Auch hier: Das große Kastanien-Sterben

Viele Kastanien, die noch halbwegs gesund aussehen, werden in Ankum bald tot sein. Das Kastanien-Sterben regt auch zu der Frage an: Brauchen wir insgesamt mehr Baum-Schutz?

Was viele nicht sehen, sieht Gärtnermeister Ralf Gramann am Stamm: Die Kastanie wird sterben.

Bei vielen Menschen – Großeltern, Eltern, Kindern – steht die Kastanie für Erlebnisse und Erinnerungen. Kastanien sammeln, Figuren daraus basteln, die herrliche rosa, weiße oder gelbe Blütenpracht im Frühjahr: Es sind schöne Geschichten, die sich um diesen Baum ranken. Um einen Baum, der Gefahr läuft, bald selbst Geschichte zu sein, hinweggerafft von einer bislang unheilbaren Kastanienkrankheit.

Bedroht sind Bäume aber nicht nur durch Krankheiten. Sie werden auch zu Opfern einer weit verbreiteten Weg-mit-dem-Baum-Mentalität. Beides lag in Ankum gerade dicht nebeneinander. So sollte einer der nur noch wenigen Bäume auf dem Friedhof gefällt werden, weil Laub in benachbarte Gärten geweht wird. Nur wenige Meter davon entfernt sterben derzeit die Kastanien. Der Grund dafür: ein Bakterium namens Pseudomonas syringae pv. Aesculi.

Eine nach der anderen sterben die noch jungen Kastanien in der Kastanienallee am Friedhof.

Kastanienallee bald ohne Kastanien.

Dieser Baum ist bereits tot.

Kastanienallee heißt in Ankum eine Gemeindestraße am Friedhof. Noch stehen dort bis zum Vogelboll junge Kastanien, aber die werden die Krankheit, von der die meisten schon befallen sind, nicht überleben. Der Wissenschaftler Prof. Dr. Dirk Dujesiefken vom Hamburger Institut für Baumpflege spricht bei Kastanien von einer „dramatischen Entwicklung“, denn die Rosskastanie (botanisch: Aesculus hippocastanum) ist kaum mehr zu retten.

2007 wurde das Bakterium erstmals in Deutschland entdeckt. Inzwischen ist klar: Ist es einmal da, kommt es in der Folge zu einem starken Auftreten verschiedener Pilze. Alles zusammen führt schließlich zum Tod der Bäume. Zu einem am Ende sehr schnellen Tod. Wissenschaftler befürchten, dass der größte Teil der Rosskastanien in Deutschland in den kommenden vier, fünf Jahren abgestorben sein wird.

Eingeschleppt. Das für Kastanien so gefährliche Bakterium wurde in den 1970-er Jahren in Indien auf der Indischen Rosskastanie (Aesculus indica) nachgewiesen. In Europa breitete es sich über England und Holland weiter aus.

Auch diese Kastanie, zeigt die Rinde, wird sterben.

Dass das Bakterium auch in Ankum seine unheilvolle Wirkung entfaltet, entdeckte Gärtnermeister Ralf Gramann vor zweieinhalb Jahren. „Wir hatten“, sagt Ralf Gramann, „nach den Erfahrungen mit dem Rostpilz und der Miniermotte schon eine Sorte gepflanzt, von der es hieß, dass sie kaum anfällig ist. Und dann sahen auch diese Kastanien schon bald krank aus“. Ralf Gramann suchte im Internet und bei Baumexperten nach einer Antwort auf die Frage, was mit den Kastanien los sein könnte. Die deprimierende Erkenntnis: Die Kastanien sind nicht mehr zu retten, weil sie von dem Bakterium befallen sind.

 

Esskastanie: wird als störend empfunden.

Reizthema Bäume in Dörfern.

Das Sterben der Rosskastanien lenkt den Blick auch auf das schon lange schwelende Thema, wie es um die Einstellung von Bürgern zu Bäumen und Sträuchern bestellt ist und um die Begrünungspolitik von Gemeinden.

Ohne Bäume veröden Städte zu leblosen Steinwüsten. Diesen Satz würden wohl viele in Stadt und Land unterschreiben. Im Dorf brauchen wir eigentlich keine Bäume, wir haben ja außerhalb genug davon, in freier Landschaft und Natur. Diesen Satz würden in Dörfern wohl viele unterschreiben. Ausdruck dieser Einstellung ist die Tatsache, dass ständig auch völlig gesunde Bäume gefällt werden oder gefällt werden sollen.

Mit einer Kastanie musste sich z. B. jüngst ein Ausschuss des Ankumer Gemeinderats beschäftigen. Bei der handelt es sich nicht um eine Rosskastanie, sondern um eine Edelkastanie, auch Esskastanie genannt. Dieser Baum bildet Nussfrüchte/Maronen. Weil die im Herbst abfallen, hätten es Anwohner gerne gesehen, dass der Baum gefällt wird. Die jetzt noch freien Flächen hinter der Esskastanie wird es in absehbarer Zeit auch nicht mehr geben, denn in diese Richtung wird sich Ankum bebauungsmäßig weiter ausdehnen.

