Der tödliche Unfall am 14. August in Rieste überschattete einen bereits vor Wochen geplanten Ortstermin der SPD Alfhausen und Rieste und verlieh ihm eine erschreckende Aktualität.
Als Presse wurde klartext am 5. August zu einem SPD-Ortstermin an Bahnübergängen in Alfhausen und Rieste eingeladen. 8 Tage später kam die schreckliche Nachricht, dass es in Rieste erneut einen tödlichen Unfall am unbeschrankten Bahnübergang Johanniterstraße gab – an dem sich schon 2013 ein Unfall mit 3 Toten ereignete. Die Opfer stammten aus Alfhausen.
Gemeinsam geplant, so die SPD, habe man den Termin vor einigen Wochen, „um das Thema Bahnübergänge wieder verstärkt in den Focus der öffentlichen und politischen Aufmerksamkeit zu rücken“. „Der Unfall vor 5 Tagen, das war ein Schock“, so Siegfried Hüls, SPD-Vorsitzender in Alfhausen, am Treffpunkt auf dem Hof Dragic in Alfhausen-Heeke, unweit eines Bahnübergangs. Alfhausen liegt an der Süd-Nord-Bahnverbindung zwischen Bramsche und Bersenbrück. Das Riester Gebiet liegt an der in nordöstlicher Richtung verlaufenden Strecke zwischen Bramsche-Hesepe und Neuenkirchen.
Auf dem Fahrplan steht an diesem Samstag auch das Thema Bahnhalt in Alfhausen. „Um in Alfhausen einen Bahnhalt Höhe Gartenstraße zu realisieren, ist ein Umbau nötig“, so Siegfried Hüls. Sein Riester SPD-Kollege Reinhold Waldhaus arbeitet bei der Deutschen Bahn. „Grundsätzlich“, so Waldhaus, „wäre der Übergang Gartenstraße gut geeignet.“ Er erläutert seinen Kollegen zudem, warum und wie ein Bahnhalt in Alfhausen mit Übergängen auch auf Riester Gebiet zusammenhängt. So würde eine Schließung von Bahnübergängen bzw. eine Schranken-Sicherung im Bereich Rieste-Bramsche nicht nur das Unfallrisiko minimieren. Die Züge könnten auch schneller fahren und gewinnen Zeit, die gebraucht wird, damit ein zusätzlicher Stopp der Züge in Alfhausen (was ja Zeit kostet) möglich wird.
Achtung! Die Stimme aus dem Nicht.
Die Debattierenden stehen an der Gartenstraße direkt neben dem Gleis. Dann – aus dem Nichts – eine Lautsprecher-Stimme „Achtung, die Schranken werden geschlossen“. Die Anwesenden kennen das, die Berichterstatterin nicht. Dieser Übergang, so die Erklärung, wird aus der Ferne überwacht. Wenn die Schranken geschlossen sind, kann ein Knopf gedrückt werden. Dann erfährt man, ob sie geöffnet werden oder noch unten bleiben, weil ein Zug passieren wird. Es gibt viel, zeigen die Ausführungen von Reinhold Waldhaus, zu Schranken zu erzählen.
„Und da ist schon der Zug…“.
Auf dem Gemeindegebiet von Rieste reiht sich in kurzen Abständen Übergang an Übergang. 17 sind es insgesamt, 9 davon haben keine Schranken und Lichtsignale. An einem schrankenlosen Übergang, erklärt Waldhaus, dürfen die Züge nur 80 km/h fahren. Übergänge mit Schranken können sie mit 100 km/h passieren. „Und da ist schon der Zug“, zeigt er, als gerade ein Auto über den unbeschrankten Bahnübergang fährt. Er weiß, dass zu dieser Zeit ein Zug kommt und aus welcher Richtung.
