„Zirkus der Kulturen“ auf dem Zeltplatz Ankum

Das Gepäck der jungen Gäste aus Russland war verschütt gegangen, aber dieses Anfangsmalheur konnte die gute Sommercamp-Stimmung beim „Zirkus der Kulturen“ nicht trüben.

Von Tag 1 bis Tag 5 schaute klartext beim Auftakt des „Zirkus der Kulturen“ auf dem Jugendzeltplatz in Ankum vorbei.

Der Jugendzeltplatz in Ankum ist in diesen Tagen der Schauplatz des Sommercamps „Zirkus der Kulturen“ mit um die 70 Jugendlichen und Heranwachsenden, darunter eine Gruppe junger Russen. Die hatte sich zu Pfingsten aus dem mehr als 3.500 km entfernten Perm/Ural auf den Weg gemacht.

Am Tag 1: Diese Gruppe kommt gerade von der Besichtigung des Geländes und seiner Umgebung zurück.

Kurz vor dem Ziel dann der Schreck: Am Flughafen Hamburg war nach dem Flug aus Moskau das Gepäck nicht angekommen. Keine Zahnbürste, keine Klamotten, keine Schlafsäcke: Da war Improvisation gefragt. Auch auf dem Jugendzeltplatz bereitete man sich auf eine neue Lage vor: Auf eine Übernachtung der Gäste ohne Gepäck in den Gästezimmern des Zeltplatzes statt in den Zelten. Nach zwei Tagen dann die Entwarnung: Das Gepäck war nach Alfhausen zu Axel Klose nachgeliefert worden.

 

Ein globales Dorf in der Ankumer Idylle.

Axel Klose ist der Vorstand des „Vereins für Natursport und Kunst Hase-Ems e. V.“ (http://www.vnkhe.de). „Interkulturelle Bildungsmaßnahmen“ sind seit 2001 das Metier dieses Vereins.

Mit Sack & Pack: Einzug ins Camp.

Interkulturell heißt derzeit auf dem Jugendzeltplatz: 15 Gäste aus Russland treffen auf bis zu 55 Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsene der IGS Fürstenau und der Berufsbildenden Schule Bersenbrück. Die bringen diverse kulturelle Wurzeln ein, darunter arabische wie syrische oder irakische, aber auch tschechische und australische.

Flüchtlingskinder und -familien aus aller Welt waren schon in den vergangenen Jahren in die Bildungsprojekte des Vereins mit eingebunden. Und so ist der Jugendzeltplatz beim „Zirkus der Kulturen“ ein lebhaftes globales Dorf – mit einem Bildungsauftrag: Je nach Alter werden die Teilnehmer/innen ausgebildet als Fachassistenten/innen, Jugendleiter/innen, Multiplikatoren/innen für internationaler Begegnungen und auch als UNICEF-Juniorbotschafter/innen. Die Familien der Teilnehmer können auch vorbeischauen, denn eingeladen sind „Kind und Kegel“.

Die Programm-Infos stecken im Handy: Erst einmal checken, wer bei der Länder-Paarung wohin gehört.

 

Wenn der „alte Pauker“ die Regeln erklärt.

Seit dem 6. Juni, dem Dienstag nach Pfingsten, läuft der „Zirkus der Kulturen“. Die Zelte sind am Tag 1 aufgebaut, und die ersten Gäste sind Jugendliche, die zu

Axel Klose: Erklären, auf alles ein Auge haben.

Jugendleiter/innen aus- und fortgebildet werden. Eine „Sicherheitsbelehrung“ steht für sie an, und bei der wird auch sichtbar, was dieses Sommercamp ausmacht.

„Bitte alle mal nach Länder-Paaren zusammensetzen“, ist eine erste Ansage von Axel Klose. Palästina-Israel ist so ein Paar, das sich da als Gruppe zusammenfindet, Syrien-Deutschland oder Deutschland-Äthiopien. Sinn und Zweck dieser Paar-Gruppen: sich mit den Auswirkungen der Krisenherde dieser Erde auseinandersetzen und mit dem Klimawandel. Und dann macht sich „der alte Pauker“, so Axel Klose über sich selbst, daran, die wichtigsten Regeln zu erklären.

 

Rauchen, Alkohol, Tagesdienste.

„Wie verhalten wir uns so, dass wir am Ende sagen können, das war ein tolles Projekt?“, ist die Frage des „Chefs“. Rauchen? Nur dann, wenn Zeit ist, und nur in den Raucherecken. Alkohol: Wer darf den „weltberühmten selbstgemachten Likör“ von Axel Klose trinken? Keiner unter 18, ist die Antwort. Alkohol darf auch nur in bestimmten Gemeinschaftsräumen getrunken werden. In den Zelten und Zimmern herrscht striktes Alkoholverbot. Wer da mit Alkohol erwischt wird, muss das Camp verlassen. Null Toleranz!

