Schon in 2 Jahren ist z.B. fast jeder 5. Ankumer 65 Jahre und älter. In jedem Ort ändert sich die Zusammensetzung der Bevölkerung deutlich. Das sollte uns alle – mehr als es bislang tut – kümmern.
Ein kommentierender Beitrag von Rita Stiens.
Wir wissen es seit Jahren: Der Anteil älterer und alter Menschen steigt und steigt. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Wir stecken mitten drin im demographischen Wandel. Umso erstaunlicher, dass er da, wo er sich vollzieht – in jeder unserer Gemeinden – vielerorts noch kaum ein Thema ist.
40 % mehr über 70-Jährige.
65 Jahre und älter wird in Ankum schon in zwei Jahren jeder 5. Einwohner sein. Von 1.255 Personen in 2017 steigt diese Zahl auf 1.456 in zwei Jahren (2021) und auf 1.820 in 9 Jahren (2028). Ein Anstieg um 45 %. Die größte Gruppe stellen aber nicht die jüngeren Alten zwischen 65 und 70 Jahre, sondern die über 70-Jährigen – darunter etwa ein Viertel über 80-Jährige.
2017 waren z. B. in Ankum 817 Einwohner über 70 Jahre alt. Schon in zwei Jahren (2021) werden 920 Menschen über 70 Jahre alt sein, in 9 Jahren dann 1.142 – ein Anstieg um fast 40 % im Vergleich zu 2017. Von diesen über 70-Jährigen werden in 2 Jahren 26,3 % (383 Personen) über 80 sein. Und die Zahlen steigen weiter. Ähnlich wie in Ankum sieht es auch in den anderen Orten der Samtgemeinde aus. Alles kein Problem, weil die Alten von heute ja alle noch so fit sind?
Quelle der Zahlen. Die hier genannten Zahlen und Berechnungen basieren auf der Bevölkerungsprognose des Landkreises Osnabrück 2018-2035.
Auch wenn man Alterseinschränkungen nicht sieht: Sie sind da.
Ja, zahlreiche Menschen jenseits des Rentenalters sind noch ehrenamtlich oder anderweitig aktiv, sie walken, fahren Fahrrad usw. Ein Beweis dafür, dass das zunehmende Alter spurlos an einem vorbeigeht, ist das nicht.
Es ist eine Illusion zu glauben, man würde nach Eintritt des Rentenalters Jahr für Jahr älter und merke über 10 oder 15 Jahre nichts davon. Was es bedeutet, älter zu werden, können Jüngere kaum nachempfinden, weil sie es naturgemäß nicht selber spüren.
Beim Senioreninformationstag am 11. Mai in Ankum wird es einen Alterssimulationsanzug geben. Damit werden typische Einschränkungen älterer Menschen auch für Jüngere erlebbar. Mein Wunsch, nicht zuletzt an Ratsmitglieder, denn die gestalten die Gegenwart und Zukunft in unseren Orten: Dass sie sich diesen Anzug mal anziehen um zu erleben, welchen Unterschied es macht, ob man 50 Jahre alt ist oder 70 Jahre und älter. Ich erlebe das mit meinen fast 69 Jahren Tag für Tag. Muss das die Gemeinde Ankum kümmern?
Ein auch altersgerechter öffentlicher Raum.
Ja, meine ich, denn ein Ort sollte für alle da sein, für die Jüngsten wie für die Älteren und Alten, sollte für alle ein hohes Maß an Lebensqualität und Teilhabe am Leben bieten. Was heißt das für den öffentlichen Raum? Es heißt z. B., auf den Prüfstand zu stellen, ob dieser Raum – auch – altentauglich ist. Mit dem Älterwerden sind nun einmal Einschränkungen verbunden – auch wenn man sie vielen nicht ansieht; auch wenn der Einzelne noch so viel dafür tut, um gut und möglichst fit zu altern.
Was mir z. B. lange nichts ausgemacht hat wie Kopfsteinpflaster, Unebenheiten auf Fußwegen, auf einer Treppenstufe falsch aufzukommen, ist inzwischen eine erst zu nehmende Gefahr. Kam ich da früher mal ins Stolpern, konnte ich das durch Reaktionsschnelligkeit und gute Beweglichkeit locker abfangen. Jetzt besteht Sturzgefahr (wie bereits erlebt).
Dass eine Treppe ein Geländer hat, wird immer wichtiger, und die B 214 überquere ich in Ankum nur an den (wenigen) Stellen, die ganz oder teilweise gesichert sind wie Bahnhof oder Tütinger Straße. Lossprinten in einer kritischen Situation geht nicht mehr so, wie es mal ging. Mit einem Rollator unterwegs sein oder im Rollstuhl: Wie gut sind Orte dafür gerüstet? Mehr Bänke wünsche ich mir schon heute, auch wenn ich noch ohne Hilfsmittel unterwegs bin.
