Wie entsteht mehr günstiger Wohnraum?

Ein kommentierender Beitrag von Rita Stiens.

 Die Samtgemeinde will mit der Gründung von „HaseWohnbau“ dem Mangel an günstigem Mietwohnraum entgegenwirken. Die CDU-Vertreter stimmten im Ausschuss gegen das Projekt.

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Am Dienstag, 23. Mai, tagte der Finanzausschuss der Samtgemeinde. Auf dem Tisch der Ausschussmitglieder lag, was die Verwaltung zur Gründung einer samtgemeindeeigenen Baugesellschaft (Name: „HaseWohnbau“) vorbereitet hatte. „Zweck der Gesellschaft ist die Unterstützung der Samtgemeinde Bersenbrück bei einer guten, sicheren und sozial verantwortbaren Wohnraumversorgung“, heißt es in der Beschlussvorlage.

Der Finanzausschuss hat beraten und abgestimmt, nun ist der Samtgemeinderat dran: Dort soll am 15. Juni über die Gründung von „HaseWohnbau“ entschieden werden.

Der Finanzausschuss hat beraten und abgestimmt, nun ist der Samtgemeinderat dran: Dort soll am 15. Juni über die Gründung von „HaseWohnbau“ entschieden werden.

Ist alles gut auf dem Wohnungsmarkt?

„HaseWohnbau“ soll, so ebenfalls in der Beschlussvorlage zu lesen, „für das Kundensegment sozial schwache Haushalte günstigen Wohnraum schaffen, insbesondere im Segment von kleineren Wohnungen.“ „Die privaten Bauaktivitäten sind vom Umfang nicht ausreichend und sind überwiegend im hochpreisigen Mietsegment angesiedelt“, heißt es weiter.
Gerd Steinkamp (CDU) sah das anders. Es sei „alles gut“, sagte er zur Lage auf dem Wohnungsmarkt, „der Markt regelt das“. Norbert Gieseke (CDU) wies zwar darauf hin, dass in Baugebieten mehr Mietwohnungsbau ausgewiesen werden müsste, sprach aber zugleich von „sozialen Brennpunkten“, die entstehen könnten, „wenn wir für eine Klientel bauen, die sonst nicht unterkommt“. Wer ist diese „Klientel, die sonst nicht unterkommt“? Werfen wir einen kurzen Blick auf die Lebenswirklichkeit nicht weniger Menschen in der Samtgemeinde.

 

Immer mehr Arbeitende am unteren Ende der Gehaltsskala.

Ein Angebot vom 23. Mai: 5,75 €/qm Kaltmiete, 436 € warm, für zwei Zimmer in einem recht tristen Bau von 1980. Screenshot: baugenossenschaft-lkos.de

Ein Angebot vom 23. Mai: 5,75 €/qm Kaltmiete, 436 € warm, für zwei Zimmer in einem recht tristen Bau von 1980. Screenshot: baugenossenschaft-lkos.de

Eine der Menschen in Miet- und Wohnungsnöten: Anja*, die berufstätige Alleinerziehende, ein Sohn. Sie lebt in Ankum und arbeitet als Servicekraft. 7,17 €/qm Kaltmiete kostet die Zwei-Zimmer-Wohnung (55 qm), in die sie zog. Fast 500 € zahlt sie warm dafür, plus Strom. Nach besserem Kennenlernen erzählt sie, wie viel persönlichen Verzicht es sie kostet, diese Miete zu bezahlen. Als sie dringend eine Wohnung brauchte, hatte sie keine Wahl. Es gab zu dem Zeitpunkt keine günstigere Wohnung. Wie lange sie es durchhalten kann, die Miete aufzubringen – dahinter steht ein großes Fragezeichen. Was werden wird, wenn sie mal Rentnerin ist, darüber mag sie gar nicht erst nachdenken.
Schauen wir auf Norbert*. Er arbeitete bei adidas in Rieste. Zunächst über eine Zeitarbeitsfirma mit einem unbefristeten Vertrag, dann wurde er von adidas übernommen, bekam aber nur einen 1-Jahres-Vertrag. Trotzdem kam es ihm wie ein Glücksfall vor. Dann der Schock: Nach dem Auslaufen des Vertrags war Schluss und es folgte Hartz IV. Er ist kein Einzelfall. Nicht als Arbeitnehmer mit einem unterdurchschnittlichen Einkommen noch als Arbeitnehmer, der plötzlich in Hartz IV landet. Im Niedersachsenpark arbeiten allein bei adidas viele hundert Menschen mit Löhnen im unteren Lohnsegment – als Leiharbeiter, viele auch mit Zeitverträgen und damit in der Gefahrenzone Hartz IV. Auch adidas ist kein Einzelfall. Arbeitsverhältnisse, wie es sie dort gibt, gibt es in zahlreichen Unternehmen und Branchen.

