Unterwegs zu grünen Plagegeistern

Sie sind kaum in den Griff zu bekommen und lassen einheimischen Pflanzen keine Chance: Sogenannte „Neophyten“ wie z. B. Japan-Knöterich. Markus Revermann vom Forstamt Ankum führte klartext am 14. Juni zu einigen Orten, an denen das Ausmaß der Plage sichtbar wird.

Markus Revermann vom Forstamt Ankum ist über 2 m groß. Das zeigt, wie hoch hinaufgeschossen der Japan-Knöterich hier auf einer Fläche in Settrup ist. In Länge und Breite wird dieser invasive Neophyt weiter und weiter wuchern.

Einen schönen Ausblick hat Markus Revermann von seinem Büro im Forstamt Ankum. Er schaut auf den Kirchturm und eine Reihe von Kirschbäumen, voll behängt mit Früchten. Warum der gelernte Gärtner und Förster Revermann der Kirschart vor seinem Fenster – es ist die Spätblühende Traubenkirsche – so gar nichts abgewinnen kann, zeigt sich später in der Kunkheide, in einem Waldstück, das zu den Niedersächsischen Landesforsten gehört. Dort wuchert Spätblühende Traubenkirsche und bereitet reichlich Probleme.

Mitten in Ankum hat die Spätblühende Traubenkirsche am Bach Fuß gefasst – wie dieser Ausblick vom Büro-Fenster im Forstamt Ankum zeigt.

 

Sie lassen der einheimischen Pflanzenwelt keine Chance.

Spätblühende Traubenkirsche gehört, wie der Japan-Knöterich und der Riesen-Bärenklau (Herkulesstaude), zu den „invasiven Neophyten“. Als Neophyten werden Pflanzen bezeichnet, die, teils schon vor langer Zeit, aus ihrer eigentlichen Heimat wie Japan, China, Nordamerika oder Indien nach Deutschland gelangten.

Riesen-Bärenklau in Settrup: Bei einer solchen Ausdehnung ist Hopfen und Malz verloren.

Zu Plagegeistern geworden sind die „invasiven“ unter den Neophyten, was heißt: Diese Pflanzen breiten sich aggressiv aus und verursachen schwere ökologische Schäden. Sie haben auch hier schon weite Flächen fest im Griff.

Warum Neophyten wie dem Japan-Knöterich kaum beizukommen ist, zeigt beispielhaft dessen Vermehrungsfähigkeit: Die Wurzeln reichen bis zu 3 m und mehr in die Tiefe und haben zudem viele Verdickungen (Rhizome), aus denen heraus viele neue Triebe entstehen. Selbst kleinste Sprossenteile bilden Wurzeln und wachsen sich schnell zu neuen Pflanzen aus, die große Flächen bedecken und alles andere verdrängen. „Haben sich invasive Neophyten einmal einen Standort erobert“, so Markus Revermann, „geben sie ihn nicht wieder her“.

Nur wenige Meter von der Stelle entfernt, wo das Foto oben entstand, hat der Japan-Knöterich einen ganzen Hügel in Besitz genommen.

 

Mancherorts schon Hopfen und Malz verloren.

Bevor es zu den Plagegeistern in Ankum geht, führt die Fahrt mit Markus Revermann zunächst nach Fürstenau-Settrup. Dort haben sich die Neophyten Japan-Knöterich und Riesen-Bärenklau bereits dermaßen ausgebreitet, dass ein ökologischer Totalschaden zu beklagen ist – und das in einem Randbereich des Landschaftsschutzgebietes  „Pottebruch und Umgebung“. Es wird nicht bei der bislang schon großflächigen Ausbreitung bleiben. Japan-Knöterich und Riesen-Bärenklau werden mit jedem Jahr mehr und mehr Raum verschlingen.

Steckbrief Japan-Knöterich. Herkunft Ost-Asien, Japan. Kann in wenigen Wochen eine Wuchshöhe von 3-4 m erreichen. Von einem einzigen Trieb aus reichen die unterirdischen Wurzeln oder Rhizome bis zu 7 m weit und meterweit in die Tiefe. An jedem einzelnen Knoten können sich neue Triebe bilden.

Am Ortsausgang in Ankum Richtung Nortrup: Auch hier macht sich Riesen-Bärenklau am Graben breit.