Die ortsunkundige Berichterstatterin muss zugeben, dass ihr der Zug noch gar nicht aufgefallen ist. Gut einzusehen ist die Strecke, aber, bleibt als bohrende Frage im Kopf, kann es nicht doch leicht passieren, dass einem ein Zug zu spät auffällt, wenn man nicht weiß, wann einer kommen könnte? Dass man vor Schreck nicht schnell genug und richtig reagiert, wenn ein Hupen ertönt?
Der jüngste tödliche Unfall in Rieste ist stets präsent. Ist er auch ein Vorwurf an die politisch Verantwortlichen in Rieste? Riestes Bürgermeister Sebastian Hüdepohl (CDU) äußerte sich vor einigen Tagen über die Zeitung zu diesem Unfall. Und lieferte damit auch Stoff für die Gespräche während dieses Ortstermins.
„Große Worte, aber von forcieren kann keine Rede sein.“
„Bei der Vorbereitung unseres Termins“, so Christian Scholüke, SPD-Vorsitzender in Rieste, „habe ich mir noch einmal Äußerungen des Riester Bürgermeisters Sebastian Hüdepohl aus dem Jahr 2014 angeschaut. 2014, ein Jahr nach dem Unfall mit 3 Toten, gab es einen Unfall am Übergang Burlager Ort. Der ging gerade noch einmal glimpflich aus. Der Vorfall habe gezeigt, sagte damals der Bürgermeister, ,da müssen wir dringend ran‘. Er, Hüdepohl, wolle die Sicherheitsdebatte rund um die unbeschränkten Bahnübergänge forcieren. Drei Jahre ist das nun her. Von forcieren, darauf wollten wir mit diesem Ortstermin aufmerksam machen, kann keine Rede sein. Den großen Worten folgten keine Taten, die wirklich vorangebracht haben.“
„Nicht konsequent genug gehandelt“.
Den Äußerungen des Bürgermeisters aus den letzten Tagen hält Christian Scholüke entgegen: „Wenn der Bürgermeister jetzt sagt, es müssten nun alle beteiligten Gruppen an einen Tisch, dann ist zu fragen, warum er sie nach seinen Worten von 2014 nicht schon längst an einen Tisch geholt hat. Und wenn er darauf verweist, die Gemeinde sei klein, sie habe nur einen Verwaltungsmitarbeiter und nicht mehr tun können, als sie getan hat, dann sind das aus meiner Sicht keine stichhaltigen Argumente. Vor Ort hat die Gemeinde zwar nur einen Verwaltungsmitarbeiter, aber sie kann auf die gesamte Verwaltung der Samtgemeinde zurückgreifen und sich dadurch Entlastung verschaffen. Man muss das nur wollen und tun. Unseres Erachtens wurde bislang nicht konsequent genug gehandelt.“ „Wir haben mit Steinfeld“, so Scholüke, „ein Vorbild und ein Konzept, das zeigt, wie es gehen kann“.
Steinfeld hat es vorgemacht.
In der Gemeinde Steinfeld (Landkreis Vechta, damals ca. 9.500 Einwohner) gelang es zwischen 2005 und 2012 – auf der Basis eines Gesamtplans – 8 von 13 Übergängen zu schließen und 5 technisch zu sichern. Dort trieb, nach mehreren tödlichen Unfällen, eine Planungsgruppe aus Verwaltung und Parteien die Sache voran. Christian Scholüke: „Was uns als SPD von Seiten der Gemeinde Rieste fehlt, sind Entschlossenheit und Tatkraft. Es ist die Aufgabe des Bürgermeisters, der Verkehrssicherheit an den Bahnübergängen höchste Priorität einzuräumen und alle Ressourcen zu mobilisieren. Das setzt auch die bislang kaum vorhandene Bereitschaft voraus, mit allen im Rat vertretenen Parteien ernsthaft und konstruktiv zu kooperieren und sie einzubeziehen. Die SPD jedenfalls ist bereit, sich aktiv mit einzubringen.“
„Der Realität Rechnung tragen“.
