Frauen & Straßennamen: (Fast) Fehlanzeige

In Bersenbrück wie auch in Ankum ist kaum eine Straße nach Frauen benannt. Ein wichtiges Thema oder nur „Gedöns“?

Eine der vielen nach Männern benannten Straßen ist in Bersenbrück die Otto-Hahn-Straße.

Am heutigen 12. Februar tagt der Ausschuss für Bauen, Planen, Umwelt der Stadt Bersenbrück. Auf der Tagesordnung steht auch ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, „bei der Benennung von Straßen im nächsten Baugebiet ausschließlich Frauennamen zu wählen“. Ein wichtiges Thema oder „Gedöns“? – ein Wort, mit dem sich Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder in die Hitliste der Politikersprüche katapultierte, weil er im Wahlkampf 1998 von „Frauenpolitik und so Gedöns“ sprach.

Zur Politik in Kommunen gehört, über Straßennamen zu entscheiden. Was die Benennung nach Männern und Frauen angeht, zeigt der Blick in die Straßenverzeichnisse von Bersenbrück und Ankum ein ähnliches Bild: Nach Frauen ist kaum eine Straße benannt.

 

In Ortsplänen gezählt.

38 nach Männern, nur 3 nach Frauen benannt.

klartext schaute in den Straßenverzeichnisses von Ortsplänen nach, die in hiesigen Tourismusbüros ausgegeben werden. Auch wenn die vielleicht nicht auf dem allerneusten Stand sind, so dürfte das an der Größenordnung des Missverhältnisses zwischen Männer- und Frauennamen nur wenig ändern.

In Bersenbrück sind nach diesem Verzeichnis 38 Straßen nach Männern benannt und nur 3 nach Frauen, in Ankum sind 33 nach Männern benannt und nur eine Straße explizit nach einer Frau.

Anne-Frank-Platz in Ankum.

Erinnert wird durch Straßennamen in Bersenbrück und Ankum an das 15-jährige Holocaust-Opfer Anne Frank. In Bersenbrück erinnern Straßenschilder noch an zwei weitere Frauen: an die Äbtissin Hedwig Catharina von Hane sowie die Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff.

Auf 2 Frauennamen kommt Ankum, wenn man den Geschwister-Scholl-Platz mitrechnet, der ja auch an Sophie Scholl erinnert, an Sophie und Hans Scholl – die 1943 von den Nazis ermordeten Mitglieder der studentischen Widerstandsgruppe „Weiße Rose“.

Nur 3 bzw. 2 Frauennamen zu 38 bzw. 33 Männernamen in den beiden größten Orten der Samtgemeinde, das kann nur als außerordentlich großes Missverhältnis bezeichnet werden. Und das vor allem, weil es nicht an Frauen fehlt, die einen Namen auf einem Straßenschild verdient hätten.

 

Otto-Hahn als Straßennahme – und Lise Meitner?

In Bersenbrück gibt es z. B. eine Otto-Hahn-Straße und eine Max-Planck-Straße. Warum keine Lise-Meitner-Straße? Lise wer?, werden da wohl viele fragen. Lise Meitner war eine herausragende Kernphysikerin. Sie kam 1907 zum Studium nach Berlin, wo sie Vorlesungen von Max Planck hören wollte und auf den jungen Chemiker Otto Hahn traf. 1926 wurde sie außerordentliche Professorin für experimentelle Kernphysik an der Berliner Universität, Deutschlands erste Professorin für Physik.

Hörbuch zu Lise Meitner im Exil © siehe **

30 Jahre arbeitete Meitner mit Otto Hahn zusammen. Der bekam für die Entdeckung und den radiochemischen Nachweis der Kernspaltung im Jahr 1944 den Nobelpreis für Chemie. Entscheidende Beteiligte wie Lise Meitner wurden nicht berücksichtigt. Auch später nicht, obwohl Hahn und andere Physiker Meitner für den Physik-Nobelpreis vorschlugen.

Seit Jahren wird versucht, mehr Frauen für Naturwissenschaften zu begeistern. Vorbilder wie Lise Meitner könnten dabei eine wichtige Rolle spielen – wenn man sich denn an sie erinnern würde. Als Straßenname präsent zu sein, trägt dazu bei, nicht in Vergessenheit zu geraten. Lise Meitner steht für viele Frauen, die Herausragendes leisteten, ohne dass sie im öffentlichen Raum eine angemessene Würdigung erfahren.

Von den Nazis verfolgt. Lise Meitner musste vor den Nazis fliehen, forschte aber auch im Exil intensiv weiter und stand in ständigem Austausch mit Otto Hahn. Dass ihre Pionierarbeit im Bereich Kernenergie vom NS-Regime schlicht geleugnet wurde, zeigt möglicherweise bis heute Wirkung. Das Hörbuch „Deine Lise“ macht ihr Leben und ihre Forschung im Exil lebendig.

 

Auch andernorts nicht besser als in Bersenbrück und Ankum.

„Bereits vor Jahren wurde von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angeregt, mehr Straßen in Bersenbrück nach berühmten Frauen zu benennen“, so im Antrag der Grünen zu lesen. Nun nimmt die Fraktion die Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren zum Anlass für einen erneuten Anlauf.