 

Zukunftstrend pflegeleicht?

Massiver Natur-Schwund.

Bäume tragen Blüten, Laub, Früchte. Und all‘ das, was sie eigentlich so wertvoll für den Menschen macht – vom Sauerstoff und der Nahrung, die sie produzieren, bis zur Medizin – , wird von immer mehr Bürgern als störend empfunden. Können wir im Ort gut und gerne auf Bäume, Sträucher, Hecken verzichten?

Ralf Gramann hält dagegen: „Man braucht sich zum Beispiel nur anzuschauen“, sagt er, „wie Ankum und alle übrigen Orte in den letzten Jahren gewachsen sind und weiter wachsen. Wir verlieren in unserer ländlichen Region Jahr für Jahr hektarweise Natur. Und wir verlieren vor allem auch viel Natur durch die vorherrschende Landwirtschaft bzw. die bisherige EU-Landwirtschafts-Politik.“

Hecken: vielen zu arbeitsintensiv.

„In Berlin“, so Gramann, „wurde im Januar die europäische Studie zur Artenerosion vorgestellt. Darin werden katastrophale Daten genannt. So sind in den letzten 25 Jahren 94 Prozent der Rebhühner verschwunden, ein Drittel der Feldlerchen, drei Viertel der Kiebitze. Ob die Zahlen stimmen? Selbst wenn es nur 30 % oder 40 % der Rebhühner, Kiebitze usw. wären: Es wäre mehr als besorgniserregend. Meine Frage ist: Was können wir hier, in unserem örtlichen Zuständigkeitsbereich, tun? Meines Erachtens müssen wir uns viel intensiver und systematischer mit dem Thema Bäume und Ortsbegrünung befassen.“

Verkehrssicherungspflicht.

Verkehrssicherungspflicht. So mancher Baum fällt der Verkehrssicherungspflicht zum Opfer. So war es z. B. bei den Bäumen im Bereich der Kirchburg. Die Verkehrssicherungspflicht: Auch das ein kontrovers diskutierten Thema rund um die Frage: Wird so mancher Baum aus übergroßer Vorsicht gefällt? Dagegen steht die Haftungspflicht der Baumbesitzer.

 

Hamburger Baum-Kataster.

„Baum- und Begrünungsstrategie“ für Ankum.

Hamburg hat z. B. schon seit 1948 eine strikte Baumschutzverordnung. Danach sind „grundsätzlich alle Bäume und Hecken geschützt, d.h., sie dürfen ohne schriftliche Ausnahmegenehmigung der zuständigen Dienststelle in den Bezirksämtern nicht gefällt und keine Teile von ihnen entfernt oder beschädigt werden (z. B. Zweige, Äste, Rinde, Wurzeln).“ Auch in Bramsche gibt es eine verbindliche Baumschutzsatzung, „Grüne Fibel“ genannt.

Online Baum-Kataster. Auf www.hamburg.de/strassenbaeume-online-karte/ sind alle Hamburger Bäume zu sehen, die sich auf öffentlichen Straßenflurstücken befinden. Dazu gibt es zu jedem Baum detaillierte Informationen.

Die Bramscher Baumschutzsatzung mach bewusst, wie wichtig Begrünung ist. © Grüne Fibel Bramsche.

Ralf Gramann, der für die Grünen als Ratsherr im Gemeinderat sitzt, plädiert, was Ankum angeht, für die Entwicklung einer „Baum- und Begrünungsstrategie“ der Gemeinde. „Wir müssen“, so Gramann, „zum Beispiel dem Baum und der Begrünung städtebaulich sehr viel mehr Platz und Raum geben.

Sorgenkind Nr. 1 sind die jungen Kastanien.

Auch Straßenbegleitgrün braucht mehr Raum, als wir ihm üblicherweise zugestehen. 1 m Raum neben einem Fahrradweg reicht dafür nicht aus. Auch das Thema Vernetzung gehört in diesen Zusammenhang und das Thema Austauschflächen und deren Ausgestaltung.“

Da aktuell das Thema Kastaniensterben auf der Tagesordnung steht, könnte sich Ralf Gramann vorstellen, einen Experten zu einer Informationsveranstaltung für Politiker und Bürger einzuladen – als einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer umfassenden, nachhaltigen „Baum- und Begrünungsstrategie“, die der Ankumer Gemeinderat entwickeln müsste.

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Ein Kommentar

  1. Elisabeth Middelschulte

    „Mein Freund, der Baum, ist tot.“ – Das Lied von Alexandra ist sicherlich vielen in Erinnerung und erhält eine unerfreuliche Aktualität. Mir persönlich würden auch die Esskastanien fehlen, die ich gar nicht als störend sondern als Bereicherung sehe mit ihren leckeren Früchten. Mmmm, geröstet gehören sie für mich zum gemütlichen Herbstabend am Ofen.

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