„Zuhören und den Menschen ernst nehmen“

Abschiedsinterview mit Pfarrer Ansgar Stolte. Darin unter vielem anderen: Warum Kirche auch Oase sein sollte und wie ihm Los-Glück zu einem besonders intensiven Erlebnis verhalf.

Mittendrin: Pfarrer Ansgar Stolte (links am Tisch), hier 2017 beim 150-Jährigen der Kolpingsfamilie.

Nach gut 6 Jahren verabschiedet sich Ansgar Stolte als Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Ankum-Eggermühlen-Kettenkamp und übernimmt neue Aufgaben – als Diözesanjugendseelsorger des Bistums Osnabrück, Geistlicher Rektor der Jugendbildungsstätte ,Haus Maria Frieden‘ in Wallenhorst-Rulle und als Leiter des Päpstlichen Werkes für Berufe der Kirche.

 

Herr Pfarrer Stolte, beim Gottesdienst zu Ihrem Amtsantritt gab Dechant Stecker der Pfarreiengemeinschaft mit auf den Weg „gehen Sie gut mit Ihrem neuen Pastor um“. Ist man so gut mit Ihnen umgegangen, dass der anstehende Abschied von so einiger Wehmut begleitet wird?

Man ist nicht nur gut mit mir umgegangen, sondern sehr, sehr gut. Ich kann da nur sagen, dass das Miteinander in der Pfarreiengemeinschaft Ankum-Eggermühlen-Kettenkamp wirklich sehr positiv ist. Ganz klar ist da beim Abschied Wehmut mit dabei. Die vielen Begegnungen, Erfahrungen, all‘ die Menschen, die mit Herz und Verstand hier Ort und Gemeinde mitgestalten, das wird mir fehlen.

6.966 Gemeindemitglieder hatte die Pfarreiengemeinschaft Ankum-Eggermühlen-Kettenkamp im Jahr 2018 (Ankum: 4.646, Eggermühlen 1.073, Kettenkamp 1.247). Im Vergleich zu 2017 stieg die Zahl in Ankum um 72 und in Eggermühlen um 67. In Kettenkamp sank sie um 147 Personen (von 1.394 in Jahr 2017 auf 1.247 in 2018). Kirchenaustritte gab es 18 (12 Ankum, 1 Eggermühlen, 5 Kettenkamp).

Eine der vielen ökumenischen Amtshandlungen: Im Juli 2016 der feierliche Auftakt der Einweihung des Bürgerradwegs mit Pfarrer Ansgar Stolte und Superintendent i. R. Hans-Neithardt Hansch.

 

Ein Unterschied zu Ihrer bisherigen Aufgabe liegt auf der Hand: Ihre neue umfasst nicht länger alle Altersgruppen, sondern vor allem die Jugend. Die Lebenswelten und Lebensweisen junger Menschen haben sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Befindet sich auch die Katholische Jugendarbeit in einem Veränderungsprozess?

Engagierte Jugend. © Bistum Osnabrück

Selbstverständlich befindet sie sich in einem Veränderungsprozess. Wäre dem nicht so, wäre sie tot. Kirchliche Jugendarbeit hat sich verändert und muss sich immer weiter verändern.

Wenn wir mal 50 Jahre zurückschauen: Da gab es für junge Menschen eigentlich nur den Sportverein und die kirchlichen Angebote. Wenn ich da z. B. als junges Mädchen oder als junge Frau aus dem Haus wollte, ging das eigentlich nur über die kirchliche Jugend- und Frauenarbeit. Ansonsten musste man zu Haus bleiben. Diese Wirklichkeit hat sich völlig verändert, gesellschaftlich und kirchlich ebenso. Jugendarbeit muss sich heutzutage aus meiner Sicht alle 3 bis 5 Jahre neu definieren.

Neue Hauptaufgabe von Ansgar Stolte (links): Als Jugendseelsorger für die Jugend des Bistums Osnabrück da zu sein.

 

Junge Menschen erreichen: Wie gelingt das?

Zuhören und den Menschen ernst nehmen. Ich habe das jedes Jahr wieder mit großer Begeisterung z. B. bei der Firmvorbereitung erlebt, wenn ich die Firmgruppen besuche. Ich sage den jungen Menschen, dass sie mich fragen dürfen, was sie wollen, und sie bekommen von mir die Zusage, dass meine Antwort ehrlich sein wird.

