„Elterntaxis“ – bundesweit Zündstoff und nun auch in Ankum, wo einiges für sichere Schulwege getan wurde. So gibt es einen Schulwegplan, einen extra Bus für die Grundschulkinder und seit dem letzten Jahr zwei Ampeln. Warum trotzdem so viele „Elterntaxis“, wo anderes deutlich besser wäre für die Entwicklung der Kinder?
Ein kommentierender Beitrag von Rita Stiens.
Chaos und Risiken vor Schulen, weil viele Kinder von ihren Eltern mit dem Auto zur Schule chauffiert werden: Dieses Problem beschäftigt Wissenschaftler und Verkehrsplaner bundesweit bereits sein Jahren. In Ankum wird sich am Montag der Planungsausschuss des Gemeinderats mit dem Bring- und Holverkehr bei der Grundschule befassen.
„Kinder brauchen Wegstrecken, bei denen sie auf sich selbst gestellt sind“.
Das Thema „Elterntaxis“ ist eines, bei dem Experten sich in einem einig sind: Für die Kinder wäre es ein Gewinn fürs Leben, nicht gefahren zu werden, sondern selbständig zur Schule zu gehen. Nachzulesen ist das auch in einer Untersuchung des ADAC (1). Darin heißt es: „Mittlerweile ist durch zahlreiche Studien nachgewiesen, dass die tägliche Bewältigung des Schulwegs zu Fuß eine Reihe von positiven Effekten auf die kindliche Entwicklung hat. Dazu zählen eine höhere Konzentrationsfähigkeit im Unterricht, eine gesteigerte körperliche Fitness, der Abbau von Übergewicht sowie – bei gemeinsamer Bewältigung des Schulwegs mit anderen Kindern – die Verbesserung des Sozialverhaltens.“
Einer der renommiertesten Experten auf dem Gebiet „Elterntaxis“ und Schulwege ist Jens Leven mit seinem „Büro für Forschung, Entwicklung und Evaluation“, das bundesweit Kommunen, Schulen oder die Polizei berät (2).
Levens Argumente gegen „Elterntaxis“: „Kinder brauchen Wegstrecken, bei denen sie auf sich selbst gestellt sind, um ihr räumliches Denken zu schulen, ein Gefühl für Orientierung und Bewegung zu bekommen. Außerdem entwickeln sie ein eigenes Bewusstsein für gefährliche Situationen und wie sie mit ihnen umgehen müssen. Die ganze Erfahrung des Schulwegs, die zum Kind sein gehört, sollte nicht verloren gehen“ (3). Warum werden trotzdem so viele Kinder chauffiert?
Sorgen. Weil es einfacher ist.
Drei Gruppen von Eltern sind es, die laut Jens Leven ihre Kinder mit dem Auto zur Schule fahren. Die eine Gruppe sind die „pragmatischen Eltern, die ihre Kinder schnell auf dem Weg zur Arbeit, zum Sport oder anderen Aktivitäten bei der Schule abliefern. Für sie ist es so am einfachsten“ (2). Leven spricht da von „Bequemlichkeit“.
Die zweite Gruppe sind Eltern, die sich Sorgen machen, weil sie einen Verkehrsunfall befürchten. Die dritte Gruppe von Eltern hat Angst davor, dass ihr Kind auf dem Weg zur Schule belästigt werden könnte. Was die Sorgen angeht, ist die Schaffung sicherer Schulwege nach Meinung aller Experten eine Grundvoraussetzung dafür, das Problem „Elterntaxis“ zu entschärfen.
Selbständig ist sicherer als Auto. In der ADAC-Studie (1) zu lesen: „Aus Sicht der Unfallstatistik stellt die Mitfahrt im Pkw ein größeres Risiko für Kinder von sechs bis neun Jahren dar als die Fortbewegung mit jedem anderen Verkehrsmittel. So kommen jährlich mehr Kinder im Pkw der Eltern zu Schaden als durch die selbstständige Mobilität zu Fuß.“
Schulwegplan, Bus, Ampeln.
Was wurde in Ankum gemeindeseitig für sichere Schulwege getan? Realisiert wurde da seit 2016 eine Reihe von Maßnahmen, darunter die Erstellung eines Schulwegplans.