12.000 Übernachtungen im Jahr. Der Jugendzeltplatz wird von der Gemeinde Ankum betrieben und ist ein Riesenerfolg. Er liegt in schönster Idylle am Holzbachweg in Aslage. Den ca. 4 ha großen Platz mit einem Teich können 200 Personen und mehr gleichzeitig benutzen. Pro Jahr kommen da 12.000 Übernachtungen zusammen.

Auf die Jugendleiter/innen kommt Verantwortung für die Jüngeren in ihren Gruppen zu, und sie müssen abwechselnd Tagesdienste schieben. Dafür zu sorgen, dass alle rechtzeitig geweckt werden und um 8 Uhr beim Frühstück sitzen, ist eine der Aufgaben. „Je länger das Camp dauert, desto müder wird man“, weiß Axel Klose aus Erfahrung, und bereitet die jungen Verantwortlichen darauf vor, dass es dann „schwierig werden kann, die Schlafenden aus dem Schlafsack zu kriegen“.

Die Israel-Palästina-Paarung: Erste Faden-Erfahrungen.

 

Fadenspiele statt Handy.

Das Handy mal aus der Hand legen, für viele fast unvorstellbar. Im Sommercamp sollen Handys nur eine Nebenrolle spielen.

Richtig? Oder doch nicht so ganz?

Die Leiter einer Gruppe dürfen ihre Handys zwar behalten, aber während der Mahlzeiten darf gar nicht zum Handy gegriffen werden, und ansonsten möchte Axel Klose tagsüber „kein Handy sehen“. Die jungen Gruppenmitglieder müssen ihre Handys tagsüber abgeben und bekommen sie erst nach Schluss der Tagesprogramme wieder zurück.

Fingerspiele gibt’s im Camp nicht per Handy, sondern mit Fäden. Die Fadenspiele sind ein Klassiker des „Zirkus der Kulturen“, und da können die Gruppenleiter in spe gleich bei der Einweisung ihre Fertigkeiten unter Beweis stellen. Solange es Menschen gibt, kommunizieren sie. Aber wie? Die Naturvölker kommunizierten per Figuren aus Fäden. 5.000 Zeichen sind überliefert. Die meisten stammen von den Aborigines, den Inuit und den Indianern.

 

Franzi hat’s drauf.

Übung macht den Meister.

Gar nicht so leicht, es den Naturvölkern nachzumachen. Franzi, die Tochter von Axel Klose, macht’s vor. Mit wenigen Fingerbewegungen hat sie eine Tasse geformt; ein, zwei Bewegungen weiter ist daraus ein Segelschiff geworden und schließlich ein Turm. Dass diese Fadenspiele die Konzentration fördern, ist an den Gesichtern und den Ergebnissen der ersten Versuche abzulesen. Wer nicht voll konzentriert zugehört hat, hat einen Schritt verpasst und statt einer Tasse ist ein ganz anderes Gebilde entstanden.

Der Spaß an der Sache wächst mit jedem Versuch, und wer den Bogen raus hat, erlebt das Spiel als ungemein spannend und entspannend. Vermittelt werden in den Gruppen nicht nur die Wege zu den unterschiedlichsten Figuren, sondern auch Einblicke in die Kultur und das Leben der Naturvölker. Es gibt sogar Fadenspiel-Prüfungen. Wer die erfolgreich absolviert, bekommt den „Fadenpass“.

Manch‘ skeptischer Blick beim Fadenspiel, aber auch beherztes Zupacken und Zubeißen.

 

„Wir bewegen Jugend – Jugend bewegt Gesellschaft!“

Erlebbar wurde und wird in diesen Tagen in Ankum auf dem gesamten Gelände, mit wie viel Spaß, Lebensfreude und Lust am Lernen „Bildungsmaßnahmen“ verbunden sein können. Im Fokus steht unter anderem das Motto: „Wir bewegen Jugend – Jugend bewegt Gesellschaft!“ Für die Teilnehmer gibt es so einiges zu tun. So muss jeder an den selbst gewählten festen Workshops teilnehmen. Die umfassen zwei Bereiche: einen Sportblock mit Kajak, Zirkus, Judo und Spielen sowie einen Kreativblock mit Percussion, Ökologie, Erste Hilfe, Tanzen (Hip-Hop) und Fadenspiel. Außerdem: die Sprachanimation.