Je nachdem, wie gut man sich schon vorher kannte und nach einer anfänglichen Auftauphase kommt da dann sehr viel. Da geht es um Fragen wie ,was beschäftigt mich?, was treibt mich um?, was sind gerade meine Lebensthemen?‘ Zuhören und die Menschen ernst nehmen, das gilt grundsätzlich, nicht nur, um junge Menschen zu erreichen, sondern Menschen jeden Alters. Das Wie – welche Ausdrucksformen ich wähle – ist unterschiedlich, aber das Was – das, worum es geht – ist in jedem Alter gleich.

 

Screenshot http://w2.vatican.va.

Es gibt einen Tag in Ihrem bisherigen Leben, der, wie ich annehme, für Sie von besonderer Bedeutung war: Der 24. April 2005, der Tag der Amtseinführung von Papst Benedikt XVI., bis dahin Joseph Kardinal Ratzinger. Sie standen bei der Zeremonie nur eine Armlänge vom neuen Kirchenoberhaupt entfernt und trugen das Pallium, das vom Papst als Zeichen seines universalen Hirtendienstes getragen wird. Es wird damals viele angehende und junge Priester in Rom gegeben haben. Wird man für so eine Ehre vorgeschlagen? Wie sah Ihr Tag aus und wie aufgeregt waren Sie? Schließlich schaute die ganze Welt auf die Amtseinführung auf dem Petersplatz in Rom.

Das ist tatsächlich ein sehr besonderes Ereignis und eine besondere Erfahrung. Wie es dazu kam, das habe ich noch sehr gut in Erinnerung. Für größere Liturgien mit dem Papst wie z. B. Ostern auf dem Petersplatz bieten mehr oder weniger alle Priesterseminare der zuständigen Stelle im Vatikan Unterstützung an wie z. B. Diakone als Kommunionspender. Das ist Standard, denn bei großen Feiern kann das nicht alles aus dem Vatikan heraus gestaltet werden.

Einzigartig: Der Petersplatz, ob zu Weihnachten wie hier, zu Ostern oder bei der Amtseinführung von Papst Benedikt XVI., an der Pfarrer Stolte beteiligt war. © Osservatore Romano, http://w2.vatican.va

Zur Feier der Amtseinführung von Papst Benedikt XVI. hat dann unser Priesterseminar, das Collegium Germanicum et Hungaricum in Rom, die Rückmeldung bekommen, es wäre gut, wenn Sie einen Diakon zur Verfügung stellen. Wofür, wussten wir nicht. Wenn ich mich richtig erinnere, waren wir zu meiner Zeit 5 oder 6 Diakone. Da stellte sich die Frage, welchen nehmen wird denn nun? Der eine Diakon ist ja nicht besser als der andere. Da hat unser Hausleiter vorgeschlagen, dass wir Zettel mit den Namen in einen Topf packen und einen Namen ziehen. Mich hat das Los, das Los-Glück, ereilt.

Wie zu Zeiten des Studiums von Ansgar Stolte gehören zur Kollegiumsgemeinschaft des Priesterseminars Collegium Germanicum & Hungaricum Studenten (aus vielen Ländern), Jesuiten und Ordensschwestern. © cgu.it

Danach gab es dann eine Reihe von Proben, zu denen man sich im Vatikan einfinden musste. Große Ereignisse wie dieses müssen ja sehr genau geplant werden. Diakone wurden für mehrere Aufgaben eingesetzt, als Diakon für das Evangelium z. B. oder als Diakon für die Fürbitten. An unserer Seite waren immer Zeremoniare des Vatikans, die für die genauen Abläufe zuständig sind. Die haben auch geschaut, wer was am besten kann, wer z. B. die Sprache gut spricht und wer nicht. Ich bin ja kein Muttersprachler Italienisch. Ich kann italienisch sprechen, aber bei mir hört man schon sehr deutlich einen Akzent heraus.

Als ich an dem Tag aufgestanden bin, war ich schon aufgeregt, aber es ging noch einigermaßen.