 

Schon jetzt gibt es viele Menschen, „die sonst nicht unterkommen“.

Leih- und Zeitarbeiter, Menschen, die Tag für Tag Regale in Supermärkten einräumen, die in Krankenhäusern putzen, in der Gastronomie arbeiten, in der Landwirtschaft, als Postbotin, Friseurin, Kosmetikerin und und und: Die Zahl der Wenig- und Geringverdiener ist rasant gestiegen. Sie haben heute wenig und gehören morgen zu den Rentnern mit äußerst niedrigen Renten. Ist für sie „alles gut“ auf dem Wohnungsmarkt? Die Antwort ist nein.
„Die Marktmechanismen funktionieren in bestimmten Segmenten nicht“, stellte Heiko Günther vom Verband der Wohnungswirtschaft Niedersachsen und Bremen (VDW) in seinen Ausführungen vor dem Ausschuss fest. „Der freie Markt schafft es nicht, Wohnraum für geringere und mittlere Einkommensschichten zu schaffen.“ Es sind arbeitende Menschen, die schon heute „nicht unterkommen“ bzw. mit Mieten leben, die ihnen nur noch wenig Luft zum Leben lassen.

Der Niedersachsenpark: Bietet Arbeitsplätze, aber vielfach auch nur geringe Löhne und in der Folge später sehr niedrige Renten. Wo erschwinglichen Wohnraum finden?

Der Niedersachsenpark: Bietet Arbeitsplätze, aber vielfach nur gering bezahlte. Die Spätfolgen sind sehr niedrige Renten. Wo mit wenig Geld Wohnraum finden?

„Sind wir zuständig für Wohnungsbau?“

Das fragte im Ausschuss Gerd Steinkamp (CDU). Es gab eine Zeit, als diese Frage auch von der CDU mit Ja beantwortet wurde. Dass sich Ludwig Erhard (CDU) der sozialen Marktwirtschaft verschrieb, hat die damalige Bundesrepublik stark gemacht und – in Kombination mit dem sozialen Wohnungsbau – den gesellschaftlichen Frieden und Zusammenhalt gesichert.
Über Jahrzehnte überließ auch die CDU den Wohnungsbau und sozial schwächere Wohnungssuchende nicht dem „freien Markt“. Man nahm die staatliche Aufgabe ernst (Stichwort „Daseinsvorsorge“), die für ein menschliches Dasein notwendigen Güter und Leistungen bereitzustellen, inklusive bezahlbaren Wohnraum für Menschen mit geringerem Einkommen. Mit dem sozialen Wohnungsbau ging es allerdings rasant bergab: Die Zahl der Sozialwohnungen sank allein zwischen 1987 und 2013 von 3,9 Millionen auf 1,4 Millionen. 1987 gab es noch für 5% der Bevölkerung Sozialwohnungen (bei 77,8 Mio. Einwohnern). 2013 nur noch für 1,9 % – trotz der zunehmenden Zahl der Wenig- und Geringverdiener.
Wo Private zu wenig günstigen Wohnraum schaffen, kann der Staat nachhelfen – das war und ist das Prinzip des sozialen Wohnungsbaus. Ist die Samtgemeinde in diesem Sinne zuständig für Wohnbau? Die Antwort ist ja. „HaseWohnbau“ ist Ausdruck eines Verständnisses von „Daseinsvorsorge“, wie es über Jahrzehnte in Deutschland praktiziert wurde.

Die in Alfhausen ansässige „Baugenossenschaft Landkreis Bersenbrück“ ist der große Mitspieler im Wohnungsmark. Günstigen Wohnraum schuf sie bislang nicht.

Die in Alfhausen ansässige „Baugenossenschaft Landkreis Bersenbrück“ ist der große Akteur im Wohnungsmark. Günstigen Wohnraum schuf sie bislang nicht.

Private Investoren: „Starke Bedenken“ wegen der Konkurrenz.

Der Ausschussvorsitzende Günther Kosmann (CDU) trug zur Gründung von „HaseWohnbau“ vor, private Investoren hätten Bedenken, weil die geplante Baugesellschaft der Samtgemeinde eine „Konkurrenz“ darstelle. Grundlegend gilt: Bei einem knappen Angebot an Wohnraum können private Investoren/Vermieter ihre Preisvorstellungen durchsetzen und gute Renditen erwirtschaften. Steht mehr Wohnraum zur Verfügung, besteht die „Gefahr“, dass das Mietniveau sinkt. Eine für Mieter gute Entwicklung. Eine für Investoren weniger gute, weil es auf die Gewinnspanne durchschlägt.