Das Judo-Prinzip: Maximale Wirkung bei einem Minimum an Aufwand.

 

Tag 3: Percussion-Rhythmen und vieles mehr.

Hinter dem Spaß stehen Ernst, viel Arbeit und ein großes Ziel: In allen Workshops, die an Tag 3 angelaufen sind, geht es auch darum, Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein zu gewinnen und zu vermitteln.

Für die Kunst: viele Kisten mit Material.

Zur Arbeit gehörte erst einmal, alles startklar zu machen. So im Länder-Gruppen-Zelt. Da hängen in der Äthiopien-Deutschland-Ecke bereits Landkarten, Fotomaterial usw. Ähnlich sieht’s bei den anderen Länder-Paarungen aus. Chris ist für klartext an diesem Tag der Guide zu den Workshops. Er gehört zum Presse-Team des Projekts.

Vom Zelt der Länder-Gruppen geht es ein Zelt weiter zum Kunst-Workshop. Für alle möglichen kreativen Kreationen ist man da mit Hunderten von Teilen gerüstet. Den Weg zum Musik-Workshop weist das Gehör. Was die Runde der Jungs auf Anhieb aus den Percussion-Instrumenten herausholt, klingt nach „viel Bock auf viel mehr davon“. Auch mal mit Instrumenten in Kontakt kommen, die normalerweise nicht im schulischen Musikunterricht verwendet werden, erklärt Chris, das möchte man den Teilnehmern bieten.

Die Tour mit Chris von Workshop zu Workshop beginnt in der Zelt-Ecke der Länder-Paarung Äthiopien-Deutschland.

 

Sich gemeinsam an eine Fremdsprache rantrauen.

Selbstbewusstsein tanken. 

Viele kennen das: Wer eine Fremdsprache lernt, tut sich oft schwer damit, die Sprache zu sprechen. Aus Angst davor, Fehler zu machen. Die Sprachanimation will Mut machen. Artem (auf dem Foto links) und Kate haben gerade Zettel mit Wörtern für erste Übungen vorbereitet. Arabisch wird diesmal auch mit dabei sein.

Ein Stück weiter im Gelände teilen sich Judo und Zirkus die Bühne. Bei Judo ist die Sache klar. Beim Zirkus probiert man sich noch aus, um herauszufinden, ob Akrobatik die zu wählende Disziplin sein soll oder lieber Balancieren oder Jonglieren. Praktisch für den Kajak-Workshop: Auf dem kleinen See unweit der Zelte können erste Erfahrungen auf dem Wasser gesammelt werden.

Und zwischendurch mal relaxen…

Viel Action im Sommercamp, aber für die Gruppenleiter gibt es am Ende eines Tages auch noch „Papierkram“ zu erledigen. Sie müssen anhand eines Berichtsbogens Tagesberichte verfassen und darin – vom Vormittag über die Mittagspause, die Präsentation und das Abendprogramm – festhalten, was wie gelaufen ist und ob es Besonderheiten zu vermerken gibt. Es müssen Wochenpläne erstellt werden, und es gibt Bögen zur Vorbereitung von Präsentationen. Einige der russischen Gäste sprechen schon sehr gut deutsch, andere noch nicht. Und so übersetzen die einen für die anderen, und die Arbeitsmaterialien sind zweisprachig.

Die Küchenchefs Torsten Schindler und Ulrike Krohn kochen mit Liebe und allerbesten Zutaten.

 

Ganz wichtig fürs Camp: Die Küchen-Chefs.

Tag 5 des Sommercamps: „Was gibt es gleich zu essen?, fragt ein Jugendlicher in der Küche. Grießbrei, lautet die Antwort. Grießbrei??? Ja, am Tag 5 des Camps gibt es mittags Grießbrei mit Sauerkirschen. Am Abend wird gegrillt, erklärt Co-Küchenchefin Ulrike Kohn. Da gibt es dann auch Fleisch. Küchenchef Torsten Schindler spricht, wie seine Mitstreiterin, mit Begeisterung über das kulinarische Angebot. Alles frisch gekocht, mit besten frischen Zutaten. Der Grießbrei wurde mit Bio-Milch gekocht, ausgewogen ist die Ernährung, mit vielen Salaten und Obst.

Torsten Schindler und sein frischer „Stoff“ fürs Kochen.