Mir fiel schließlich die Aufgabe zu, das Pallium anzureichen, eine Aufgabe, bei der ich nichts sagen musste. Das war mir auch sehr recht. Ich bin nicht gerade ängstlich, aber ich wusste natürlich schon, worum es bei dieser Feierlichkeit geht und dass Hunderttausende auf dem Platz sein würden und ich weiß nicht wie viele Millionen Menschen weltweit, die zuschauen.

In 2020: Fahrt der Gemeinden Ankum, Eggermühlen, Kettenkamp nach Rom. © Pfarreiengemeinschaft.

Als ich an dem Tag aufgestanden bin, war ich schon aufgeregt, aber es ging noch einigermaßen. Es war alles geprobt und alles vorbereitet. Zu Beginn der Feierlichkeiten, auf dem Weg zum Gebet am Grab des Apostels Petrus unter dem Petersdom, war alles noch ziemlich menschenleer, denn da waren ja nur die liturgisch Beteiligten mit dabei. Draußen auf dem Petersplatz dann Hunderttausende Menschen. Um zur Ruhe zu kommen, habe ich ein Herzensgebet gebetet, nur einen Vers. Und ich habe mir gesagt: nicht nachdenken, einfach da sein und tun. Ich trage für die Regie keinerlei Verantwortung. Ich erfülle meine Aufgabe, so gut ich es kann und ich habe jemanden an meiner Seite, der genau weiß, was passieren muss, der mir sagt, ok, jetzt gehen wir los und wir gehen in diesem Tempo los.

Kannten Sie Kardinal Ratzinger schon vor seiner Amtseinführung als Papst?

Ich kannte Kardinal Ratzinger vorher, aber in dem Moment ging es nicht um Joseph Ratzinger, sondern um den Dienst als Papst. Das hatte schon eine tiefe Bedeutung. Da ging’s um die katholische Kirche als Ganzes, konzentriert in einem Punkt, im Dienst des Papstes. Das hatte für mich schon eine besondere und große Intensität.

 

Zu den neuen Aufgaben, die nun auf Sie zukommen, gehört auch, das „Päpstliche Werk für Berufe der Kirche“ zu leiten. Welche Aufgaben sind damit verbunden?

Das ist eine interessante Frage. Ich hatte dazu schon ein erstes Treffen mit meinen beiden Mitstreitern. Da tauchte zwischendurch die Frage auf, ob wir eigentlich von der gleichen Sache reden. Päpstliches Werk für Berufe der Kirche, das ist ja ein Container, in den man viel hineinpacken kann.

Vom Ursprung her ging es um die Frage, wie können wir junge Menschen darin unterstützen, einen Beruf in der Kirche zu ergreifen – vorzugsweise Priester, Diakon oder Ordensberuf, auf einer nächsten Ebene vielleicht noch Gemeinde- oder Pastoralreferent.

Päpstliches Werk. 1941 entstanden unter Papst Pius XII. das „Päpstliche Werk für Priesterberufe“ und 1955 das „Päpstliche Werk der Ordensberufe“. 1965 legte Papst Paul VI. beide Werke zum „Päpstlichen Werk für geistliche Berufe“ zusammen. 1968 wurde dann in jedem Bistum eine Diözesanstelle „Berufe der Kirche“ eingerichtet.

Screenshot, © www.bistum-osnabrueck.de

Nun ist Kirche aber nicht nur der „inner circle‘ einer Kirchengemeinde. Kirche, das sind all‘ die Menschen, die als getaufte Christen in ihrem Lebensumfeld aktiv sind.

Wenn ich einen Lehrer habe, der seinen Schülern aus seinem christlichen Selbstverständnis heraus begegnet, dann ist das ja auch wertvoll und wichtig. Oder wenn ich einen Handwerksmeister habe, der seinen Mitarbeitern aus seiner christlichen Haltung heraus begegnet, der seinen Betrieb sozial und ökologisch führt, dann ist das auch Teil von Kirche. Kirche ist ja mehr als das, was sich in der Kirche abspielt.

