Die CDU Ankum war empört über die Mail eines Lokalredakteurs, beschwerte sich bei der Chefredaktion – und informierte den NDR? Wie auch immer: Der NDR kam und berichtete.
Ein kommentierender Beitrag von Rita Stiens
Was ist in Ankum pressemäßig los, fragte das Medienmagazin Zapp des NDR und brachte dazu am 31. August einen Bericht mit dem Titel: „Ankum – Lokaljournalismus ohne Distanz?“ Aufgegriffen wurde ein wichtiges Thema, tiefer recherchiert wurde vom NDR jedoch nicht. Es blieb bei der Präsentation eines Beispiels. Was war vorgefallen in Ankum?
Der Anlass: Eine fehlgeleitete Mail.
Die CDU Ankum hatte eine Pressemitteilung zu ihrer Idee „Dienstleistungspark auf dem Ankumer Bahnhofsgelände“ veröffentlicht. Mehr zu dieser Idee hier. Der Redakteur, an den sie gegangen war, verarbeitete die Pressemitteilung nicht nur, er leitete sie auch an Dr. Horst Baier weiter. Baier ist nicht nur Samtgemeindebürgermeister, sondern auch der Vorsitzende der Gesellschafterversammlung der Ankum-Bersenbrücker-Eisenbahn (ABE), also der Gesellschaft, auf deren Gelände der Dienstleistungspark nach den Vorstellungen der CDU entstehen sollte.
Die ABE hat, worüber auch schon viel in der Zeitung berichtet wurde, andere Pläne. Sie möchte Güterverkehr in Ankum auf die Schiene bringen und die Gleise für ein touristisches Angebot nutzen. Der Redakteur schrieb also eine Mail an Baier – drückte beim Abschicken jedoch versehentlich nicht auf Weiterleiten, sondern auf Antworten. Und so landete diese Mail statt bei Baier bei der CDU Ankum. Und die setzte diverse Hebel in Bewegung.
Der Text der Mail, wie er in dem Bericht zu sehen war:
„Hallo Horst,
darauf musst du nicht unbedingt antworten, das bereite ich schon entlang dem ursprüngliche Artikel auf. Wir hätten schon längst was zur „touristischen Nutzung“ der Eisenbahn machen sollen. Hat die Gesellschafterversammlung nicht einen Beschluss gefasst? Wie wäre ein Treffen mit dir, (…) an Ort und Stelle? Nur Bezug zur Eisenbahn, nicht zum CDU-Vorschlag. Bin noch bis Mittwoch im Lande, danach müsste ich einen Freien beauftragen.“
Für Martin Bäumer, Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion und Mitglied des niedersächsischen Landtags, war diese Mail der Beweis dafür, wie er im Fernsehen sagte, dass es „zwischen einzelnen Redakteuren manchmal eine etwas bessere Zusammenarbeit mit bestimmten Gruppen gibt als mit anderen.“ Frei übersetzt: Der Redakteur des Bersenbrücker Kreisblatts hat zu wenig Distanz zu Baier. Die Chefredaktion der noz sah das ebenso.
Worum ging es der CDU?
Die fest bei der Zeitung angestellten Redakteure arbeiteten hier schon lange, bevor Horst Baier sein Amt antrat. Nun hätte also Baier (fast) eine Mail von einem dieser Redakteure bekommen. Eine Mail, um die er nicht gebeten hatte. Es war der Redakteur, der auf ihn zukam. Ein Redakteur, der seit vielen Jahren mit CDU-Bürgermeistern in seinem Umfeld auf gutem Fuß steht, und der vor Kurzem noch in einer Ratssitzung von einem CDU-Bürgermeister für seinen guten Journalismus in höchsten Tönen gelobt und dann von der CDU-Fraktion lautstark beklatscht wurde.
Warum jetzt die Anklage auf großer Bühne? Oder sind Mail und Journalist nur Mittel zum Zweck? Ein Motiv für die Aktion liefert wohl in erster Linie die Tatsache, dass die CDU in der Samtgemeinde seit 2011 erstmals seit 40 Jahren einer neuen Mehrheit gegenübersteht und 2012 auch erstmalig die Bürgermeister-Macht abgeben musste – an Horst Baier. Und am 11. September wird neu gewählt.
Das A & O für einen Journalisten: Gut vernetzt zu sein.