Die Alten bei allem konsequent mitdenken.
Wenn schon in zwei Jahren fast jeder 5. Einwohner eines Ortes wie Ankum zwischen 65 und 99 + Jahre alt ist, dann sind diese Älteren und Alten eine Bevölkerungsgruppe, die auf lokalpolitischem Terrain bei allem konsequent mitgedacht werden müsste – zumal diese Gruppe weiterhin wächst. Konsequent mitgedacht heißt: Vom Bauen und Planen übers Soziale bis zu Wirtschaft und Wachstum.
Auf Samtgemeindeebene kommt dem Thema älter werdende Gesellschaft schon seit einigen Jahren ein spürbar hoher Stellenwert zu, nicht zuletzt durch den großen Einsatz der Seniorenbeauftragten Gabriele Linster. Bewältigt werden muss die Aufgabe demographischer Wandel aber vor allem in den einzelnen Orten. Da wären Handlungsfelder zu identifizieren, und es dürfte sich zeigen, dass so einiger Handlungsbedarf besteht.
Es geht um mehr als ums Soziale.
Konsequent angepackt, würde sich wohl allein schon bei der Aufgabe Barrierefreiheit (die nicht nur Alten nützen würde) zeigen, dass sie keine kleine ist. Der Bereich Soziales, zu dem z. B. auch die Einrichtung von „Dorftreffs“ gehört, ist ein so wichtiger wie großer. Der demographische Wandel betrifft aber noch ganz andere Bereiche.
In Ankum hat z. B. Ratermann gezeigt, dass Geschäftsschließungen eine Altersfolge sein können. Bei welchen Geschäften ist in einem Ort in den nächsten Jahren Vergleichbares zu erwarten und was bedeutet das für die Entwicklung im Ortszentrum? Wachstum, Zuzug, Arbeitskräfte sind im Zusammenhang mit dem demographischen Wandel ebenfalls ein Thema, ein ganz wesentliches Thema.
Mehr Ältere und Alte, weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter.
Was bedeutet es für einen Ort, wenn dort immer weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter leben? 2017 hatte z. B. Ankum laut Bevölkerungsprognose 7.594 Einwohner. 83,5 % dieser Einwohner waren jünger als 65 Jahre, also Kinder, Jugendliche (deren Zahl zurückgehen wird) und vor allem die Menschen im Arbeitskräfte-Alter. 16,5 % waren über 65 Jahre und älter.
Würde Ankum bei der Einwohnerzahl von 7.595 stehen bleiben, wären in zwei Jahren nicht 16,5 Prozent der Einwohner 65 Jahre und älter, sondern 19,2 %. Das heißt: Es gäbe 205 Personen weniger als noch 2017 im jüngeren Segment und damit im Segment der Menschen im Arbeitskräfte-Alter. Die werden nicht nur im Wirtschaftsleben gebraucht, sondern auch im ehrenamtlichen Bereich wie z. B. bei so wichtigen Einrichtungen wie den Freiwilligen Feuerwehren. Damit ein Ort nicht immer weniger Menschen im Arbeitskräfte-Alter hat, braucht es eine höhere Einwohnerzahl, braucht es Wachstum durch den Zuzug jüngerer Menschen – was nicht jedem gefällt.
Wachstum ja, aber….
Lieber nicht so stark wachsen – solche Stimmen gibt es nicht nur in Ankum. Die ersten Ansätze der Wachstums-Debatte zeigten meines Erachtens jedoch, dass dabei bislang ein zentraler Aspekt – der demographische Wandel – so gut wie gar nicht berücksichtigt wurde.
Die Unternehmen brauchen Arbeitskräfte, die Gemeinde braucht gute Steuereinnahmen: Was bedeutet es vor diesem Hintergrund, wenn durch den steigenden Anteil von Seniorinnen und Senioren die Anzahl der Einwohner im Arbeitskräfte-Alter sinkt?
So sehr ein Ort ein gutes Umfeld für ältere und alte Menschen bieten muss, so sehr muss es auch ein attraktives Umfeld für die jüngeren Bevölkerungsgruppen bieten. An Wachstum führt kein Weg vorbei, wenn eine gute Wirtschaftskraft erhalten werden soll – die im Interesse aller benötigt wird, der Jüngsten wie der Ältesten.
Beim Thema Wachstum ist man aber zugleich auf einem schwierigen Terrain. Bislang läuft Wachstum im ländlichen Raum vor allem über den Bau von frei stehenden Eigenheimen, was mit einem kaum mehr zu vertretenden Landfraß, einem Verlust an Land und damit Natur, verbunden ist. Wir machen weiter wie bisher, umdenken sollen andere: Das kann keine Option sein, zumindest nicht für verantwortlich Handelnde.