Ja, wir wollen junge Menschen darin stärken, zu ihrer Berufung zu finden und sie zu leben. Das darf gerne auch ein expliziter Beruf in der Kirche sein, aber es gibt auch andere Berufungen. Wenn jemand seine Berufung darin entdeckt, Sozialpädagoge zu werden oder Journalistin – das ist doch prima. Wir helfen jungen Menschen dabei, ihre Berufung zu entdecken und zu leben. Und zwar da, wo sie ist, und nicht da, wo wir sie als Kirche möglicherweise gerne hätten.

 

Wenn ich auf Ihren Weg zum Priester schaue: Sie haben nach dem Abitur zunächst eine Ausbildung zum Energieelektroniker beim Autobauer Karman gemacht. Von elektrischen Anlagen zum Studium der Theologie; von einem technischen Beruf zur Priester-Berufung. Wie kam es zu diesem „Spurwechsel“ in Ihrem Leben?

Ansgar Stolte: Der Berufung Priester gefolgt.

Ich würde das eher Akzentverschiebung nennen. Ich komme aus einem Gemeinde- und Familienkontext, wo Kirchlichkeit, Glaubensleben, ganz selbstverständlich und ganz unaufgeregt zum Alltag dazugehörten. Das war natürlich prägend, ebenso wie z. B. mein Heimatpastor, den ich sehr geschätzt habe, weil er sehr authentisch war. Das hat man als Jugendlicher sofort gemerkt. Es war aber nicht diese oder jene Person, die mich auf den Weg der Priester-Berufung geführt hat. Letztlich ausschlaggebend war dann doch, was wir unter dem Heiligen Geist fassen können.

Als ich als Abiturient vor der Frage stand, welchen Beruf ich ergreifen will, war ich ehrenamtlich in der Kirche engagiert und ja, ein Beruf in der Kirche hätte es durchaus sein können, aber welcher genau – damals keine Ahnung. Ich hatte aber auch eine Leidenschaft für Technik, Handwerk und solche Sachen. Ich sag‘ mal so: Mathe und Physik als Leistungskurse, ich komme aus einem Handwerksbetrieb – etwas Technisches tun, das war meins.

Ansgar, da ist noch eine Frage offen.

Die Perspektive, mit der ich nach dem Abitur ins Rennen gegangen bin, war dann also: Ich mache mal meine Berufsausbildung, arbeite dazu ehrenamtlich in der Kirchengemeinde und gucke, wie sich das alles weiter entwickelt. Die Akzentverschiebung begann dann im 2., 3. Lehrjahr mit dem Gedanken ,Ansgar, da ist noch eine Frage offen‘.

Pfarrer Stolte im August 2017 nach dem Pontifikalamt zum 150-jährigen Bestehen der Ankumer Kolpingsfamilie.

Faktisch waren Beruf und Betrieb der Hauptakzent in meinem Leben, der Nebenakzent war das Engagement in der Kirche. Passt das so noch?, war die Frage. Und da ich ein Freund von Klarheit und Logik bin, habe ich mir gesagt, ok, es gibt zwei Möglichkeiten: Ich mache weiter wie bisher, bin da ja auch gut zufrieden, muss aber damit rechnen, dass ich die Frage, ob das so richtig ist, mein Leben lang mit mir herumtrage. Möglichkeit 2: Ich probiere den anderen Weg, einen Beruf in der Kirche zu ergreifen, aus.

Was konnte mir schlimmstenfalls passieren? Schlimmstenfalls hätte ich gemerkt, dass das nichts für mich ist. Dann hätte ich mich wieder auf den anfänglichen Weg begeben. Schlussendlich, habe ich mir gesagt, kann ich eigentlich nur gewinnen – zumindest Klarheit. Also habe ich mich für die Akzentverschiebung entschieden, habe den Weg ausprobiert, ihn für gut befunden und bin dabei geblieben.

 

Schauen wir noch einmal zurück: In den vergangenen 6 Jahren hat sich mit Sicherheit in der Pfarreiengemeinschaft Ankum-Eggermühlen-Kettenkamp viel getan. Welche Aufgaben und Projekte werden Sie in besonderer Erinnerung behalten?

Kostbar: Momente der Begegnung.

Oh, das ist ganz schwer zu sortieren, weil es da so vieles gibt. Wichtig sind mir aber vor allem Begegnungen, Situationen, Ereignisse, die vielfach nicht einmal in meinem Terminkalender standen, die nie ihren Weg in Medien finden würden, die nicht planbar waren, die sich einfach ergeben haben. Dass ich z. B. dem Faschingsumzug der Kita Am Kattenboll begegnet bin, war eine solche Begebenheit. Eine nur kurze Begegnung, aber toll!