Am Ort der tödlichen Unfälle, dem Übergang Johanniterstraße, werden 4 weiße Kreuze aufgestellt. „Um der Toten zu gedenken“, so Siegfried Hüls. „Als Warnsignal an Autofahrer, hier ganz besonders vorsichtig zu sein“, sagt Christian Scholüke „und auch als stete Mahnung für uns alle, nicht zu vergessen, mehr zu tun.“
Gänzlich ungeschützt ist kein Bahnübergang. Wo es keine Schranken und Lichtsignale gibt, stehen zum einen Schilder zur erlaubten Geschwindigkeit (10 km) und das so genannte Andreaskreuz. Trotzdem immer wieder furchtbare Unfälle. Braucht es mehr Eigenverantwortung der Verkehrsteilnehmer oder mehr Schutz?
Die SPD’ler plädieren für mehr Schutz. Siegfried Hüls: „Richtig ist, dass es auch an gut gesicherten Bahnübergängen Unfälle gibt, das haben wir auch in Alfhausen erlebt. So etwas kann nicht verhindert werden. Unbeschrankte Bahnübergänge sind jedoch ein Risiko, das minimiert werden kann. Wir müssen der Realität Rechnung tragen. Die Menschen führen heute zumeist ein von Hektik geprägtes Leben und haben Ablenkendes wie Handys und Navis im Auto. Außerdem werden die Menschen sehr viel älter als früher, fahren auch in sehr hohem Alter noch Auto. Da ist es um die ständige Konzentration vielleicht nicht mehr bestens bestellt. Dass sie noch in hohem Alter fahren, liegt auch daran, dass es hier auf dem Land keine wirkliche Alternative zum Autofahren gibt. Darum setzen wir uns dafür ein, mehr Schutz zu bieten – durch Schließung von Übergängen bzw. Sicherheitstechnik wie Schranken.“
„Finden sich Wege, die Finanzierung sicherzustellen“.
Die Gesamtkosten beliefen sich in Steinfeld auf ca. 3,1 Mio. €. Daran war die Gemeinde mit einen Drittel, also ca. 1 Mio. €, beteiligt. Es können aber Fördermittel von mindestens 60 % beantragt werden. Für Christian Scholüke wie für Siegfried Hüls zeigen die Steinfelder Zahlen: „Wenn der Wille da ist, etwas zu verändern, finden sich auch Wege, die Finanzierung sicherzustellen.“ Der Fahrgastverband „Pro Bahn“ empfiehlt für das Riester und Bramscher Gebiet: 3-4 Übergänge technisch zu sichern. 5-6 sollten geschlossen werden. Die bisherige Erfahrung hat jedoch gezeigt: Schließungspläne stoßen auf Widerstand.
Wie Widerstand überwinden?
Wird Bürgern bzw. Landwirten, die sich gegen die Schließung eines Bahnübergangs aussprechen, zu bereitwillig nachgegeben? Auch das ein Thema bei den Gesprächen an den Bahnübergängen. „4 Todesopfer in knapp 4 Jahren“ so Siegfried Hüls, „das sollte uns bei jedem Gespräch darüber, was zumutbar ist und was nicht, im Kopf präsent sein“. Christian Scholüke zur Politik in Rieste: „Es wurde so manches nur sporadisch angepackt, wieder fallengelassen, nicht weiter verfolgt.“ Angesichts von 9 riskanten Bahnübergängen fordert er „nun endlich“ ein „systematischeres, energischeres und nicht zuletzt kontinuierliches Handeln“.Entscheidend sei in allererster Linie, ob Bürgermeister und Gemeinde ein Interesse daran haben, das Problem zu lösen und dafür Strukturen schaffen wie die Einrichtung einer Planungsgruppe.
Am Ende der Tour geht der intensive Austausch über das Problem weiter. Kein einfaches Thema, zeigt sich, und gerade deswegen sollte, so die Runde, sofort damit begonnen werden, „endlich konsequent zu handeln“.