus Ankum André Campe. Dazu Ankums UWG-Rätin Dr. Mechthild Wortmann.

Sich erinnern, erkennen: Die Vertreter der vier im Stadtrat Bersenbrück vertretenen Fraktionen hatten eindringliche Text ausgewählt bzw. knüpften mit ihren eigenen Redebeiträge an ausgewählten Texten an.

Erika Jellema: „Eine aggressive Stimmung gegen Menschen islamischen Glaubens und Flüchtlinge sowie Migranten“.

(1) Ihren Redebeitrag, so Erika Jellema habe sie „in Teilen dem Vortrag des Superintendenten Pfarrer Dietrich Denker und einer Rede von Schülern der Heinrich-Nordhoff-Gesamtschule in Wolfsburg entnommen“.

Josef Weissmann: „Heute scheinen lange Zeit selbstverständliche Errungenschaften der offenen demokratischen Gesellschaft zunehmend infrage gestellt.“

Martin Niemöller: „Als sie die Kommunisten holten“.

Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie mich holten,
gab es keinen mehr,
der protestieren konnte.

 

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