Der Jesuit Willi Lambert hat mal so schön gesagt „Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit“. Ich finde diesen Satz wunderschön. Und die Wirklichkeit ist so bunt, so vielfältig, sehr häufig spontan. Da geht es um die Frage, was sehe ich eigentlich und was blende ich aus?

Besonders waren für mich in jedem Jahr auch die Kar- und Ostertage, ob in Ankum, Eggermühlen oder in Kettenkamp. Diese Tage sind für mich ganz wertvolle, dichte, sehr lebensintensive Feiern, denn da geht es ja im wahrsten Sinne um Leben und Tod. Um Leben und Tod geht es ja auch heute, auch in dem Sinne, dass Menschen in ihrem Leben vor lebenswichtigen Situationen und Entscheidungen stehen. Mich beschäftigt zu den Kar- und Ostertagen immer das Bestreben, sie so zu gestalten, dass ich da als Christ gute Anknüpfungspunkte finde für meine konkrete Lebenssituation.

…zusammen anpacken, generationsübergreifend, bei Kaffee, Brötchen und ’ner Flasche Bier – das ist einfach nur schön.

Ankums Kita St. Nikolaus, hier ein Garteneinsatz von Kita und Eltern, ist eine der drei katholischen Kitas. Die beiden anderen sind die Marien-Kita in Eggermühlen und die Kita St. Christophorus in  Kettenkamp.

Zum Wertvollen hier gehörten auch ganz viele Begegnungen, Entwicklungen, Situationen in den drei Kindertagesstätten. Das sind Orte, wo junge Familien sind mit all‘ ihren Fragen, Themen, Herausforderungen, Wünschen und Anliegen. Die sehe ich vermutlich nicht alle sonntags in der Kirche, aber die sehe ich in den Kitas. Wenn es mir gelingen kann – nicht alleine natürlich, sondern zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen – die Erzieherinnen zu stärken, die ja auch Kirche leben in ihrer Einrichtung, und zwar auf eine Art und Weise, wie ich das vielleicht gar nicht kann, weil die viel dichter dran sind – wie wertvoll ist das denn!

Packen oft an: Die Landjugend Kettenkamp. © KLJB Kettenkamp

Es gibt so viele Beispiele für oft alltägliche Dinge, die äußerst wertvoll sind. In Kettenkamp z. B. die Pflasteraktion auf dem Parkplatz am Friedhof. Mit Männern von der Landjugend bis hin zum Rentner an der Mischmaschine stehen, zu erleben, dass sich Menschen aus ihrer christlichen Grundhaltung heraus für den Ort einsetzen, zusammen anpacken, generationsübergreifend, bei Kaffee, Brötchen und ’ner Flasche Bier – das ist einfach nur schön.

In besonderer Erinnerung ist mir auch ein Besuch in einer Familie, in der es einen Sterbefall gab. Erfahren durfte ich bei diesem Besuch, dass da, bei aller Trauer wegen des Todes, eine ganz tiefe Dankbarkeit dafür war, was man im Leben miteinander haben durfte, ein vertrauensvolles Loslassen und Gehendürfen. So etwas zu erleben, ist für mich ungemein wertvoll.

Leben und Tod. Sehr viel mehr als eine Managementaufgabe war die 2017 vollendete Umgestaltung der Abschiedsräume in der Ankumer Friedhofskapelle – als Ausdruck einer veränderten Trauerkultur.

 

Viele Management-Aufgaben.

Sie waren in den 3 Kirchengemeinden Seelsorger und zugleich Manager. Als Manager hatten Sie es mit Gebäuden, Friedhöfen, Personal und vielem anderen zu tun. Vor wenigen Monaten strahlte die ARD die Dokumentation „Pfarrer am Limit: Bevor es mich zerreißt“ aus. Den seelsorgerischen Aufgaben und den Managementaufgaben gleichermaßen gerecht werden: Wie sind da Ihre Erfahrungen? Kennen Sie das Gefühl und die damit vielleicht verbundene Zerrissenheit, dass eines ob des anderen zu kurz kommt?