 

Schier unausrottbar.

In geschützten Gebieten sind Neophyten ein besonders gravierendes Problem. Markus Revermann nahm 2018 an einer Neophyten-Schulung in Bersenbrück teil. 96 % aller Naturschutzbehörden haben Probleme mit Neophyten, ist den Arbeitsunterlagen (1) des Experten Christian Schneider zu entnehmen.

Nach dem Bundesnaturschutzgesetz müssen in geschützten Gebieten „geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um die Gefahren einer Verfälschung der Tier- und Pflanzenwelt durch Ansiedlung und Ausbreitung von gebietsfremden Tieren und Pflanzen abzuwehren.“ Diesem Auftrag nachzukommen, ist bislang kaum gelungen. Nur 17 % aller Maßnahmen gegen Neophyten waren erfolgreich.

Steckbrief Riesen-Bärenklau. Herkunft Kaukasus. Wird 2-3 m hoch und entwickelt Doldenstände, die wagenradgroß werden können. 10.000 schwimmfähige Samen pro Pflanze!

 

Kaum möglich: Über Jahre ausgraben, ausgraben, ausgraben.

Wie sehr Hopfen und Malz bei einer großflächigen Verbreitung des Japan-Knöterichs und des Riesen-Bärenklaus verloren sind, zeigen Experten-Vorschläge zur Bekämpfung. Ausgraben, ausgraben, ausgraben sagen die – und über Jahre immer wieder graben und graben. Das ist bei einer großen Ausbreitung in der Praxis so gut wie unmöglich.

Überall auf dieser Fläche in Settrup Riesen-Bärenklau. Hier werden bald viele Blüten-Dolden für eine weitere Verbreitung sorgen.

Um beim Riesen-Bärenklau eine Ausbreitung über die Samen zu verhindern, müssten alle Blüten-Dolden entfernt werden – und zwar mit Schutzkleidung, denn die gesamte Pflanze und vor allem der Saft enthält den Giftstoff Furocumarine.

Riesen-Bärenklau kurz vor der Blüte.

Dieser Giftstoff wirkt bei Sonnenschein besonders stark (phototoxische Reaktion) und kann, wenn man damit in Berührung kommt, zu sehr unangenehmen Verbrennungen auf der Haut führen. Den Riesen-Bärenklau vor der Blüte zu mähen, würde eine weitere Ausbreitung zwar verlangsamen, aber nicht stoppen, denn er breitet sich auch über die Wurzeln aus.

Bei Japan-Knöterich könnte bei größeren Flächen laut Experten als Eindämmung helfen: alle 14 Tage mähen – und das über mehrere Jahre. Da lässt Sisyphus grüßen. Soviel Mäharbeit über Jahre durchzuhalten, käme einem enormen Arbeitsaufwand gleich und würde pro Jahr und Hektar mehrere Tausend Euro kosten.

 

Bäume weg – und die Plage ist da.

In Ankum wurde z. B. im Frühjahr 2017 an einem Graben beim Lidl-Markt der Knöterich vom Unterhaltungsverband und vom Bauhof bekämpft – und dann war er wieder da. Dazu 100 m weiter ein weiteres Vorkommen.

Trotz Bekämpfung wieder da: Japan-Knöterich am Graben beim Lidl-Markt. Dieses Foto entstand vor wenigen Tagen, am 16. Juni.

Der Graben bei Lidl ist ein Lehrstück, denn dort standen einmal Bäume. Der Knöterich wucherte erst richtig auf, nachdem die Bäume entfernt worden waren. Warum? Weil die Bäume verdunkelten. Der Japan-Knöterich braucht aber Licht. Das hat er inzwischen in Hülle und Fülle und gedeiht entsprechend prächtig.

Verbreitung durch Erdaushub. Für einen Hausbau wird eine Baugrube ausgehoben und die Erde wird irgendwohin abtransportiert: Wenn es auf dem Grundstück z. B. Japan-Knöterich gab, wird sich der Neophyt nun über den weggeschafften Erdaushub an anderer Stelle ausbreiten. Auch Erdarbeiten an Gräben tragen zur weiteren Verbreitung bei.