1918 wird in Deutschland das Frauenwahlrecht eingeführt. Ein Recht, das wie andere Frauenrechte von Frauen hart erkämpft werden musste, z. B. von Louise Otto-Peters (1819-1895), Schriftstellerin, Frauen-Journalistin und Begründerin der bürgerlichen Frauenbewegung. © www.lpb-bw.de

Zu Straßennamen in ganz Deutschland und zur Bedeutung von Straßennamen gibt es ein ziemlich einzigartiges Webseiten-Angebot von ZEITOnline (Link siehe * unten). Dort zu Straßennamen zu lesen: „Keiner dieser Namen ist zufällig gewählt. An jedem einzelnen lässt sich ablesen, wie sich das Leben und Denken der Menschen über die Jahrhunderte verändert hat. Und woran sie sich erinnern wollen – und woran nicht.“

An Frauen, zeigen die Straßennamen, will man sich offensichtlich kaum erinnern. Selbst in der Großstadt Hamburg sind nur knapp 400 Straßen nach Frauen benannte, aber 2.500 Straßen nach Männern.“ Hamburg bringt es damit zumindest auf 16 % Frauennamen. In Bersenbrück und Ankum liegt der Anteil gerade einmal bei etwa 8 % bzw. 6 %.

 

Frauen gar nicht „auf dem Schirm“?

Straßennamen werden vor allem bei Neubaugebieten vergeben. Wie erfolgt eigentlich die Vergabe von Namen? Im Juni 2018 wurde in Ankum ein noch fehlender Name für eine Straße im Baugebiet „Alte Ziegelei“ vergeben. Die heißt nun, nach einem Bürgervorschlag, den man noch in der Schublade hatte, Bischof-Balduin-Straße – nach Balduin von Rüssel, Bischof zu Osnabrück (1259-1264).

Balduin in allen Ehren, aber warum dieser mittelalterliche Bischof? Alternative Vorschläge gab es in der Ratssitzung keine, und so wurde es Balduin. So manche Entscheidung ist wohl einfach darauf zurückzuführen, dass man etwas nicht „auf dem Schirm hat“, z.B., wie wenig Straßen nach Frauen benannt sind. Wird da ein Nachholbedarf erkannt, könnte sich auch etwas ändern.

Das Werk der Surrealistin Dorothea Tanning (1910-2012) erfährt in London eine lange überfällige Anerkennung: In einer Ausstellung des Museums Tate Modern (27. Februar bis 6. Juni 2019).

 

„Späte Wiedergutmachung“.

Die ihrem Werk angemessene Würdigung wurde nicht nur zahlreichen Wissenschaftlerinnen verwehrt, sondern auch Künstlerinnen. So sind Max Ernst und Salvador Dalí Stars ihrer surrealistischen Kunst. Und Dorothea Tanning? Sie wurde vor allem als Gattin wahrgenommen, war 30 Jahre lang mit Max Ernst verheiratet. Ihr großes eigenes Werk fand bei den Kunsthistorikern bislang kaum Beachtung. Nun widmet ihr das Londerner Museum „Tate Modern“ eine Ausstellung.

Das 21. Jahrhundert sei eine Epoche, so im Spiegel zu lesen, der kunsthistorischen Neubewertung, der späten Entdeckungen. Dazu passe, „dass die Tate Modern bald die hauseigene Sammlung umhängt und von April an für ein Jahr nur die Werke von Frauen präsentieren will. Eine späte Wiedergutmachung für alle Tannings dieser Welt“ (Der Spiegel Nr. 7/9.2.2019, Seite 102). Für eine angemessene Würdigung der Leistungen von Frauen ist auf vielen Gebieten noch reichlich Luft nach oben, auch bei der Auswahl von Straßennamen in Städten und Gemeinden.
* https://www.zeit.de/feature/strassenverzeichnis-strassennamen-herkunft-deutschland-infografik
** © 2018 Stefan Frankenberger (P)2018 BUCHFUNK Verlag (Buch Funk/ Imago/Sven Simon)

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Ein Kommentar

  1. Elisabeth Irani

    Danke für den Artikel über Frauen und Straßennamen. Vor einigen Jahren habe ich schriftlich bei der Gemeinde Ankum einen Antrag auf Benennung einer Straße nach Doktor Sophie Prag eingereicht. Leider wurde dieser Vorschlag bisher nicht berücksichtigt.
    Sophie Prag wurde 1892 in Ankum als Tochter des jüdischen Kaufmanns Viktor Prag an der Hauptstraße (Haus Kuhlmann, bisher Kassandra) geboren. Die Familie verzog 1905 nach Jever, wo Sophie als erstes Mädchen überhaupt das Abitur ablegen durfte. Sie studierte Medizin, zu einer Zeit, als dies noch eine Männnerdomäne war. Sie führte eine Frauenarztpraxis in Osnabrück bis 1933, als sie nach Berufsverbot und folgenden Misshandlungen durch die Nazis nach Südamerika emigrierte.

    So finden sich auch in der Lokalgeschichte nicht nur Männer, sondern auch Frauen, die durch eine Straßenbenennung gewürdigt und erinnert werden können. Dazu fällt mir noch Franziska Eymann ein, die durch Stiftung ihres Vermögens die Gründung des Ankumer Krankenhauses ermöglichte.

    Ich hoffe, dass Frauen&Straßennamen keine Fehlanzeige bleiben und Lokalpolitiker diesen Hinweis künftig berücksichtigen werden.

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