Der Schulwegplan ist ein Ergebnis der Zusammenarbeit von Grund- und Oberschule, Landesbehörde für Verkehr, Samtgemeinde und Gemeinde. Er wurde über Monate in einem eigens dafür eigerichteten Gremium der Gemeinde erarbeitet mit dem Ziel, dass die Schülerinnen und Schüler auf sicheren Wegen zum Schulzentrum Kattenboll gelangen. Frisch gedruckt zeigte Bürgermeister Detert Brummer-Bange den Schulwegplan im Juni 2016 in der Ratssitzung. Für die Grundschule gibt es ihn als Flyer, entwickelt wurden aber auch Empfehlungen für die Oberschule.
Der Bus für Kinder aus dem Süden. Teil des Sicherheitskonzepts für Grundschüler aus dem südlichen Ankum ist eine eigens für sie eingerichtete Buslinie. Sie zu bekommen, war schwierig, weil nach den geltenden Regularien ein Bus nur eingesetzt wird, wenn der Schulweg länger als 2 km ist. Durchgesetzt werden konnte er in Verhandlungen mit dem Landkreis schließlich mit dem Argument, dass die Bundesstraße für Grundschulkinder ein besonderes Sicherheitsrisiko darstellt – weil es keine Ampel als Querungshilfe gibt. Damals gab es keine Ampeln, jetzt gibt es sie.
Ampeln Alfhausener Straße und B 214. 2018 konnten zwei Fußgänger-Ampeln unweit des Bahnhofsgeländes in Betrieb genommen werden. Der Weg dahin war lang, denn es liegt nicht im Ermessen der Gemeinde Ankum, Ampeln einzurichten. Zuständig für deren Einrichtung war die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr. Mit den Ampeln gibt es nun noch ein Stück Sicherheit mehr.
„Was Hänschen nicht lernt…“
„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“, ist ein altes Sprichwort und eines, das nach wie vor gilt. Auch für die Bewältigung des Schulwegs. Dass Kinder, wie Jens Leven sagt, „ein eigenes Bewusstsein für gefährliche Situationen entwickeln und dafür, wie sie mit ihnen umgehen müssen“, scheinen zu viele Eltern ihren Kindern gar nicht mehr zuzutrauen.
Dem Alter entsprechend lernen, mit Gefahren umzugehen, befördert die Kindesentwicklung. Wer es bis zum Ende der Grundschulzeit nicht gelernt hat und nicht angelernt wurde, Wege eigenständig zu gehen, dem wird es später umso schwerer fallen – was die Unfallgefahr nicht senkt, sondern erhöht.
AOK-Walking Bus: Der laufende Schulbus. Bereits in zahlreichen Orten etabliert: Die Aktion „Walking Bus“ der AOK, damit „der Schulweg Ihres Kindes zu einem gesunden und sicheren Vergnügen wird.“ Eltern, Schule, Polizei, Gemeinde agieren da zusammen und organisieren ein gemeinschaftliches „Zu Fuß zur Schule gehen“. Die Weglänge beträgt maximal 2 km. www.aok.de. Das Konzept als pdf: Siehe (3) unten.
Gemeinsames Engagement.
Gelingen können Schulweg-Lösungen nur, auch das zeigt bundesweit die Realität, wenn alle Beteiligten – Schule, Eltern, Gemeinde – an einem Strang ziehen. Und zwar im Interesse der Kinder am Strang weniger Elterntaxis. Jede der beteiligten Seiten hat da Aufgaben abzuarbeiten.
Kann es, was den Part der Gemeinde angeht, Verbesserungen geben? Das zu beraten ist Sache des Ausschusses. Entscheidende Akteure sind aus Expertensicht aber vor allem die Schulen.
In Ankum gibt es einen Schulwegplan. Der bringt jedoch nichts, wenn er in der Schublade liegt. Es reicht auch nicht aus, ihn Eltern bei der Einschulung zu überreichen. Es bedarf einer intensiveren Vermittlung, um eine Wirkung zu erzielen.