Wie die Monster bekämpfen, die so schön grün aussehen, aber nicht zu bändigen sind? Komplett mit Folie abdecken, Erde drauf und so dafür sorgen, dass z. B. Japan-Knöterich über mehrere Jahre kein Licht mehr bekommt: Das kann bei einer kleineren Fläche klappen – aber auch das eine Maßnahme, die viel Aufwand und Personaleinsatz erfordert, nicht zuletzt, weil über Jahre durch Kontrollen sichergestellt werden muss, dass tatsächlich alles dicht ist und keinerlei Licht an die Pflanzen herankommt.

Japan-Knöterich am Bach. Er gefährdet Böschungen und Ufer. Dazu brechen Pflanzenteile leicht ab und sorgen für eine weitere Verbreitung, weil sie vom Wasser weggeschwemmt werden.

 

Neophyten-Herausforderung im Wald.

Bäume können für eine Verdunkelung sorgen, die Neophyten eindämmt. Trotzdem können Neophyten auch im Wald zum Problem werden. Warum, zeigt Markus Revermann in der Kunkheide in Ankum.

Noch grün: Reif sind die Früchte, wenn sie schwarz sind.

Auf dem Weg dahin erzählt der Mann vom Forstamt, wie er im Sommer tagtäglich vom Bürofenster aus beobachten kann, wie sich Vögel die Früchte der Spätblühenden Traubenkirsche schmecken lassen. Über den Kot der Tiere werden die Samen in alle Himmelsrichtungen verbreitet, aber auch durch die vielen Früchte, die ins Wasser fallen, davonschwimmen und andernorts für Traubenkirschen-Nachwuchs sorgen. Dass invasive Neophyten Unmengen von schwimmfähigen Samen produzieren, die dazu noch nach 4, 5 und mehr Jahren keimfähig sind, trägt ebenfalls zu ihrer schier unaufhaltsamen Verbreitung bei.

Und nicht nur das. Die Spätblühende Traubenkirsche ist einfach nicht klein zu kriegen. Wird ein solcher Baum-Strauch gefällt, ist in der Kunkheide zu sehen, treiben zig Triebe aus dem Stumpf, Stockausschlag genannt, und entwickeln sich in Windeseile zu einem hohen und dichten Busch.

Die Spätblühende Traubenkirsche hat sich hier in der Kunkheide in den Wald hinein verbreitet – eine Bedrohung für junge Bäume wie die Buche (links hinter Markus Revermann).

Wir stehen in der Kunkheide auf einer Verjüngungsfläche in einem Waldstück der Niedersächsischen Landesforsten. Kurz vor dem Ziel waren rechts des Wegs schon zahlreiche Spätblühende Traubenkirschen zu sehen. Dass die sich nun auch im Wald ausbreiten, hat einen einfachen Grund: Werden in einem Wald Bäume gefällt, z.B. um das Holz zu nutzen, entsteht ein freier Raum. Den hat hier in Windeseile die Spätblühende Traubenkirsche besetzt – und wird nun zu einer Gefahr für die jungen Bäume, die auf dieser Fläche gepflanzt wurden.

Aus dem Stumpf einer gefällten Traubenkirsche schießen in kurzer Zeit viele Triebe in die Höhe.

Damit sich die Jungbäume gegen die wucherstarke Neophyten-Nachbarschaft durchsetzen können, müssen die Traubenkirschen wieder und wieder gekappt werden. Sind die Bäume, so z. B. eine Buche, einmal groß, ändern sich die Lichtverhältnisse mit der Folge, dass die zunehmende Dunkelheit die Spätblühende Traubenkirsche ausbremsen wird. Möglichst kein Kahlschlag im Wald, nur vereinzelt Bäume herausnehmen, ist für Markus Revermann eine Konsequenz aus seinen Erfahrungen mit Neophyten im Wald. Dass alle, auch Private, aufgerufen sind, wacher zu werden für das Neophyten-Problem, war der Pressemitteilung zur jüngsten Neophyten-Schulung zu entnehmen.

Steckbrief Spätblühende Traubenkirsche. Herkunft Nordamerika. Strauch bzw. Baum, max. 20 m hoch. Die Früchte werden von zahlreichen Vögeln, aber auch von Damwild, Wildschwein, Fuchs etc. gefressen, wodurch sich die Kerne ausbreiten. Auch sie sind viele Jahre lang keimfähig. Nach Abschneiden erfolgt ein starker Stockausschlag (Ausschlag von neuen Trieben).