Das Gefühl kenne ich nur zu gut. Aber das ist ja kein Alleinstellungsmerkmal von Priestern. Da sind wir als Priester Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Vielem gerecht werden müssen ja z. B. auch Frauen und Männer mit Familie und Beruf, oder Menschen, die mehr als eine Arbeitsstelle brauchen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.

 

Überforderung gibt es in der Tat überall. Sollte da nicht gegengesteuert werden?

Kirche als Oase: Sein können, wie ich bin.

Ja, das sollte es. Was Kirche angeht: Die Qualität von Kirche und Seelsorge bemisst sich nicht an der Anzahl der Aktionen, die gemacht werden. Wirklich nicht! Bei der Vielfalt der Herausforderungen, vor denen Menschen stehen, stellt sich für mich die Frage: Was können wir an Stärkung, an Ermutigung, an Oasen geben, damit der Mensch einfach mal sein kann, wie er ist.

Setz‘ Dich vor der Arbeit oder nach Feierabend 10 Minuten in die Kirche und sei einfach da. Wenn es Dir hilft, zünde eine Kerze an, aber sei vor allem einfach da. Und wenn mir jemand nach einem Gottesdienst erzählt, von der Predigt habe ich gar nichts mitbekommen, weil ich so in Gedanken war, dann sage ich, das ist doch schön. Oase zu sein, ein Raum zu sein, wo ich nicht unter Leistungsdruck stehe: Vielleicht ist das nochmal mehr als anderes Aufgabe von Kirche.

Verabschiedung am 24. Februar. Verabschiedet wird Pfarrer Ansgar Stolte am Sonntag, 24. Februar 2019, im Rahmen eines Gottesdienstes (um 10.30 Uhr in der St.-Nikolaus-Kirche in Ankum). Anschließend gibt es einen offenen Empfang in der August-Benninghaus-Schule Am Kattenboll. Sein Nachfolger, der bisherige Diözesan-Jugendpfarrer Michael Franke, wird am 7. April 2019 mit einem Festgottesdienst in sein neues Amt eingeführt (um 15 Uhr in der St.-Nikolaus-Kirche in Ankum).

 

In Ihre Zeit in der Pfarreiengemeinschaft fällt auch die Ankunft einiger Hundert Flüchtlinge und das Engagement der Kirchengemeinden zur Unterstützung der Menschen. 

Wie heißt es so schön, und das ist auch ein Leitwort der Kolpingsfamilie: Not sehen und handeln. Im Alltag sind nun mal viele Dinge planbar, andere nicht. Plötzlich ist eine Wirklichkeit da und stellt einen vor die Fragen: Wie reagiere ich darauf?, wie gestalte ich das?, wie setze ich meine Schwerpunkte, was darf dann auch mal zurückstehen?

Pfarrer Ansgar Stolte begrüßte die vielen Gäste, und er hatte einen Film mitgebracht, in dem auf Arabisch die Bedeutung des Osterfestes erklärt wurde. Neben ihm: Jugendreferentin Nina Mönch-Tegeder.

März 2016: Pfarrer Ansgar Stolte begrüßte Flüchtlinge bei einem Treffen im Haus Kirchburg, und er hatte einen Film mitgebracht, in dem auf Arabisch die Bedeutung des Osterfestes erklärt wurde.

 

Was mir bei den Treffen mit Flüchtlingen im Haus Kirchburg aufgefallen ist: Das gab es von keiner Seite Berührungsängste. Die zumeist muslimischen Flüchtlinge trafen in einem christlichen Umfeld auf Christen.

Berührungsängste gab es von beiden Seiten nicht. Der gegenseitige Respekt stand bei diesen Treffen über der Andersartigkeit, befördert durch das gegenseitige Kennenlernen, was nur über Begegnung möglich ist.

Keine Berührungsängste.

Die Sorge vor Überfremdung ist interessanterweise da am größten, wo die Zahl der Flüchtlinge besonders klein ist; da, wo es keine direkten Begegnungsmöglichkeiten gibt, wo ich keine eigenen Erfahrungen machen kann.