Regional sind alle Zutaten, zum Teil vom Acker um die Ecke und gespendet von Bio-Bauern und -höfen. Am Tag zuvor gab es Pizzen, auch Gemüse-Pizza, gemacht für unterschiedliche Geschmäcker und auch religiöse Zugehörigkeiten wie z. B. Muslime. Gesunde Ernährung für einen gesunden Körper und Geist, hatte Axel Klose bereits am 1. Tag der jungen Truppe erklärt, sei eine der Maximen des Camps. „Und bitte nur soviel auf den Teller packen, wie wirklich gegessen wird“, war sein Appell. Was nicht jedem leicht fällt – bei den verlockenden Gerichten, die Tag für Tag aus der Küche kommen.

Schulen und andere profitieren von der Ausrüstung. Ob Zelte, Musikinstrumente und vieles mehr: Der „Verein für Natursport und Kunst Hase-Ems“ besitzt Ausrüstung im Wert von 80.000 €. Der Verein braucht sie 2 x im Jahr. In der übrigen Zeit stellt er vielen wie z. B. Schulen Teile des Equipments kostenlos zur Verfügung. Ankum könnten bei Interesse Zelte überlassen werden.

Axel Klose (links) und Ankums Bürgermeister Detert Brummer-Bange. Auch ein Thema: die Zelte, die Ankum überlassen werden könnten.

 

Axel Klose: Mit 76 Jahren noch immer das Herz und die Seele.

Über allem, das sich so tut, wacht Axel Klose. Er ist auf dem Jugendzeltplatz flotten Schritts von A nach B und C unterwegs. Vor über 30 Jahren startete der damalige Lehrer an der Integrierten Gesamtschule (IGS) Fürstenau ein kleines Schulprojekt mit einer seiner Klassen. Daraus wurde Großes und ein großer Kreis von Mitstreitern in Schulen, Vereinen usw. und von Unterstützern.

Axel Klose mit seiner russischen „Tochter“ plus Familie.

Im Laufe der Jahre entstanden zahlreiche Sport- und Naturprojekte, darunter die beliebte IGS-Wassersportgruppe. 1987 stellte Axel Klose dann den Verein für Natursport und Kunst Hase-Ems (VNKHE) auf die Beine. Das Ziel des Vereins: die Förderung von Sport in der Natur und Kunst.

Das Projekt „Zirkus der Kulturen“ wurde 2003 ins Leben gerufen. Welchen Stellenwert die Aktivitäten des Alfhausener Vereins haben, zeigt auch, dass er 2009 den Integrationspreis der Bundesregierung, („respekt2009“) für das Projekt „Gemeinschaft bildet – wir gestalten Zukunft“ gewann. Nun naht ein Abschied.

 

Der Samstag (Tag 5) ist bei bestem Wetter ein idealer Tag zum mittäglichen Chillen auf der Wiese.

Abschiedstournee mit letzter Station Russland.

Das Ankumer Sommerprojekt ist quasi die Generalprobe das nächste Projekt, das im russischen Perm/Ural stattfindet. Der Russlandaufenthalt dauert vom 6. Juli bis 26. Juli. In Perm werden ca. 400 Kinder mit dem gleichen Konzept wie in Ankum betreut. Dort fällt dann aber der letzte Vorhang, denn die Projekt-Tournee 2017 ist eine Abschiedstournee: Diese Projekte werden in dieser Form nicht weitergeführt. Und so liegt – trotz aller Freude und Betriebsamkeit – über diesem Sommercamp ein Hauch von Wehmut. Aber tatsächlich nur ein Hauch, denn es wird insgesamt weitergehen – nur anders als bislang. Noch läuft der Zirkus der Kulturen ja, und bis zum Abschlusstag, dem 17. Juni, werden wohl noch viele ihre Freude daran haben.

Multiples Angebot beim Zirkus-Workshop: Jonglieren, Akrobatik, Balancieren.

Instrumente auspacken, erste musikalische Versuche: Beim Percussion-Workshop.

Für den einen und anderen überraschend: Grießbrei mit Sauerkirschen als Mittags-Hauptgericht.

Ob Jungs oder Mädels: Beim Fadenspiel macht nur viel Übung den Meister.

Auch Mischpaletten für die Farben gehören zur Ausstattung des Kunst-Workshops.

Ein eingespieltes Zirkus-der-Kulturen-Team: Axel Klose und seine Tochter Franzi.

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Ein Kommentar

  1. Ralf Küthe-Zur-Lienen

    Sprachbarrieren und unterschiedlichste kulturelle Hintergründe; na und! Sich einlassen auf „Unterschiede“, die ja gar keine sind, von einander lernen und sich akzeptieren! Eine tolle Basis um zusammen zu wachsen. Wir hatten jetzt auch schon 2 * russischen“ Austausch“ und unsere Tochter fährt nun mit nach Russland, tolle Erfahrung die wir nicht missen möchten.

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