An einem Weg in der Kunkheide in Ankum: Lauter Spätblühende Traubenkirschen, die bald Mengen reifer Früchte verbreiten.

 

Per App den Bestand erfassen.

Die diesjährige Neophyten-Schulung, organisiert von der Gebietskooperation Artland/Hase, die vom Natur- und Geopark TERRA.vita betreut wird, fand im Mai in Bersenbrück statt. Eine Einführung in das Thema vermittelte auch bei dieser Weiterbildung Diplomingenieur Christian Schneider. Die Schulung richtete sich laut Pressemitteilung „an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gemeindebauhöfen, Straßenmeistereien, Landwirtschaftskammer und Unterhaltungsverbänden“.

Gut besucht war die Schulung „Umgang mit invasiven Neophyten“, die im Mai 2019 in Bersenbrück stattfand. © Foto: Georg Lucks

Um das Ausmaß des Neophytenproblems genauer zu erfassen, gibt es inzwischen die App „KORINA“. Darin werden die Standorte invasiver Arten erfasst. Per „Neophytenmanagement“ soll zukünftig die Landschaft im nördlichen Landkreis Osnabrück –  und da insbesondere die geschützten Gebiete (FFH-Gebiete) – effektiver vor Neophyten geschützt werden. Wie ein effektiver Schutz gelingen kann, ist jedoch nach wie vor die große Frage.

Steckbrief Drüsiges Springkraut. Herkunft westlicher Himalaya. Wird 50 cm bis 2,5 m hoch und gehört ebenfalls zu den invasiven Neophyten.

Das Drüsige Springkraut ist ebenfalls ein invasiver Neophyt und breitet sich hier aus. © und Quelle: siehe unten (1).

 

Nie und nimmer Pflanzenschutzmittel?

Pflanzenschutzmittel sind Gifte, die mehr denn je verpönt und für Naturschützer in der Regel ein Tabu sind.

Riesen-Bärenklau.

Angesichts der bundesweit bislang geringen Erfolge im Kampf gegen die grünen Invasoren, drängt sich jedoch bei den Bildern von dieser Tour die Frage auf, ob nicht doch ein punktueller, begrenzter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in Erwägung gezogen werden sollte. Ein gezielter Einsatz, um zu gewährleisten, was das Bundesnaturschutzgesetz ebenso vorschreibt wie die entsprechende EU-Richtlinie –  einheimische Ökosysteme vor einer Überprägung durch invasive Neophyten zu bewahren und dafür so sorgen, dass in geschützten Gebieten die einheimischen Pflanzen (die „wertbestimmenden Lebensraumtypen“) erhalten werden. Experten-Empfehlungen zu einer chemischen Bekämpfung fanden sich bei der Recherche nicht – was auch daran liegt, dass es keine ausreichenden Erfahrungswerte gibt.

 

Nötig: Mehr öffentliche Aufmerksamkeit.

Die Exkursion mit Markus Revermann war ein Augenöffner. Wer weiß, wie Neophyten aussehen, sieht sie plötzlich an allen Ecken und Enden und bekommt ein Gefühl dafür, wie sehr sie sich schon ausgebreitet haben – und wie sehr sie sich weiter ausbreiten werden. Je mehr Menschen für das Thema sensibilisiert werden, desto besser.

Einmal dafür sensibilisiert, sieht man Plagegeister wie den Japan-Knöterich plötzlich an vielen Stellen, so an Straßen und Wegen.

Wie Kristina Behlert, Gebietsmanagerin der Kooperation Artland/Hase, zur Neophyten-Schulung im Mai sagte, kann „sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich jeder dazu beitragen, dass sich die invasiven Arten an kritischen Standorten nicht weiter ausbreiten. Das gelte für Vorbeugung im eigenen Garten, professionelle Beseitigung der Bestände durch die entsprechenden Bauhöfe, aber auch für die Erfassung der Vorkommen, um gezielt gegen die pflanzlichen Invasoren vorgehen zu können“. Weitere Informationen sind erhältlich unter https://terra-natura2000.de/projekte/.

(1): Handout „Umgang mit invasiven Neophyten“, Bildungszentrum für Beruf und Umwelt, Dipl.-Ing. Christian Schneider.

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