Natürlich hat es auch Herausforderungen gegeben, gar keine Frage, aber Herausforderungen gibt es auch durch Menschen aus der heimischen Umgebung. Es ist nicht nur gut mit Flüchtlingen, es ist aber auch nicht nur schlecht. Was ich problematisch finde in Bezug auf Medien und Gesellschaft: Wenn der Fokus immer nur auf Probleme, Probleme, Probleme gerichtet wird. Wenn das ständig wiederholt wird, dann glaubt man das irgendwann.

Ich bin nicht dafür, Dinge schönzureden. Überhaupt nicht. Aber Fakt ist, dass es uns in Deutschland noch nie so gut ging wie heute. Wir waren noch nie so sicher wie heute. Wir hatten noch nie so viele Chancen und Möglichkeiten wie heute. Wir haben eine soziale Sicherung, bei der man ohne Frage genau hinschauen und gucken muss auf Menschen, die durchs Raster fallen, aber insgesamt haben wir eine soziale Sicherheit, die selten so gut war wie heute.

 

Bei Ihrem Einführungsgottesdienst vor 6 Jahren wurde Ihnen z. B. alles Gute und Gottes Segen gewünscht für Ihre „Arbeit in einer schwierigen Zeit“. Wenn Sie zurück und nach vorne schauen: Was sehen Sie da? Vor allem schwierige oder auch hoffnungsfrohe Zeiten?

Natürlich sehe ich auch Herausforderungen, aber die hat es vor 50, 100 und 200 Jahren auch gegeben. Ich sehe aber auch ganz klar hoffnungsfrohe Zeichen. Es gab in, mit und durch Kirche noch nie so viele Chancen und Möglichkeiten wie heute. Es hat noch nie so viele Möglichkeiten gegeben, sich als getaufter Christ mit seinen Gaben und Fähigkeiten einzubringen. Ich nehme nur mal exemplarisch 2, 3 Orte heraus für das Viele, das da um den Kirchturm herum gewachsen ist. Dass Kita ein Ort von Kirche ist, wo Glauben gelebt wird, das hätte man vor 20 Jahren nicht so gesehen und so genannt. Heute tun wir es.

September 2015: Auch Kita „ist ein Ort von Kirche, wo Glauben gelebt wird“. Hier die Einweihung der Marien-Kita in Eggermühlen.

Wenn Menschen aus ihrer christlichen Grundhaltung heraus ihre Familienangehörigen pflegen, dann ist das ist gelebte Kirche. Damit will ich nicht Gottesdiensten und anderem, das mir persönlich sehr wichtig ist, Bedeutung absprechen. Es gibt aber eben auch die vielen anderen Orte, wo sich Menschen aus dem Glauben heraus engagieren, wo sie versuchen, Glauben und Leben miteinander zu verbinden. Dafür gab es noch nie so viele Chancen und Möglichkeiten wie heute.

Veränderung, nach vorne schauen, das ist übrigens schon ein alttestamentarisches Thema. Der Prophet Jesaja sagte vor fast 2.800 Jahren, sinngemäß zitiert, ,schaue nicht auf das, was früher war. Ich mache einen neuen Anfang. Siehst Du es nicht?‘ Und Jesus sagte: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenige Arbeiter‘. Wir gucken zumeist nur auf ,es gibt so wenige Arbeiter‘, vergessen dabei aber die erste Satzhälfte „die Ernte ist groß“.

Beruflich und privat nur zu gerne mit dem Rag unterwegs: Hier in Eggermühlen, mit dem Weihwasser-Gefäß am Lenker.

 

Sie haben nun bald einen Monat frei und damit etwas Luft, bevor Sie Ihr neues Amt zum 1. April antreten. Ihre letzten Wochen vor der Amtsübergabe dürften besonders anstrengend gewesen sein. Wenn Sie an den freien Monat März denken: Wonach steht Ihnen da der Sinn?

Ja, wonach steht mir der Sinn? Mir steht der Sinn danach, eine Fahrradtour zu machen, nicht nur Strecken von 5, 6 Kilometern zu fahren, sondern eine mehrtägige Tour zu unternehmen. Mir steht auch der Sinn danach, etwas gemeinsam mit meinem Patenkind zu unternehmen und ich würde gerne ein paar sehr gute Freunde besuchen.

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