Antonie, Pauline, Rosa, Hugo, Mathilde, Siegfried, Elise: Diese Namen jüdischer Bürger von Alfhausen sind ab heute jedem präsent, der über diese Steine „stolpert“.
Mit den Namen der jüdischen Mitbürger, die auf den gestern in Alfhausen verlegten Stolpersteinen stehen, wird des Lebens und der Schicksale dieser Menschen gedacht. Präsent ist damit zugleich, was niemals in Vergessenheit geraten darf: der Holocaust, die systematische Ermordung von sechs Millionen Juden während der Jahre des Hitler-Faschismus.
Sechs Millionen Ermordete. Für welches Ausmaß an Grauen diese Zahl steht, zeigen erst die Lebenswege und Schicksale einzelner Menschen. Was sie erlitten, geschah nicht irgendwo, sondern auch mitten unter uns, in Alfhausen ebenso wie andernorts in der Samtgemeinde. Hier vor Ort entschied sich mit der Verhaftung schließlich das letzte Kapitel ihrer Lebensgeschichte: Die fünf Frauen und die beiden Männer wurden ermordet. Sie sind die Alfhausener Verbindung zu den Vernichtungslagern wie Auschwitz und Buchenwald.
Thiener Straße 12: Sie waren unsere Mitbürger, unsere Nachbarn.
Nachdem am Morgen Alfhausener Bürger sowie kirchliche und weltliche Amtsträger an der Legung der Steine teilgenommen hatten, begrüßte Zeljko Dragic – mit Harry Kindt Initiator dieses Projekts – um 18 Uhr einen zweiten Kreis von Bürgern zum Gedenken. Er bedankte sich für die Reden am Morgen. Für Reden, die auch schmerzhafte Einsichten zum Ausdruck brachten wie die, dass auch Alfhausener regimetreu waren, Schuld und Mitverantwortung auf sich luden.
„Die Afhausener Familie Meyer“, so Dragic, „lebte nicht abgeschottet“. Sie war Teil des Alfhausener Lebens. Ihr Zuhause war die Thiener Straße 12. Ihre Ausgrenzung wurde erzwungen: „Judenhaus“ hieß, was nichts anderes bedeutete als die Ghettoisierung der Menschen. Die Stolpersteine verweisen auch auf das „Judenhaus“ in der Thiener Straße.
Zeljko Dragic und Harry Kindt initiierten das Projekt „Stolpersteine“. Der Gemeinderat sprach sich einstimmig dafür aus. Unterstützt von ihrer Schule, dem Gymnasium Bersenbrück, recherchierten Jan Steinkamp (Alfhausen) und Yannick Blanke (Rieste) die Geschichte der jüdischen Familie Meyer.
Als Kind erlebt, was in Alfhausen geschah.
Bernd Wellmann legte an den Gedenksteinen Blumen nieder. Als Zeitzeuge machte er eindringlich deutlich, was die Zahl sechs Millionen ermordete Juden bedeutet. Er rief vor Augen, was jeder kennt: Einen Schützenfestumzug, einen mit 300 Schützen, die in 3-er Reihen, in einem Abstand von einem Meter, durch das Dorf ziehen. Diesem Bild folgend, stehen sechs Millionen ermordete Juden für einen Zug von 2.000 km Länge. Eine Strecke, länger als der Weg von Alfhausen über Prag, Wien, Budapest und Belgrad bis nach Sofia in Bulgarien. All‘ diese Menschen, Männer, Frauen, Kinder – „hineingetrieben in den Tod“, so Bernd Wellmann. Darunter die Familie Meyer. Nur eine Urenkelin von Herz Meyer, der 1820 nach Alfhausen kam und sieben Kinder hatte, überlebte.
Eine Gedenkstele soll folgen.
Weil viele Menschen, vor allem jüngere, nicht wissen, wofür die Steine stehen, soll noch eine Stele aufgestellt werden, so Zeljko Dragic, die deren Bedeutung erläutert. Dragic wünscht sich für die Zukunft auch die Einbeziehung von jungen Menschen, von Schulen und Schülern, damit dieses Gedenken kein einmaliges bleibt. So könnte man es zum Beispiel jährlich durch ein Zusammenkommen an dieser Stelle beleben.
Der Künstler Gunter Demnig erinnert nun also auch in Alfhausen mit seinen Stolpersteinen an die Opfer der NS-Zeit. Er wurde am Morgen gefragt, erzählt Zeljko Dragic, ob das für ihn nicht inzwischen Routine sei. Nein, hätte Demnig geantwortet, denn jeder Stein ist ein Schicksal.
Eingelassen werden diese Gedenktafeln aus Messing in den Gehweg vor dem letzten selbstgewählten Wohnort der Opfer. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, zitiert Gunter Demnig den Talmud. Mit den Steinen vor den Häusern wird die Erinnerung an die Menschen lebendig, die einst hier wohnten (www.stolpersteine. eu).
„Spuren“ heißt die Stiftung von Gunter Demnig. Im Rahmen dieser Stiftung realisiert er seit Ende 2015 das Projekt Stolpersteine. Über 55.000 Steine wurden bereits in 1.600 Orten in Europa verlegt. Gunter Demnig und sein Team können pro Monat 440 Steine herstellen und verlegen. Der Bildhauer Michael Friedrichs-Friedländer schlägt jeden Buchstaben mit der Hand in das Messing ein.
„Wehret den Anfängen!“
„Wehret den Anfängen!“ schrieb die Bildhauerin, Grafikerin und Malerin Käthe Kollwitz einst auf eins ihrer Plakate. Sie wurde 1933, wie Thomas Mann, von den Nazis aus der Preußischen Akademie für Künste ausgeschlossen und ihres Amtes als Leiterin der Meisterklasse Grafik enthoben, weil sie zum Widerstand gegen die Nationalsozialisten aufrief.
Dass die Ausgrenzung von Menschen, Hass, Rassismus nicht der Vergangenheit angehören, zeigt sich in Deutschland in jüngster Zeit so deutlich wie schon lange nicht mehr. Die Stolperstein von Alfhausen sollten auch Erinnerung und Mahnung sein in dem Sinne „wehret zu jeder Zeit allen Anfängen“.
Zu den Lehren aus der Nazi-Zeit und ihrer Vorgeschichte gehört auch: Die schweigende Mehrheit darf nicht schweigen bei Ausgrenzung, Intoleranz und Hass. Wo stehen wir heute? Wie weit ist zum Beispiel der Weg von einem Slogan wie „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ bis zu „jeder, der nach Islam aussieht oder sich zu dem Glauben bekennt, gehört nicht zu Deutschland“? Mit welchen Folgen für die davon betroffenen Menschen?
Wer im Namen des „christlichen Abendlands“ Hass schürt, zur Ausgrenzung aufruft und wer dem Sympathie zollt, sei an die tief in der christlichen Kultur verwurzelten Väter und Mütter des Grundgesetzes erinnert. Sie formulierten aus diesem Geist heraus den Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Die Würde eines jeden Menschen!
Hier einige weitere Impressionen von der Verlegung der Stolpersteine am 26. April in Alfhausen. Im Mittelpunkt stehen die Steine mit den Inschriften zu den einzelnen Opfern.