Erfolge mit pädagogischen Mitteln. „Ein Belohnungssystem einführen“.
Wer Ernst machen will mit dem, was Fachleute sagen – dass der selbständige Schulweg ein wichtiger Faktor für eine positive Kindesentwicklung ist –, sollte auf die Kinder setzen. Für den Experten Leven ist eine aktive Rolle der Schule ein zentraler Baustein, um das Problem „Elterntaxis“ zu entschärfen. Pädagogisch tätig zu werden, wirkt.
Zu den Empfehlungen von Leven gehört z. B., „ein Belohnungssystem einführen“. Ein Belohnungssystem von der Art, dass alle Schülerinnen und Schüler, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Schule gekommen sind, Punkte sammeln; dass sie gemeinsam in der Klasse Punkte sammeln und bei einer bestimmten Höhe des Punktestands eine Belohnung bekommen wie „eine längere Pause oder Hausaufgabenfrei“ (2). „Eltern brauchen Druck von der Rückbank“, titelte die Zeit dazu vor wenigen Monaten. Dass die Kinder selbst nicht länger chauffiert werden wollen, hat schon an so mancher Schule zu deutlich weniger Bringe- und Holverkehr geführt.
Ohne gemeinsame Aktivität keine Lösung.
Nachdenklich stimmen sollte, dass bestehende Angebote nicht genutzt werden. So meldete sich Samtgemeindebürgermeister Dr. Horst Baier zur Situation an der Ankumer Grundschule mit der Anmerkung zu Wort: „Die Samtgemeinde hat einen Arbeitskreis Sicherer Schulweg gegründet. Leider ist der geplante Fachtag mangels Anmeldungen abgesagt worden. Beim nächsten Ablauf meldet sich hoffentlich die GS Ankum. Es gibt viele gute Ansätze zur Problemlösung.“ Die gibt es. Warum werden sie nicht genutzt?
Der Arbeitskreis „Sicherer und kindgerechter Schulweg“, auf den Baier verwies, kam im Dezember 2018 erstmalig zusammen. Eine große Initiative, wie die Zusammensetzung des Gremiums unter dem gemeinsamen Vorsitz der vier Nordkreis-Samtgemeindebürgermeister zeigt: Mit dabei sind Vertreterinnen und Vertreter der Schulen, Eltern, Polizei, des Landkreises, der Schulträger, der Verkehrswacht und der Verkehrsgemeinschaft Osnabrück.
Weniger Elterntaxis – im Interesse der Kinder.
Die erste Aufgabe, der sich der Arbeitskreis widmete: die Elterntaxis und die dadurch bedingten Probleme. Die dazu geplante und dann ins Wasser gefallene Veranstaltung inklusive Workshops hätte zur Lösungsfindung beitragen können. Dem stand mangelndes Interesse entgegen. Es sei geplant, sagt Horst Baier zum Stand der Dinge, dass die Veranstaltung im Frühjahr erneut angeboten wird.
Ob Schulwegplan, Bus und Ampeln in Ankum oder die Aktivitäten der Samtgemeinde auf dem Gebiet sichere Schulwege: Viel bisherige Arbeit für die Katz‘? Im Interesse der Kinder wäre zu wünschen, dass sich der Wind dreht: Weg vom Trend zum Elterntaxi, hin zur Nutzung bestehender Angebote für sichere Schulwege und zu mehr Engagement aller für den selbstständigen Weg von Kindern zur Schule.
Quellen:
(1) Einsehbar ist die ADAC-Studie unter www.adac.de/_mmm/pdf/elterntaxi_grundschulen_238767.pdf
(2) Jens Leven im Interview mit „Kommunal“, nachzulesen unter https://kommunal.de/elterntaxis-interview-leven. Infos zu Jens Leven: siehe www.bueffee.de. BüfFEE steht für „Büro für Forschung, Entwicklung und Evaluation“. Viele interessante Informationen bietet der Schulwegcheck vom bueffee (www.schulwegcheck.de).
(3) Infos zum „Walking Bus“ unter aok.de. Eine Info-pdf zum Konzept „Walking Bus“ unter https://www.dvr.de/download2/p1695/1695_6.pdf