Schön, aber für Geringverdiener nicht zu bezahlen: Neubau-Mietwohnungen, wie sie in den letzten Jahren von privaten Investoren geschaffen wurden.

Schön, aber für Geringverdiener nicht zu bezahlen: Neubau-Mietwohnungen, wie sie in den letzten Jahren von privaten Investoren geschaffen wurden.

Im Ausschuss wie im Samtgemeinderat hat die CDU Vertreter des Sektors private Investoren in ihren Reihen. Mit Norbert Gieseke („Gieseke Immobilien und Dienstleistungs GmbH“) und dem Ratsherrn Michael Strehl, im Berufsleben Prokurist der „Baugenossenschaft Landkreis Osnabrück“. Auch wenn der Name das suggeriert: Ein Unternehmen des Landkreises ist die Baugenossenschaft nicht. Sie ist privatwirtschaftlich organisiert, arbeitet gewinnorientiert und gehört damit ebenfalls zum Kreis der privaten Investoren.
Schuf die Baugenossenschaft günstigen Mietwohnraum, günstigeren als andere private Investoren? Die Fakten zeigen: Sie baute in der Samtgemeinde in den letzten Jahren so gut wie keine Mietwohnungen in eigener Trägerschaft – und schon gar keine günstigen.

 

„HaseWohnbau“: Ein „Instrument der Einflussnahme“.

Nach der Gründung von HaseEnergie: Mit „HaseWohnbau“ setzten UWGs, SPD, Grüne und Dr. Horst Baier das Thema „soziale Wohnraumversorgung“ auf die Tagesordnung.

Nach der Gründung von HaseEnergie: Mit „HaseWohnbau“ setzten UWGs, SPD, Grüne und Dr. Horst Baier das Thema „soziale Wohnraumversorgung“ auf die Tagesordnung.

So legitim es ist, dass private Investoren ihre Interessen verfolgen, so dringend ist es andererseits geboten, für einen Wohnungsmarkt zu sorgen, der allen Chancen auf angemessenen Wohnraum bietet. Mit „HaseWohnbau“ würde in der Tat im Wohnungsmarkt ein weiterer Mitspieler, ein Konkurrent, entstehen. Allerdings einer mit einer Zielsetzung, der sich kein privater Investor verschreibt: Mit dem Ziel, Wohnraum für Menschen mit niedrigem Einkommen bzw. Renten zu schaffen. Dass private Investoren in der Regel an höheren Mieten sprich einer guten Rendite und zahlungskräftigen Mietern interessiert sind, ist ihr gutes Recht. Das Ziel staatlicher Daseinsvorsorge muss es dagegen sein, das Wohl aller im Blick zu haben.
„HaseWohnbau“ sei, so Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier, ein „Regulator“, ein „Instrument der Einflussnahme“ auf die Entwicklung des Wohnungsmarkts. „Wir müssen“, so Baier nach der Ausschusssitzung, „etwas für die benachteiligten Menschen tun, die es auch bei uns gibt“. Sollten auch andere, die es bislang nicht taten, günstigen Wohnraum schaffen – umso besser. Interessant zu beobachten: Als bekannt wurde, dass die Samtgemeinde eine Wohnbaugesellschaft gründen will, gab es Bewegung. So kündigte die Baugenossenschaft an, in Kettenkamp zu bauen (wozu sie lange nicht zu bewegen war), und sie stellte Pläne für den Bau von 22 günstigen Mietwohnungen in Bersenbrück vor. Begrüßenswerte Projekte, aber kein Argument gegen „HaseWohnbau“.
„HaseWohnbau“ kann, wenn nötig, bauen, muss aber nicht bauen, sollte es nicht nötig sein. Über ein solches Instrument zu verfügen, macht aus diversen Gründen Sinn. CDU-Vertreter verwiesen mehrfach auf finanzielle Risiken, die für die Samtgemeinde mit der Gründung von „HaseWohnbau“ verbunden sein könnten. Baier hielt dagegen, dass man mit „HaseWohnbau“ auf „Sicht fahren würde“, angepasst an die aktuellen Gegebenheiten. Das Votum nach der zwar sachlichen, aber in der Sache dennoch grundlegend kontroversen Diskussion im Ausschuss lautete: 5 Stimmen der CDU-Vertreter gegen die Beschlussvorlage zur Gründung von „HaseWohnbau“, 6 Stimmen dafür (SPD, UWGs, Grüne).

* Namen von der Redaktion verändert.

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