Was ist Baier in dieser Sache vorzuwerfen? Zumal er die Mail ja nicht einmal bekam. Es gab also auch keine Reaktion, aus der irgendetwas hätte abgeleitet werden können in Richtung zu wenig Baier-Distanz zu diesem Journalisten. Verweist das Duzen auf zuviel Nähe? Ob Bürgermeister oder Ratsmitglieder, habe ich hier festgestellt: Sie allen kennen die hiesigen Redakteure in der Regel schon viele, viele Jahre. Man duzt sich allüberall, man kennt sich gut.
Ich habe Jahrzehnte in einem städtischem Umfeld gearbeitet. Auch dort duzen sich manche Politiker und Journalisten. Mir persönlich war ein Sie immer lieber, und so sieze ich, auch wenn es hier unüblich ist, nach wie vor häufig, z. B. den Samtgemeindebürgermeister.
Doch unabhängig vom Du oder Sie: Ohne eine gute Arbeitsbeziehung zu Politikern kann ein Journalist seinen Job nicht machen und auch nicht ohne so etwas wie Vertrauen. „Off the record“ ist der Begriff dafür – von der großen Politik in Berlin bis Ankum oder Bersenbrück. Wird „off the record“ gesprochen, dann heißt das: keine Veröffentlichung. Solche Gespräche sind in der Regel Hintergrundgespräche, vielfach unverzichtbar, um sich als Journalist ein umfassenderes Bild zu machen. Aber auch da gilt: Fair-Play-Regeln einzuhalten bedeutet nicht, sich in Mauscheleien einbeziehen zu lassen oder in Versuche, etwas unter den Teppich zu kehren.
Nach meinen Beobachtungen hier sehe ich als zentrales Problem ein ganz anderes: Dass nicht zwischen Person und Sache unterschieden wird. Ich hatte z. B. über Jahre einen sehr guten Bekannten, über den ich in der Sache mehrere kritische Artikel geschrieben habe. Wir sind oft zusammen essen gegangen, waren gemeinsam in Konzerten – kritische Artikel hin oder her. „Du machst Deinen Job“, „ich mache meinen Job“ – einer guten persönlichen Beziehung standen Unterschiede in der Sache nie entgegen. Und das ist kein Einzelfall.
Journalisten unter Druck.
klartext ist eine freie gewählte, rein freiwillige Beschäftigung – und trotzdem eine beschwerliche. Meinungsvielfalt zu akzeptieren, erlebe ich, ist hier alles andere als normal. Bist du nicht in allem und jedem für mich – dann bist Du mein Feind, nach meiner Erfahrung ein noch weit verbreitetes Denken. Und das bedeutet, dass Journalisten Gefahr laufen, massiv unter Druck zu geraten. Es kommt gar nicht erst zu Diskussionen in der Sache.
So schaltete nach den ersten klartext-Wochen die CDU schlicht und ergreifend auf Boykott und auf eisige Ablehnung. So ist es bis heute geblieben. Von Presse wird anscheinend erwartet, dass sie die Sichtweise der Partei weitergibt. Kritisches Hinterfragen wird – offenbar aus alter Tradition – vielfach als persönlicher Angriff empfunden und entsprechend heftig und emotional quittiert. Das war hier immer so, höre ich, wenn ich das Thema anspreche, und es war früher noch viel, viel schlimmer… Das hat teils tiefe Wunden geschlagen, die bis heute nicht verheilt sind, immer wieder mal aufbrechen und zu emotional-aufgebrachten Attacken und Schlagabtäuschen führen.
Es fehlt an einer demokratisch-offenen Diskussionskultur.
Nähe und Distanz war das Thema der Zapp-Sendung – zweifellos ein Thema. Was in der Sendung allerdings gar nicht zur Sprache kam: Der Druck, dem Journalisten gerade auch im Lokaljournalismus häufig ausgesetzt sind. Ich bin nach 40 Jahren Journalismus fern von Ankum inzwischen Rentnerin, habe also ein sicheres Einkommen. Wenn ein noch berufstätiger Journalist unter Druck gerät, ist der in einer ganz anderen Situation.
Wer setzt sich ein für eine – trotz aller politischen Differenzen – offene, sachliche, konstruktive Diskussionskultur? Eine, die nicht darauf ausgerichtet ist, andere zu diffamieren und mundtot zu machen? Dass sich mehr Menschen als bislang dafür einsetzen, wäre ein Gewinn für die Arbeit von Journalisten, für die Pressefreiheit – und vor allem für ein gedeihliches Miteinander in unseren Orten.